Ferien mit Spätfolgen: Leichtes Hohlkreuz mit Entenarsch

Nach einem langen Badesommer mit viel Eis und Cola, Pommes und Bockwurst versucht unser Autor verzweifelt, Haltung zu bewahren.

Mann taucht unter mit einer Badehose

Jetzt sieht es keiner: zuviel Bauch Foto: Gerold Uder/imago

„Schlimm“, sagt der Osteopath, als ich nur in Unterhosen und so aufrecht wie es mir eben möglich ist, vor ihm stehe: „Kein Wunder, dass Sie Probleme haben. So etwas habe ich noch nie gesehen.“

Auf einem Stuhl sitzend begutachtet er meine Körperhaltung. „Versuchen Sie doch einfach mal, komplett locker zu lassen, und eine Haltung einzunehmen, die sich für Ihren Körper richtig anfühlt.“ Das wäre in meinem Fall ein leichtes Hohlkreuz mit Entenarsch, das meine alterskonforme Neigung zum Bäuchlein noch betonen würde.

Doch das schaffe ich nicht. Es ist Frühherbst. Ein langer schöner Badesommer geht gerade erst zu Ende. Über vier Monate lang habe ich den Bauch am See, am Strand, im Schwimmbad so krampfhaft eingezogen, dass ich in dieser Pose quasi eingefroren bin. Nach einem schönen Wochenende habe ich oft so starken Bauchmuskelkater, als hätte ich stundenlang Sport getrieben, und das habe ich ja im Grunde auch.

Erst gestern waren wir noch am Kleinen Schnuffinchensee bei Drivenow. „Mein dickes Nilpferd“, hat meine Frau gesagt, „holst du uns ein Eis oder soll ich uns eins holen?“ Ich übernehme das natürlich immer gern, weil ich eventuell auch Pommes will und ganz vielleicht ’ne Bockwurst dazu. Oder zwei. Und saure Schlangen. Beim Baden kriege ich immer mächtig Kohldampf.

Trend zur Drittwurst

Mit hart in Richtung Lendenwirbelsäule angesaugter Wampe stolziere ich zum Kiosk. Es ist Schwerstarbeit, den Bauch derart einzuziehen. Aber es lohnt sich: Wie ich schön ich bin, ein Adonis, ein perfektes, altersloses Muskeltier! Leider hat der anstrengende Verdünnisierungsversuch die Körperstatik so unnatürlich verändert, dass ich die Beine kaum mehr anheben kann. Ich stolpere über jeden Zweig; es ist im Grunde eine zirkusreife Leistung, dass ich so überhaupt noch laufen kann.

Die hundert Meter zur Fressbude treiben mir den Schweiß auf die Stirn. Ich bekomme Durst. Besser ich hol mir gleich auch noch ’ne Cola. Überdies geht der Trend schon stark zur Drittwurst. Ich muss mich stärken vor dem kraftraubenden Balanceakt zurück zum Liegeplatz. Dann endlich loslassen, ausatmen, die Muskeln entspannen. Bis wieder jemand guckt.

In Wahrheit guckt jedoch kein Schwein. Keine Sau interessiert sich dafür, wie ich aussehe. Warum auch, die Leute wollen sich hier erholen. Sie wollen sich sonnen, schwimmen und eine schöne Zeit haben. Ich habe keine Ahnung, wozu ich den Krampf überhaupt veranstalte. Über die Jahre hinweg hat er sich zu einer reflexhaften Zwangshandlung verselbstständigt, zu einem Verhaltensrudiment aus einer Zeit, da man Gegockel noch irgendwie für relevant hielt.

Autoschikane statt Gelassenheit

Das war damals schon ein Irrtum. Längst hat das eitle Schauspiel auch noch den letzten Bezug zu meiner Lebensrealität verloren. Aus einer Trottellumme wird kein Strandläufer mehr. Was tendenziell schon immer albern war, ist nun so redundant wie die Augen eines Maulwurfs.

Was kommt wohl als Nächstes: ein Dickpic ans Finanzamt? Dabei könnte ich in meinem Alter doch in jeder Beziehung lockerlassen. Aber anstatt mit Gelassenheit antwortet der vom Druck des Wettbewerbs befreite Körper auf einmal mit Autoschikane. Was für ein peinlicher Backlash.

Zurück im Behandlungsraum. „Ich weiß nicht, ob wir das wieder hinkriegen“, sagt der Osteopath und drückt an meinen Weichteilen herum. „Die Organe sind total verschoben“, bemerkt er. „Die Milz ist verklebt, die Leber blockiert, das Herz in der Hose – der ganze Apparat reagiert wie auf ein heftiges Trauma. Wie haben Sie das bloß geschafft?“

„Ich hab mir nur ein Eis geholt“, sage ich. Das allerdings an die fünfhundert Mal, doch das muss er ja nicht wissen. Hauptsache, er macht mein Gestell bis zum nächsten Mai wieder flott.

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