Fernseharzt Wussow: Seine letzte große Rolle
Der Tod Wussows beschert seinen Fans ein letztes Drama: "Lasst Vater in Ruhe gehen". Warum die Vermischung von Fakten und Fiktion sein Schicksal blieb
In den frühen Achtzigerjahren begannen die Menschen das Fernsehen mit der Wirklichkeit zu verwechseln, und die Wirklichkeit mit dem Fernsehen. 1984 ging die ZDF-Serie "Die Schwarzwaldklinik" an den Start. Die Serie zur "geistig-moralischen Wende": Allerorten starb der Wald, doch im Glottertal fuhr Professor Brinkmann PS-stark durch prächtige Forste. Das Privatfernsehen läutete den Untergang des Abendlandes ein, das ZDF bejahte mit der Hochglanz-"Schwarzwaldklinik" die neue Zeit - die sozialdemokratische ARD-Variante seinerzeit: "Diese Drombuschs".
Das nun, im Jahr 2007 inszenierte Boulevard-Doku-Drama "Lasst Vater in Ruhe gehen" unter der Regie von Wolfgang Rademacher ("Das Traumschiff") hat sich das ehrgeizige Ziel gesetzt, diese Zusammenhänge rückblickend anhand der Figur des Schauspielers Klausjürgen Wussow zu durchdringen. Als junger Mann, geboren 1929 im pommerschen Cammin, wollte er Arzt werden. Stattdessen wurde er ein Schauspieler, der einen Arzt spielte und fortan auf diese Rolle festgelegt wurde. Klausjürgen Wussow wurde Professor Brinkmann, der nach Einstellung der "Schwarzwaldklinik" in der "Klinik unter Palmen" operierte. Seine Fans, die ihn unermüdlich um Autogramme baten, waren jedes Mal aufs Neue erstaunt, dass auf der Autogrammkarte "Klausjürgen Wussow" stand. Umgekehrt verlor auch der Mensch Klausjürgen Wussow allmählich das Gespür für die Trennung zwischen medialer und persönlicher Wirklichkeit - es wurde für ihn zur Normalität, dass sein Intimstes bis hin zur schmutzigen Unterhose in der Öffentlichkeit verhandelt wurde. Zunächst über die Bühne, später über das Fernsehen wurde er zu ihrer Geisel. "Ein Schneeball", sagte Wussow - wer sich einmal mit dem Boulevard einlässt, kommt unter Umständen in ihm um.
Sein anderes bedrückendes Schicksal: "Klausjürgen Wussow ist untrennbar mit dem ZDF verbunden", wie ZDF-Intendant Markus Schächter anlässlich des Todes von Wussow vergangene Woche sagte. In letzter Konsequenz ist Klausjürgen Wussows letzte große Rolle denn auch die des Toten, der gleich zweimal beerdigt werden soll. Einmal, laut plötzlich aufgetauchten und prompt veröffentlichten letztem Testament in Wien neben seiner Exfrau Ida von Krottendorf - und einmal auf den Wunsch seiner Familie in Berlin. "Mein Klausi wird nicht verbrannt", verkündet die "Witwe Scholz", ehemals verheiratet mit dem Boxer Bubi Scholz. Die Wilmersdorfer Witwe organisierte stattdessen einen "Mahagoni-Sarg für 6.200 Euro".
Auch Witwe Nummer zwei, Jolande Wussow, kommt zu Wort: "Es ist schon passiert, dass sich Menschen zusammenfinden, wenn einer abtritt", sagt sie im Verweis auf die vier Kinder aus vier Ehen des Verstorbenen. Zwei der potenziellen Witwen, darunter Yvonne Wussow, Gefährtin aus tausend Tagen medialer Schlammschlacht, sind schon tot. Und die Kinder? Barbara und Alexander Wussow wendeten sich anlässlich der schweren Erkrankung des Schauspielers mit einem Appell an die Öffentlichkeit: "Unsere Familie hat genügend erlebt, das reicht für mehrere Leben, und es wäre schön, wenn man der Geschichte meines Vaters, der so vielen Menschen so viele schöne Stunden beschert hat, den nötigen Respekt entgegenbringt und ihn in Ruhe gehen lässt."
Es sind Sätze wie diese, die den Zuschauer des Live-Doku-Dramas kurz im Sessel aufschrecken lassen. Vor allem weil der weitere Verlauf des Geschehens auf das Gegenteil hinausläuft. Klausjürgen Wussow wurde schließlich vom angebeteten "Gott in Weiß" zum Patienten. Er agierte nicht mehr in der Glottertaler Klinik, sondern in der Berliner Charité und dem Klinikum Strausberg: Herzrhythmusstörungen, Herzrasen, Schwächeanfälle, Atemnot, schwankender Blutdruck, schließlich Demenz. Endstation Pflegeheim Berlin-Rüdersdorf: Die Krankenakte Wussow wurde stets öffentlich verhandelt.
Die Nation saß an seinem Krankenbett und fühlte seinen Puls: Noch ein Rest Leben drin? Geht die Geschichte noch ein bisschen weiter? Professor Brinkmann, dem "guten Arzt", dem Schamanen, der mit Kassenabrechnungssystem und Gesundheitsreform nichts am Hut hat, geht es nicht so gut. Besessene Stalker. Manche Leute müssten wirklich mal zum Arzt, stattdessen wird nun die erste Staffel der "Schwarzwaldklinik" vom 30. Juni an wiederholt. Im ZDF.
Klausjürgen Wussow "live" gibt es nur noch einmal. Heute, um 11 Uhr, in der Gedächtniskirche am Berliner Tauentzien - in diesem Symbol des alten Westberlins werden für gewöhnlich die alten Symbole Westberlins, die Knef, Juhnke, Bubi Scholz, zur letzten Ruhe begleitet. Wussows Abschied begleitet der notorische Promi-Totengräber Jürgen Fliege. Der Pfarrgemeinderat hatte zwar versucht, dies zu verhindern, aber er hatte keine Chance.
Das Testament des Klausjürgen Wussow ist eine Steilvorlage für Fliege: "Das Ende, die Zurückweisung. Die Nichtnähe, die Nichtliebe. Was nutzte meine Liebe? Ich machte nur Fehler, die man mir verzeihen möge." Da kann man was draus machen, ein ordentlicher Gottesdienst ist schließlich auch eine gute Show. In der Kirche versammeln sich indes die übrig gebliebenen Akteure des abgehalfterten BRD-Showbiz: Wolfgang Rademacher, Atze Brauner, René Kollo, Susanne Juhnke, Horst Tappert, Sascha Hehn.
Klausjürgen Wussow, der mit Heiner Müller zusammen zur Schule gegangen war, spielte früher am Theater am Schiffbauerdamm, am Hebbel-Theater und schließlich am Burgtheater in Wien. Von Claus Peymann hatte er sich eigentlich nur beurlauben lassen, um den "Professor Brinkmann" zu mimen. Ein Urlaub, aus dem es keine Rückkehr gab. Der Rest war: Dramen um Liebe, Leidenschaft und OP.
Die ganze Welt ist eine Bühne, das Leben ein Film: Dieses Doku-Drama verweist auf eine Wirklichkeit, in der man auf die Handlung und das Personal von Vorabendserien verweist, wenn man über gesellschaftliche Zusammenhänge debattieren möchte - frei nach der Logik: Agieren dort genügend Migranten, klappts auch mit der Integration. Nie war das deutsche Gesundheitswesen erfreulicher als zu Zeiten der "Schwarzwaldklinik".
Das Doku-Drama "Lasst Vater in Ruhe gehen" ist ein kleines Meisterstück, denn Genre und Inhalt gehen hier harmonisch Hand in Hand. Das Doku-Drama, eine Verquickung von Fakten und Fiktion, widmet sich anhand der Figur des Klausjürgen Wussow genau diesem Phänomen. Der Schauspieler hatte am Ende den Überblick verloren, und stand damit seinem Publikum in nichts nach. Pleite. Verwirrt. Pflegebedürftig. "Alles ist nichts, ohne die Liebe des Publikums" hat Klausjürgen Wussow mal gesagt. Es hat ihn zu Tode geliebt.
Zum Abschluss des Doku-Dramas erklingt eine veränderte Version des Achtzigerjahre-Hits der britischen Elektropop-Band "The Buggles" in Moll: "TV killed the Theatre Star." Das Album hieß übrigens "The Golden Age of Plastic". Abspann.
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