Fans auf der Berlinale: Profis tragen die richtige Unterwäsche
Auf dem roten Teppich präsentieren sich die Filmstars. Neben dem roten Teppich drängeln sich die Autogrammjäger. Manche Fans verweilen dort nur ein paar Minuten, andere opfern ihren Jahresurlaub, um einen Schriftzug zu ergattern
"Entschuldigung, warum stehen wir hier?", fragt die adrett gekleidete Dame vor dem Hyatt Hotel am Potsdamer Platz. "Ich glaube, Kevin Spacey kommt gleich raus", antwortet ihr Lindi Wilmes. Sie selbst sei nur zufällig vorbeigekommen und habe sich der wartenden Menschenmenge angeschlossen. Maria Wolters, die jedes Jahr zur Berlinale kommt, gesellt sich zu ihr. "Ich hoffe, er kommt bald raus. Viel Zeit habe ich nicht."
Die Sonne scheint, aber es ist eiskalt. Der Wind pfeift durch die Häuserschluchten am Potsdamer Platz. Dennoch warten um 11 Uhr rund 50 Menschen hinter Gittern auf das Ende der Pressekonferenz zu dem Film "Margin Call". Die weit hinten stehenden Damen nutzen die Zeit zum Fachsimpeln über die Berlinale. "Die Fahnen am Berlinale-Palast sehen in diesem Jahr sehr billig aus. Wie der Eingang zum Baumarkt", beklagt Lindi Wilmes. Plötzlich wird der Nebeneingang des Hotels geöffnet. Ein Raunen geht durch die Menge. Man drängelt, man schubst. "Mr Irons, Mr Spacey, please!", schreien die Leute. Die Schauspieler verteilen auf dem Weg zu ihren Autos Autogramme. Nach drei Minuten ist das Spektakel vorbei. Die zwei Damen verabschieden sich und gehen wieder getrennte Wege. Die Menge löst sich auf.
Jetzt werden diejenigen sichtbar, die ganz genau wussten, worauf sie seit dem frühen Morgen gewartet haben: die Autogrammjäger. Unter ihnen Katrin Selig. Die 30-jährige Textildesignerin ist glücklich, alle Autogramme aus dem Film "Margin Call" zusammenzuhaben. "Jetzt muss ich heute Abend nicht mehr zum roten Teppich gehen." Schon seit der Verleihung der Goldenen Kamera vor einer Woche ist Selig in Berlin. Sie verbringt ihren "Jahresurlaub" in der Hauptstadt. Mit richtigem Namen möchte sie nicht genannt werden, denn ihr Hobby sei sehr verpönt. "Ich habe Angst, deswegen mal einen Job nicht zu bekommen."
Ihrer Freundin Ida Meyer laufen Tränen übers Gesicht. Keiner der Stars hat bei ihr unterschrieben. "Ich weiß nicht, warum. Vielleicht hatte ich das falsche Foto." Das richtige Foto, der richtige Ort, der richtige Zeitpunkt - hinter dem Sammeln von Autogrammen steckt eine ganz eigene Wissenschaft.
Katrin Selig hat ihre Berlinale-Planung schon vor Wochen begonnen. Sie arbeite eng mit anderen Sammlern und Presseleuten zusammen, erzählt sie. "Man schiebt sich schon mal gegenseitig Informationen zu." Häufig wüssten die Autogrammjäger mehr als die Presse. "Wir kennen die Stars. Ihre Gewohnheiten und Lieblingsorte." Die Sammler arbeiten im Team. "Wir sind wie eine große Familie", sagt Katrin Selig und fügt mit einem Lachen hinzu: "Wenn die Stars dann aber auftauchen, ist sich jeder selbst der Nächste."
Hektisch eilt eine Frau zum Berlinale-Palast, um sich für die Premiere am Abend einen Platz am roten Teppich zu sichern. Ihre Ausbeute nach der Pressekonferenz sei gut. "Ich habe ein Autogramm von diesem Quincy oder so", sagt sie im Vorbeigehen. "Der heißt Zach Quinto!", ruft ihr Katrin Selig wütend hinterher. Sie selbst kenne alle Stars, von denen sie Autogramme sammelt. Das sei aber nicht bei allen Sammlern der Fall. "Die stellen sich hier hin, sprechen die Promis mit falschem Namen an und sind unfreundlich." Dabei seien Freundlichkeit und ein gutes Auftreten entscheidend für ein Autogramm. Selig versucht auch bei Minusgraden gut auszusehen. "Ich habe mich hübsch gemacht, trage aber heimlich Skiunterwäsche."
Entscheidend sei auch der Stift. Für alle Hintergründe eigne sich laut Selig am besten ein blauer Filzstift. Den würden aber auch die Autogrammdealer benutzen. "Viele Stars wissen das und unterschreiben daher nicht mit einem blauen Stift", erklärt der Profi. Wichtig sei auch die Auswahl des Fotos, auf dem die Stars unterschreiben sollen. "Auf ein A4-Foto passt noch eine Widmung. Manche Stars unterschreiben aber nur mit einem Kürzel, da eignet sich besser ein kleines Bild."
Am Abend bei der Premiere zu "Margin Call" versucht Ida Meyer erneut ihr Glück. Wieder ist die 40-Jährige den Tränen nahe. Eine Promoterin habe sie von ihrem Platz verdrängt, um den sie seit Stunden in der Kälte kämpft. Um 19 Uhr betreten die Hauptdarsteller den roten Teppich. Hunderte Menschen haben auf diesen Moment gewartet. Ida Meyer hat Glück. Kevin Spacey nimmt sich viel Zeit für seine Fans. Er gibt Autogramme, posiert für Fotos und schüttelt Hände. Anders sein Kollege Jeremy Irons: Der lässt sich nur kurz blicken. Nach einer Viertelstunde verschwinden die Promis im Palast. Für die Autogrammjäger ist der Tag noch lange nicht vorbei. "Wir gehen uns jetzt aufwärmen und überlegen uns, wie wir heute noch Jeremy Irons kriegen", sagt Meyer. Die Sammlung müsse schließlich voll werden.
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