Festival-Kommentar: Provoziert mehr!
■ Nur bei einer Erweiterung des Politik-Begriffs hat das Festival eine Zukunft
Das Geld ist verteilt, die Abschlußparty zum „3. Festival Politik im freien Theater“ ist gefeiert. Allein sie hinterließ einen deftigen Kater, in dessen Schatten das ganze Spektakel plötzlich selbst in Frage steht.
Natürlich läßt sich trefflich darüber streiten, ob eine anders besetzte Auswahlkommission dem Festival schon bei der Zusammenstellung ein anderes Profil hätte verleihen können. Klar: Die Überbetonung des literarischen Theaters war augenfällig. Und: Vom Sektenstück bis hin zum Thema Ausländerfeindlichkeit sollte jedwede Problematik auftauchen. Aber trotzdem wurde auch bei dieser Auswahl deutlich, mit welchen Schwächen freies Theater heute allgemein zu kämpfen und welche Stärken es noch zu bieten hat.
Denn auch in den vergangenen zwei Wochen stand das allerorten zu sehende Stadttheater-Imitat gegen den Mut zum Experiment, traf die legitime Absicht, mit „freiem Theater“ auch Geld einspielen zu müssen, gegen den reinen künstlerischen Ausdrucksversuch.
In der Bilanz verdeutlichte das Festival, wo freies Theater selbst mit dem einschränkenden Attribut des Politischen triumphieren kann. So zählte die ästhetisch nicht umwerfende Hochhuth-Inszenierung deshalb dazu, weil das Stück polarisiert. Denn gerade in der Zuspitzung kann sich politisch verstandenes Theater profilieren und vom üblichen Einerseits-Andererseits-Geschwafel der meisten Zeitungs- und Fernsehkommentare abheben. Die politische Provokation trifft dann, wenn sie den Mut zur ungeliebten These oder ästhetischen Radikalität hat. Blickt man nämlich zurück in die Geschichte des freien Theaters, lag seine Stärke genau darin.
Noch deutlicher als die Provokation trat jedoch die zweite Chance zu Tage: Die Subjektivät. Denn es waren ausgerechnet die kleinsten Produktionen, die am meisten Eindruck machten; ob es sich um das preisgekrönte Kelly/Bastian-Stück von Barbara Englert oder um Raymund Hoghes radikal selbstbezogene, die Grenzen des Theaters erreichende Inszenierung „Meinwärts“ handelt.
Wenn das Festival nicht zum Selbstläufer eines irgendwann einmal bereitgestellten Behördenetats verkümmern, sondern tatsächlich zum Spiegel des Politischen im freien Theater werden soll, sind Mut zu Provokation und Subjektivität der gangbare Weg. Aber vor allem sollten sich die Veranstalter dazu durchringen, den Politik-Begriff erheblich weiter zu fassen. Denn häufig verbirgt sich in einer vermeintlich unpolitischen Inszenierung, die ein Lebensgefühl auf die Bühne bringt, mehr Brisanz als im wortreich das Politische annoncierenden Literaturtheater. Susanne Raubold, Christoph Köster
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