Fassaden-Zeichnung verschwindet: Der Bär hat ausgespielt
Seit 1986 prangt der kickende Bär von der Brandmauer der Schönhauser Allee 135. Dem Künstler war er peinlich, Zugezogenen ein Symbol. Nun verschwindet er.
Ein bisschen ist der kickende Bär Andreas Zahlaus’ heute noch peinlich. „Das war eine Auftragsarbeit“, sagt der Künstler und Bildhauer fast entschuldigend. „Der Magistrat wollte zur 750-Jahr-Feier an der Brandmauer einen Hinweis auf das renovierte Stadion und hat den Künstlerverband beauftragt.“ Zahlaus, damals 36 Jahre alt, war Kandidat des Verbands und sagte zu. „Vor mir haben zwei abgesagt, aber ich brauchte das Geld.“
Ganze drei Tage Zeit hatte der geborene Zwickauer, der 1979 zum Studium an der Kunsthochschule Weißensee nach Berlin gekommen war, für die Umsetzung an der Brandmauer der Schönhauser Allee 135. „Ich hab mir extra noch einen Kumpel dazugeholt, zum Ausmalen“, erinnert sich Zahlaus.
Hintergrund für den Auftrag war ein Facelifting in Prenzlauer Berg. Berlins 750-Jahr-Feier 1987 warf ihre Schatten voraus – hinzu kam die Konkurrenz zum Westteil der Stadt, der das Jubiläum ebenfalls nutzen wollte, um sich in Szene zu setzen.
Ein Jahr vor der Feier war in Ostberlin nicht nur der umgestaltete Jahn-Sportpark fertig, sondern auch die Fassade an der Schönhauser 135 neu gestrichen worden. „Vorher war da eine Friseurwerbung angebracht mit einem Frauenkopf und hochtoupierter Frisur“, erzählt Zahlaus, der damals in der Pappelallee wohnte.
Dass er es war, der dem Prenzlauer Berg den Bären verpasst hat, hat Zahlaus aber für sich behalten. „In Künstlerkreisen hieß es damals: Wir machen Kunst und keine Auftragskunst. 1988 wurde vom Dach sogar ein Farbkübel auf den Bären geleert.“ Nicht nur Künstlern war der Fußballbär offenbar suspekt, sondern auch dem rebellischen Prenzlauer-Berg-Volk.
Nie hätte sich Andreas Zahlaus damals träumen lassen, dass sein schnell aufgepinselter Bär einmal zum niedlichen Symbol des Bezirks werden würde – das nun bald verschwinden wird: Unaufhaltsam schraubt sich der Rohbau des Immobilienprojekts „Cantian-Eck“ auf dem Nachbargrundstück in die Höhe. Bald werden Brandmauer und kickender Bär Geschichte sein.
Richtige Verlustgefühle hat Jens-Holger Kirchner nicht, wenn er an den Bären denkt. „Eine Ikone war das nicht“, sagt er. „Aber der Bär gehörte dazu.“ Ein wenig trauert der ehemalige Bürgerrechtler dem Bären dennoch hinterher. „Aber die Brandmauer war nicht zu retten“, sagt Kirchner, der seit 2011 Baustadtrat in Pankow ist. „Der Investor hatte seit 2009 Baurecht, da war klar, dass die Brandmauer verschwindet.“ Und der Bär mit ihr.
Stefanie Gronau hat den Bären gerettet – zumindest auf ihren Schreibtisch. Zur Fußball-Weltmeisterschaft 2006 hat die Mitarbeiterin des Tourist Information Center (TIC) in der Kulturbrauerei T-Shirts und Postkarten mit dem Bären drucken lassen. „Das war unser Pankower Beitrag zur WM“, sagt Gronau, die damals von Andreas Zahlaus die Nutzungsrechte bekam. „Vor allem für die Kinder war das eine tolle Idee. Die finden den Bären richtig gut.“
Als Stefanie Gronau ihn angesprochen hat, ist Andreas Zahlaus klar geworden, dass sein Bär ein Eigenleben entwickelt hatte. Dass er ein wenig Kult geworden war, ein altmodisches Zeichen in einem ständig sich wandelnden Bezirk. „Erstaunlicherweise waren es die Zugezogenen, die den Bären plötzlich für sich entdeckten“, staunt er noch heute. „Die haben mir sogar Mails geschrieben, wie wichtig der Bär für den Prenzlauer Berg ist.“
Zahlaus kann mit diesem Retro-Trip wenig anfangen. „Ich bin Künstler, ich verkaufe Kunstwerke. Wenn ich ein Problem damit hätte, dass mir ein Werk verloren geht, dürfte ich kein Künstler sein.“
Stephan Höhne hat noch keine Mails bekommen. „Da hat sich keiner gemeldet und protestiert: Wir könnt ihr nur!“ Höhne ist der Architekt des „Cantian-Ecks“, und natürlich hat er sich Gedanken über den Bären gemacht. „Die Brandmauern prägen Berlin ja noch immer. Entlang der S-Bahn haben sie ja eine geradezu skulpturale Dimension.“ Den Bären als Logo oder Motiv in den Neubau zu integrieren kam Höhne dennoch nicht in den Sinn, Kontakt zum Künstler gab es nicht. „Das ist keine Skulptur, sondern eine bemalte Fläche. Die kann man nicht einfach so abnehmen.“ So ist das eben, meint der Architekt: „Das ist die natürliche Veränderung von Stadt.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rechtspopulistinnen in Europa
Rechts, weiblich, erfolgreich
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Landesparteitag
Grünen-Spitze will „Vermieterführerschein“
Die Wahrheit
Herbst des Gerichtsvollziehers