Fehlende Glücksgefühle: "Das Fremde in mir"
Emily Atefs Film erzählt die Geschichte von Rebecca, die nach der Geburt ihres Kindes nicht die Muttergefühle entwickelt, die von ihr erwartet werden.
Strahlen soll man. Mit der Aureole der Gebenedeiten um die Wette. Der weibliche Unterleib ist schließlich gesegnet, durfte empfangen, sich fast zerreißen. Nach zwanzig, dreißig Stunden "spontanen" Gebärens ist er dann da, dieser Mehrzeller. Für manche Frauen entknotet sich in diesem Moment auf wundersame Weise das eigene Leben, sie finden endlich und sofort unhintergehbare Erfüllung. Für Paul, Finn, Lilli oder Zoe würden sie sich vor den Zug werfen. Das ist die wahre Mutterliebe, die eigene Überhöhung, die Erweiterung des eigenen Leibes.
Für andere ist es jedoch der Anfang der Auflösung. Eine zutiefst verdächtige Reaktion, geradezu barbarisch. Da denkt man an schreckliche Funde in Tiefkühltruhen und Blumentöpfen. So etwas gehört bestenfalls ins Tierreich. Irgendwer hat irgendwann einmal festgestellt, dass das Prolaktin, das für den Milcheinschuss verantwortliche Hormon, bei Ratten dafür sorgt, dass sie nicht all ihre Jungen fressen.
Dass die Liebe zum eigenen Kind keine hormonell beschleunigte Selbstverständlichkeit ist, sondern ein Prozess, der von einer postnatale Depressionen, einer schweren Krankheit, gestört sein kann, ist immer noch ein Tabu. Daraus einen Filmstoff zu entwickeln, wie es Emily Atef, Absolventin der Berliner Filmhochschule DFFB, in ihrem Spielfilmdebüt "Das Fremde in mir" unternommen hat, ist mutig. Denn wie will man in 90 Minuten die Ungeheuerlichkeit bebildern, dass eine Mutter ihr Kind nicht mit Liebe überschüttet, sondern stumpf auf ihren Zuwachs starrt?
Atef entscheidet sich für eine subtile, konzentrierte Bildsprache, die mit der Ikonografie des traditionell Weiblichen spielt. Sie zeigt ihre Protagonistin, die Floristin Rebecca, mit hochgesteckten Haaren vor goldgerahmten Spiegeln, zeigt sie beim Einkaufen, Kochen, Blumenstecken. In immer weiter werdenden Ausschnitten verliert sich die Heldin in diesen visuellen Zuschreibungen familialer, reproduktiver oder dekorativer Verrichtungen. Bis auf wenige Szenen einer therapeutischen Sitzung verlegt sich der Film, und das ist seine eigentliche Stärke, ganz aufs Zuschauen. Er verzichtet auf psychologische Einordnungen, Erlösungsmodelle, überhaupt auf Versprachlichung.
Dafür verlässt sich der Film umso stärker auf seine Hauptdarstellerin Susanne Wolff, die klug zwischen dem maskenhaften Ausdruck des Depressiven, plötzlich durchblitzenden Aggressionen und bodenloser Verzweiflung wechselt. Wenn sie das Kind auf dem Arm so madonnenhaft arrangiert, wie es im Bild unserer Kultur zu sein hat, oder es beim Baden einen Hauch zu lange unter Wasser rutschen lässt, wird das ganze Spektrum von einer erschütternden Hilflosigkeit offenbar. Eine Hilflosigkeit, die sich traut, nicht allein eine Mutterschaft in Frage zu stellen, sondern einen kulturellen Gemeinplatz.
"Das Fremde in mir". Regie: Emily Atef. Mit Susanne Wolff, Johann von Bülow u. a., Deutschland 2007, 90 Min.
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