Fazit des Kirchentags: Kirche will politisch sein

Die evangelische Kirche bekommt die Bilder, die sie sich gewünscht hat: Vor der Kulisse Wittenbergs feiern Zehntausende die Reformation und sich selbst.

Viele Menschen sitzen auf einem weiten Feld in der Sonne, zwei von ihnen schützen sich mit bunten Regenschirmen

Nur nicht in Deckung gehen: Christen beim Kirchentag in Wittenberg Foto: dpa

BERLIN dpa | Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) will sich immer wieder lautstark in gesellschaftliche Debatten einbringen und das Gespräch auch mit denen suchen, die Dialog ablehnen. Das unterstrichen der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm und andere Spitzenvertreter zum Abschluss des fünftägigen Kirchentages in Berlin und Wittenberg.

„Aktiv werden und sich einmischen, wo die Würde des Menschen bedroht ist und wo die Natur, die uns als Schöpfung Gottes anvertraut ist, zerstört wird – das ist die Berufung, aus der wir Christinnen und Christen leben“, sagte der bayerische Landesbischof am Sonntag vor 120 000.Gläubigen beim Abschlussgottesdienst in Wittenberg. „Wir sind so viele, man soll es merken.“

Kirchentagspräsidentin Christina Aus der Au betonte, die Kirche werde in ihrem Engagement für Flüchtlinge nicht nachlassen. Sie kritisierte das Vorgehen vieler Politiker, die sagten: „Wir können nicht allen helfen“. Aus der Au: „Diesem Zynismus werden wir nicht folgen.“

Identitätssuche darf nicht zur Abschottung führen

Die AfD und einige CDU-Politiker hatten der Kirche zuletzt vorgeworfen, sich zu sehr in die Politik einzumischen, statt sich um Glaube und Seelsorge zu kümmern. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ermunterte die Kirchen hingegen dazu.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hob in seinem Grußwort in Wittenberg das soziale, aber auch das geistliche Engagement der Kirchen hervor. „Ohne das alles würde unserer Gesellschaft viel Wärme und Menschlichkeit fehlen.“ Die Kirchen leisteten einen „Dienst an der Gesellschaft“. Steinmeier ermunterte evangelische und katholische Kirche, in der Ökumene mutig aufeinander zuzugehen.

Bei einer Kirchentags-Diskussionsrunde am Vortag in Berlin hatte er vor Gefahren für den gesellschaftlichen Zusammenhalt gewarnt, etwa durch Häme, Hass und Härte in Online-Kommentaren. Steinmeier beklagte eine „neue Faszination des Autoritären“ und die „Wiederbelebung des Völkischen“. Viele Menschen seien von der Globalisierung überfordert und reagierten darauf mit einer Rückkehr zum Nationalismus.

Zwar sei die Suche nach Identität nicht verwerflich. Wenn die Antwort darauf aber Abschottung sei, werde es gefährlich. „Wir müssen in unsere Urteilskraft investieren“, mahnte Steinmeier. „Die Zersetzung der Vernunft ist der Anfang der Zersetzung der Demokratie.“

Mit jedem reden – auch, wenn es schwerfällt

Aus der Au sagte in Wittenberg: „Das Gespräch ist auch mit jenen zu suchen, die keinen Dialog führen wollen. Das ist anstrengend und kann verletzen. Aber nur das durchbricht die verbale Aufrüstung und Gewalt.“ Klar sei: „Wir suchen die Auseinandersetzung mit Worten, nicht mit Waffen. Und von Angesicht zu Angesicht und nicht anonym im Netz. Wir sehen einander an.“

Der Kirchentag mit rund 2500 Veranstaltungen stand in diesem Jahr ganz im Zeichen des Jubiläums 500 Jahre Reformation. Die Veranstalter zählten an den Programmtagen in Berlin 106 000 Dauerteilnehmer sowie 30 000 Tagesgäste, „Stargast“ war Ex-US-Präsident Barack Obama. Dann fuhren am Samstag und Sonntag viele Teilnehmer mit Sonderzügen, Bussen oder Autos nach Wittenberg, wo sie auf den Elbwiesen bei herrlichem Sommerwetter einen stimmungsvollen Abschlussgottesdienst feierten. Etliche verbrachten bereits die Nacht auf dem Festgelände bei Liedern, Gebeten und Kerzenschein.

Die Einbindung Wittenbergs war den Organisatoren wichtig, weil Martin Luther hier der Überlieferung nach am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen anschlug – dies gilt als Ausgangspunkt der Reformation. Parallel zum großen Kirchentag gab es in den „Reformationsländern“ Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen sechs kleinere Kirchentage auf dem Weg. Dorthin kamen weniger Teilnehmer als ursprünglich erwartet.

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