Ferien in Finnland: Nicht wie in Lappland soll es sein
Wer verreisen will, sollte es mal auf die südostfinnische Art tun. Wie in Puumala, wo der riesige See Saimaa alles beherrscht, selbst die Zeit.
Der wichtigste Faktor, sagen Studien über deutsche Touristen, sei das Geld. Die Deutschen reisen preisbewusst, vergleichen die Kosten für Essen und Unterkunft. Ökologische Kriterien sind, dazu kann man Marktuntersuchungen nebeneinanderlegen, eine Art nice to have. Man nimmt sie gerne mit, aber im Endeffekt sind sie nicht so wichtig.
Andererseits gibt es genügend akademische Literatur, die feststellt, dass Umwelteinflüsse die Touristenströme beeinträchtigen. Sehr wichtig dabei: die Temperatur. 30,7 Grad Celsius als Tageshöchstwert wurde als Grenze des Komfortablen ermittelt, alles darüber ist für die meisten anstrengend. Reisende aus OECD-Ländern bevorzugen eine Durchschnittstemperatur von 21 Grad. Wie das alles werden soll, wohin Menschen reisen, wenn durch die Klimakatastrophe ihre Lieblingsregionen ungemütlich und teurer werden? Ein Rätsel mit unzureichender Empirie. Doch der Blick geht nach Norden.
Und findet vielleicht ein paar Lösungen im Landkreis Puumala, im Südosten Finnlands. Die Straßen ziehen hier weite Bögen, das Wasser bestimmt die Gegend. Der Saimaa, der viertgrößte Süßwassersee Europas, scheint mit dem Land zu ringen. Nicht klar, ob die vielen Felsen und die dichten Wälder den See einzwängen oder von ihm, kaum dass man mal nicht hinschaut, zurückgedrängt werden. Eine Eiszeitformation mit über 14.000 Inseln, manche gerade groß genug für einen Liegestuhl, andere spärlich mit Birken bestanden. Dann wieder gibt es solche, die Siedlungen beherbergen, auf denen Bauern Felder bearbeiten, und Sümpfe, über denen dichte Mückenschwärme stehen.
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Vielleicht, weil es von denen auch sonst viele gibt, weil Seen und Felsen immer schon alles beschwerlich machten, ist die Region dünn besiedelt. Im Landkreis Puumala, etwa halb so groß wie das Saarland, leben etwas über zweitausend Menschen. Also keine drei pro Quadratkilometer. Aber die Region ist ein beliebtes Urlaubsziel für den innerfinnischen Reiseverkehr, bis vor Kurzem gesellten sich viele Russen dazu. Fast dreimal mehr Sommerhäuschen stehen herum als Menschen hier wohnen. Dabei wächst die Zahl kleiner Unterkünfte, inzwischen gibt es ein paar fabelhafte Restaurants. Man muss in Bögen zu ihnen finden – etwa ein Drittel des Landkreises ist See.
Im gelben Haus auf dem Hügel
Und damit wären wir bei Asta Aalto und Ilkka Arvola, hinter einer schmalen Brücke treten sie aus dem Wald. Anhalten, Willkommen bei Uhkua. So heißt ihr kleines Unternehmen, es geht um Naturerlebnisse. Dazu später mehr, jetzt erst einmal die Böschung hinab ans Ufer und zu einem milden Wald-Aperó, sauer, zitronig, frisch, die jungen, hellgrünen Triebe der Fichten sind darin verarbeitet, ein buttriges Kleeblatt schwimmt obenauf.
Die beiden wohnen auch hier. Ihnen war das gelbe Holzhaus auf dem Hügel aufgefallen, als sie sich bereits entschieden hatten, Asta sagt das in einer schönen Wendung, den Weg gemeinsam zu gehen. Vor etwas über zwei Jahren zogen sie ein. Die Besitzer wollen gar keine Miete, sondern ein neues Dach, die beiden sollen die Dinge in Schuss halten. Bis zum nächsten Nachbarn fährt man eine Weile, das mit den drei Bewohner auf dem Quadratkilometer ist eher so ein Mittelwert.
Kein ganz einfaches Leben. Asta, feine Ohrhänger mit zu Würfeln geflochtenem Holz, legt den Kopf kurz zur Seite. Ilkka trägt Strohhut und Kinnbart in etwa derselben Farbe, seine kräftigen Hände sehen nach grober Arbeit aus: In die kleine Sauna aus dem 19. Jahrhundert hinter uns hat er kürzlich einen größeren Ofen eingebaut. Und weil es ja schon einmal um Temperaturen ging – die sind ein Thema hier. Im Winter seien sie manchmal fünf Stunden am Stück mit dem Schneeräumen beschäftigt, erzählt Asta. Danach zeige das Thermometer sieben Grad an. Im Wohnzimmer.
Asta hat dafür ihr Geschäft für Inneneinrichtung in Salo (rund 26 Menschen pro Quadratkilometer) aufgegeben. Zu viel das alles, zu voll, sie machte eine Ausbildung zur Wildnisführerin. Ilkkas Eltern haben ein Häuschen in der Gegend, er wurde in Helsinki und London zum Spitzenkoch, führte einen eigenen Laden – und hatte irgendwann genug. Nun wollen sie Antworten auf die Frage nach dem Urlaub im Norden bieten.
Erst einmal eine kleine Rundfahrt mit dem alten Fischerboot, nagelnder Dieselmotor, gemächliche Geschwindigkeit. Hinter der Brücke öffnet sich der See, das Ufer tritt zurück, windet sich in tausend Buchten, verschwindet hinter Landzungen und Nasen. Felsen ragen aus Wäldern oder liegen im Wasser, die Eiszeit hat sie rundgewaschen.
Ilkka hat einen Fuß auf der Brüstung, mit dem anderen bedient er Gashebel, kurbelt am Steuerrad. Er zieht eine große Schleife, vielleicht muss man all das Wasser besser als Labyrinth, ein eng geknüpftes System vieler Seen beschreiben – jedenfalls ist der Saimaa jetzt im Juni zu jeder Tageszeit dunkler als Himmel und Wälder: Die Sonne nippt in der Nacht nur kurz hinter den Horizont, hält sich als roter Schimmer und steigt nach zwei Stunden wieder auf.
Gegen die Erwartung
Urlaub in diesen Regionen ist nicht die erste Wahl für deutsche Reisende – günstig ist das hier alles nicht, auch die Mücken spielen eine Rolle, vielleicht aber werden hier überschießende Erlebniserwartungen solide unterlaufen. All das Tun und Suchen? Viele Finnen schauen einen da mit einer gewissen Überraschung an: Tja nun, wozu das alles im Urlaub?
Der See ist frisch, als wolle er an seinen Ursprung unter kilometerdicken Eisschichten erinnern. In windstillen Abendstunden liegt er da wie angefüllt mit zerflossenem Metall. Man kann dann denken, dass sich etwas von der langsam zergehenden Zeit in seiner dunklen Oberfläche spiegelt, etwas Altes kommt zum Vorschein: die Ahnung, dass wir flüchtige Gäste sind. Wenn man aufschaut, spart sich der dichte Wald am Ufer jeden Kommentar. Die Welt hier drängt nie ins Spektakuläre, sie zieht sich leicht onduliert, ihr reicht stille Nüchternheit.
In Finnland stört das niemanden. Im Gegenteil, Finnen fahren (wenn sie sich nicht steuergünstig auf Ostseefähren komplett den Kittel lackieren) meist zu ihrem Mökki. Das ist das Sommerhaus, es steht im besten Fall im Wald und am Wasser und lässt außerdem so viel Abstand zum Nachbarn, dass man ihn nicht sehen muss. Dann spalten sie etwas Holz, werfen die Sauna an, sitzen da. Schauen auf Bäume und Wasser. Holen Fisch aus dem See, bücken sich kurz für Beeren und schauen noch etwas mehr.
An den Saimaa zu fahren, bedeutet für weniger finnische Reisende also ein kleines Kontrastprogramm zum engen Rhythmus des Alltags – den wir oft genug mit einiger Erlebniserwartung auch in unsere Ferien verlängern. Stimmt das so weit, Asta Aalto?
Nicht wie in Lappland
Sie lacht. Nicht ganz falsch: Sie hat von Workshops gehört, in denen Reisende ihren „inneren Finnen“ kennenlernen, die all die Dinge vermitteln sollen, die Finnen von klein auf lernen. Also: Beeren pflücken. Töpfern. Piroggen backen. Auf den See schauen. Seit Kurzem vielleicht noch aus der Haltung des herabschauenden Hundes. Mit Uhkua gehen sie grob in die Richtung, wollen aber vor allem vermitteln, dass man Zeit mit wenigen Dingen verbringen kann. Vor allem, sagt sie, geht es erst einmal darum, die Dinge „nicht so zu machen wie in Lappland“.
Überraschender Satz, den man häufiger in der Gegend hört, wenn man mit Wirten, Gutsbesitzern, Menschen die Ferienhäuser aufstellen, spricht. In Lappland organisieren inzwischen große Ketten Erlebnisreisen, um die Abfertigung von, nun ja, Massen zu organisieren. Charterflüge im Winter, Charterflüge im Sommer, Briten in Hotelkästen, Amerikaner auf Motorschlitten, Franzosen bei der Polarlichtsuche, Deutsche im Rentiergehege.
In Lappland, der flächenmäßig größten Region des Landes – die Saarlandskala reicht da nicht, der Norden Finnlands ist mehr als doppelt so groß wie Niedersachsen –, leben nicht einmal 180.000 Menschen. Also 1,8 auf dem Quadratkilometer. Im vergangenen Winter wurden sie von einer Millionen Touristen aus dem Inland und fast noch einmal 600.000 internationalen Gästen besucht. Über ein Viertel aller Übernachtungen im hohen Norden sollen in diesem Jahr Chinesen buchen.
„Nicht wie in Lappland“ bedeutet auch, rücksichtsvoller mit der Umwelt umzugehen. Der Rat der nordeuropäischen Regierungen hat Nachhaltigkeit im Tourismus als „zentrales Thema“ ausgemacht, nordeuropäische Länder sollten „von Überbelegung und Massentourismus“ absehen, steht in seiner strategischen Tourismusanalyse. Der Rat erwähnt keine konkreten Fälle, und auch nicht, dass Finnen zwar viel über Nachhaltigkeit reden, aber in anderen Ländern mehr passiert. So wurde in Norwegen der Gebrauch von lärmenden Motorschlitten längst erheblich eingedämmt oder für den touristischen Bereich ganz verboten. Daran kann man denken, während uns auf dem Saimaa drei auf Jetskis entgegenkommen.
Lärm und viele Menschen wollen sie hier eher nicht. Was dann? Ilkka dreht sich, kurbelt am Steuerrad, wir kehren zurück zur Brücke, hinter der Inseln den See in eine Enge zwingen. Bojen wie überdimensionierte Poolnudeln markieren die Fahrrinne. Ilkkas rechter Fuß nimmt Fahrt raus, wir richten uns zum Ufer. Qualität, sagt er.
Wenn Finnen Qualität sagen, meinen sie vor allem: Natur. Sauberes Wasser, Luft, Lebensmittel – weit über die Hälfte der Finnen sammelt jedes Jahr Pilze und Beeren, Kräuter und eben Fichtenspitzen, Dutzende Kilos sind es jedes Jahr pro Kopf. Dazu fangen sie Fisch, jagen, stellen Fallen. All das, zurück zu Uhkua, kann man mit kleinen Besuchergruppen machen. Ilkka kocht und brät dann den Ertrag über offenem Feuer – dazu junge Kartoffeln, Salat, Gurken, ein paar Kräuter, alles aus dem eigenen Gewächshaus.
Er ist eine der treibenden Kräfte hinter dem Zusammenschluss Designation of Origin Saimaa. Dort zertifizieren sie regionale Produkte und Restaurants und haben Anfang des Jahres einen Preis gewonnen: 2024 ist die Region Saimaa die European Region of Gastronomy.
Ein Floß mit einer Sauna haben Ilkka und Asta ebenfalls gebaut, also muss man da nun hinein. Anders als in Deutschland gehen Männer und Frauen getrennt und zu jeder Tageszeit. Über den deutschen Gedanken, im Sommer vielleicht mal nicht in die Sauna zu gehen, lacht man in Finnland. Ein zweites Floß ist ein paar Meter weiter vertäut, hier kann man schlafen. Das Seewasser, erzählt Ilkka hinterher, trinken sie im Winter. Jetzt gerade sind zu viele Blütenpollen darin.
Acht Wochen dauert ein Sommer hier nur. Im August leeren sich die Ferienhäuser, es wird schnell kühl. Das weit über Finnland bekannte Opernfestival von Savonlinna ist vorbei, die Sommertheater haben ihre Saison beschlossen, die kleinen Höfe fahren die Ernte ein. Dann wird es noch ruhiger in dieser stillen Region. Asta erzählt von Wanderungen, auch im Regen, sie will mit Urlaubern im Herbst Pilze sammeln und kochen. Die rostrote Landschaft ist dann ein Spektakel. Man muss, sagt sie, bereit sein, Abstand zu gewinnen. Dann kann man lange auf den See schauen.
Und schließlich der Winter, Ilkka fischt auch im Eis, sie machen Touren mit Ski und Schneeschuhen. Denken sich Urlaub als Zurückdrehen unserer Entfremdung von der Welt, jenseits von Spektakel und Städten. Man muss, sagt Asta, bereit sein, sich den Rhythmen der Natur unterzuordnen. Die beiden schauen eine Weile, wissend, dass es eine andere Wahl hier sowieso nicht gibt.
Transparenzhinweis: Die Recherche wurde unterstützt von Visit Finland.
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