Fernseh-Aussteiger: Schalt mich ab
Seitdem ich nicht mehr fernsehe, grundversorge ich mich anderswo. Und stehe damit nicht allein: Die Nichtfernseher werden immer mehr, denn Fernsehen ist zwar nicht böse, macht aber blöde.
Fernsehen flimmert nur noch versehentlich in meinen Alltag herein, von außen, wie ein grotesker Fremdkörper. So etwa neulich, beim Einrichten der neuen Wohnung, als die Schwiegermutter verwundert fragte, warum denn das Sofa an der falschen Wand stehe: "Wollt ihr es nicht lieber hier aufstellen? Die Ecke gegenüber ist doch wie gemacht für den Fernseher!" Das war sie wirklich, die Ecke, mit allen Anschlüssen und so, weil der anonyme Architekt meines Wohnzimmers ganz selbstverständlich davon ausgegangen sein muss, ich wolle zu Hause in erster Linie und möglichst bequem - fernsehen.
Tatsächlich war es so, als hätte mir die Schwiegermutter die ideale Aufstellung eines elektronischen Altars ans Herz gelegt, für die Ausübung einer Religion, der ich schon lange nicht mehr angehöre. Warum auch? Wenn Leute über ihre TV-Erfahrungen reden, dann im gleichen seufzenden Ton, wie das etwa ein Hundebesitzer über seinen neurotischen Dackel tut, der dauernd kläfft und Kinder beißt und auf den Teppich scheißt - aber was will man machen? Was man machen will? Vom Balkon damit.
Jahrelang parkte mein Fernseher noch ungenutzt zwischen Hanteln und Staubsauger in der Abstellkammer, wie in der Küchenschublade die unangetastete Zigarettenschachtel eines stolzen Nichtrauchers. Vor genau zwei Jahren dann habe ich das Gerät über die Brüstung im zweiten Stock gewuchtet und in die zugemüllte Baugrube darunter fallen lassen. Gerade das theatralisch Gewalttätige daran hatte etwas Befreiendes, das Scheppern etwas erfrischend Endgültiges.
In "Leben ohne Fernseher", der bis heute einzigen "qualitativen Nichtfernseherstudie" von 1998, unterscheidet der Autor Peter Sicking drei Typen von TV-Dissidenten: den "aktiven", der einfach zu viel zu tun hat, den "bewusst-reflektierten", dem das alles zu dumm ist, und den "suchtgefährdeten Nichtfernsehertypen". Mir scheint, ich repräsentiere alle drei Typen. Aktuelle Zahlen über die Glotzenverweigerer gibt es kaum, doch schätze ich, sie könnten eine deutsche Großstadt bevölkern.
Dieser Text ist der aktuellen Fernseh-sonntaz vom 29./30.8.2009 entnommen - ab Sonnabend zusammen mit der taz am Kiosk erhältlich.
Die Bilderstrecke zum Thema: "Vor der Glotze"
Und es werden mehr, weil vor allem die Jungen sich eher anderen Informations- und Zerstreuungsapparaten zuwenden, etwa dem Computer oder der Playstation. Unterdessen sagen immer mehr Experten den Untergang des Leitmediums voraus, wofür man freilich kein Experte sein muss. Seit ich nicht mehr fernsehe, grundversorge ich mich anderswo. Intelligentes Fernsehen (etwa "Southpark" oder die "Daily Show") gibts im Internet, gescheite Filme auf DVD oder im Kino. Und wenn mir wirklich mal der Sinn nach Unsinn steht, kann ich ebenso gut durch den Spiegel blättern oder den Wirtschaftsteil der FAZ studieren. Wenn nach Marshall McLuhan gilt: "Das Medium ist die Botschaft", dann lautet sie eben in meinen Ohren: "Schalt mich ab, besser noch: Wirf mich aus dem Fenster!"
Die Entwöhnung hatte schon zuvor eingesetzt, wobei ich nicht einmal sagen könnte, wann und warum. Waren es wirklich all die drolligen Sendungen, in denen ich, meine Fertigpizza verspeisend, auf allen Kanälen und allen Ernstes anderen Menschen beim Kochen zusehen sollte? Bei der Erziehung? Beim Auswandern? Beim Wiedereinwandern? Bei den Gesangsstunden? Beim Reden über "brisante" Themen in Endlosschleife? Beim Speerwerfen? Bei der Tierpflege? Beim Rätseln, ob A, B oder C die richtige Antwort ist? Beim Ermitteln des Mörders? Hallo? Nein, das hier angedeutete Unbehagen würde auf die klassisch-elitäre Haltung des Kulturpessimisten verweisen, der mit Neil Postman das Fernsehen für böse hält.
Ich bin Kulturoptimist und halte das Fernsehen keineswegs für böse. Nur für blöde. Für so blöde, mich als Zuschauer für ebenso blöde und so stumpf zu halten, wie es mich auf die Dauer gerne hätte. Ich halte auch Nutella nicht für böse, fühle aber nach Auslöffeln eines ganzen Glases eine ähnlich schmierige innere Leere wie nach zehn verdrießlichen Minuten mit Johannes B. Kerner. Irgendwann fühlte ich mich schon beim Einschalten dieser Zeitvernichtungsmaschine und Bullshitschleuder wie unsittlich berührt.
Fernsehen ist gewollt. Juristisch ist ganz bewusst aus dem Grundrecht auf freie Berichterstattung ein implizites Recht auf Fernsehen entwickelt worden und aus dem Fernsehen ein Geschäft mit staatstragenden Zügen. Selbst Kommunikationswissenschaftler urteilen hier wie Böcke, die zu Gärtnern gemacht wurden, und empfehlen, wenns hoch kommt, eine "bewusste Reflexion des Programminhalts und eine bewusste Programmauswahl". Hört, hört. Das klingt ganz so, als könne unmöglich ein mündiger Staatsbürger sein, wer nicht regelmäßig Will oder Illner einschaltet und den dort verbreiteten Quark auch noch "in der Familie diskutiert".
Deshalb war der Ausstieg, wie jeder nur privat vollzogene Bruch mit einem System, verdächtig und bedurfte der Rechtfertigung. Damit ist es vorbei. Wenn ein erwachsener Mensch einräumt, süchtig nach "Verbotene Liebe" zu sein, wird das als liebenswertes Eingeständnis einer charmanten Schwäche gewertet. Wer zugibt, kein Gerät zu besitzen, gilt schnell als arroganter Sonderling. Klar, auf Außenstehende muss jede Entfremdung, jede Absonderung vom Kanon befremdlich wirken - was Nichtfernsehende zu einem ähnlich faszinierenden Forschungsgegenstand macht wie jene seltenen Tiefseewürmer, die an den rauchenden Schloten submariner Vulkane nisten. Die entschuldigen sich auch nicht. Und werden immer mehr.
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