Farocki-Film über Ziegel: Der Arbeit zusehen
Der Mensch hat den Ziegel noch vor der Schrift erfunden: Harun Farocki beobachtet seine Produktion weltweit - von der Handarbeit bis zum Roboterarm.
Ein Ziegelstein ist ein Objekt der Geduld und der Verwandlung. Er entsteht, indem Erde mit Wasser vermischt, in Blöcke gepresst oder geschnitten und anschließend zum Trocknen aufbewahrt wird. Aus einer unförmigen Masse geht die einfachste geometrische Form hervor, aus vielen Ziegeln wachsen Bauwerke in allen nur denkbaren Gestalten und Funktionen: ein Brennofen, eine Schule, ein Wohngebäude, ein Designobjekt. Kein Ziegel kommt allein, jeder verbürgt das Prinzip der Wiederholung: ein Ziegel und noch einer und noch einer …
Wie auf dem Weg vom Baustein zum Haus das Gleiche und das Verschiedene, die Repetition und die Varianz zusammenkommen, setzt Harun Farockis filmischer Essay "Zum Vergleich" ins Bild. In Burkina Faso und in Indien, in Frankreich, Deutschland und der Schweiz beobachtet der Film die Arbeitsschritte bei der Herstellung des ältesten künstlichen Baumaterials der Geschichte. Der Mensch hat den Ziegel erfunden, bevor er die Schrift gekannt hat.
Im Hausbau kommt die Gemeinschaft zusammen. In Afrika entsteht eine Krankenstation. Das Baumaterial wird vor Ort produziert, jeder trägt seinen Teil dazu bei. Menschen organisieren sich in Verkettungen, Steine und Werkzeuge wechseln die Hände. Es geht langsam voran, aber es geht voran. Man kann zusehen, wie ein Zweck verwirklicht wird.
In Europa entstehen Steine auf Vorrat. Maschinen transportieren die im Sekundentakt ausgespuckten Bauelemente in riesige Trockenöfen. Am Schaltpult neben der Maschine steht ein Mann, die Arme hinter dem Rücken verschränkt. Nur ein weiterer Betrachter der Szene, genau wie wir. Entgegen einem allzu nahe liegenden Verdacht betreibt der Film allerdings keine wohlfeile Verklärung manueller Produktionsbedingungen. Er deutet eine Zeit lang diese Richtung an, skizziert eine lineare Logik des technischen Fortschritts, die von der Hacke zum Roboter führt, von der Handarbeit zur Entfremdung, von überbevölkerten Baustellen zu vollautomatisierten Fabriken, die von beinahe allen Arbeitern verlassen wurden. Doch dann schlägt er eine Volte und zeigt, wie die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen in einer globalisierten Welt die verschiedensten Mischformen aus sich herausgetrieben hat.
So bleibt noch in der hochtechnisiertesten Produktion der Moment des Händischen, Anfassbaren. Von weltvergessener Eleganz etwa sind die fordernden, zurückhaltenden, lenkenden Gesten der Hand des Vorarbeiters, der einen Kran dirigiert, der eine vorgefertigte Wand an die richtige Stelle platzieren soll. Ein Roboterarm setzt in der Schweiz Stein für Stein zu einem Bild aufeinander: Industrie des Ästhetischen.
In Indien hat man das Verfahren der Ziegelherstellung bis zu einem Punkt radikaler Effizienz vorangetrieben, indem man das traditionelle Verfahren umkehrt: Erst wird mit nassen Ziegeln das Haus gebaut, dann wird gebrannt. Das Feuer dient zugleich zur Trocknung weiterer Ziegel, der Erlös aus ihrem Verkauf finanziert den Bau. "Für diesen Bau wird nichts importiert und nur menschliche Energie aufgewendet", kommentiert der Film das soziale Projekt anerkennend. In einer Fabrik in Deutschland wird das Fließband musikalisch. Mit Glöckchen und Klang-Hämmerchen werden die Ziegel auf unsichtbare Risse überprüft.
In seiner Zurücknahme filmischer Mittel ist Farockis Essay geradezu spielerisch. Keine kommentierende Stimme, keine Interviewpartner. Rhythmisiert wird der Film lediglich durch Zwischentitel, die als schwarzweiße Piktogramme den nächsten Ortswechsel ankündigen und das folgende Produktionsverfahren skizzierend erläutern. Das Schematische wird überbetont, um sich umso besser auf die Details einlassen zu können. Orte werden zu Schauplätzen, die zu Entdeckungen mit dem Auge einladen. Die elegant geworfene Schaufel, der verpatzte Fang danach. Die Gleichmütigkeit, mit der Frauen enorme Mengen von Ziegelsteinen auf ihren Köpfen transportieren und balancieren. Überhaupt ist der Film ein reicher Fundus für eine Erkundung der Geschlechterverhältnisse. Er ist eine Aufforderung an den Zuschauer, selbst den "Vergleich" zu ziehen, den der Titel benennt, und das vorgeführte Material ist Angebot, nicht Lektion.
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