Fankultur: Die Avantgarde
Die Fans von FC St. Pauli haben Anti-Rassismus in den Stadien etabliert. Später wurden sie Teil der Vereins-Mythologie und dann Teil des Geschäfts. Und nun? Ein Ausblick.
Ein Fußballfan habe keine Wahl, hat der Autor Nick Hornby einmal geschrieben: "Seinen Fußballverein sucht man sich nicht aus, er wird einem gegeben!" Für den FC St. Pauli gilt die vermeintliche Weisheit nicht - das hat gerade das Fanzine Der Übersteiger betont, als die Macher mal wieder darüber nachdachten, warum sie St.-Pauli-Fans sind.
Eine der maßgeblichen Errungenschaften, die der FC St. Pauli ab Mitte der 80er Jahre dem Fußball bescherte, ist damit benannt. Wer mit einem anderen Klub gebrochen hatte, hatte nunmehr eine Alternative. Zunächst konvertierten langjährige HSV-Fans, die nicht mehr bereit waren, mit den damals im Volkspark omnipräsenten Nazis in einer Kurve zu stehen. Und nachdem St. Pauli 1988 in die Bundesliga aufgestiegen war, wuchs peu à peu die Zahl der überregionalen Sympathisanten.
Die Basis für diese Attraktivität waren antirassistische Aktionen: Im August 1989 verteilten Fan-Aktivisten bei einem Heimspiel einen Offenen Brief, unterzeichnet vom kompletten Profikader, der auf "die Zunahme rassistischer Parolen, Fahnen und Transparente" hinwies. Im Herbst 1991 initiierten Fans eine Änderung der Stadionordnung, nach der das Rufen rechtsradikaler Parolen und das Mitführen entsprechender Transparente mit Hausverbot geahndet wird.
Es sollte noch mindestens zehn Jahre dauern, ehe sich Fußballklubs und -verbände andernorts zu einigermaßen ernstzunehmenden Anti-Rassismus-Maßnahmen aufraffen konnten. Heute ist Rassismus in den Profifußball-Stadien zwar unterschwellig präsent, aber kein prägnantes Problem mehr. Eine Entwicklung, die ohne die Aktivitäten, die von St. Pauli ausgingen, nicht möglich gewesen wäre.
Als der Verein den Profifußball in Deutschland zu verändern begann, fand ohnehin gerade ein Transformationsprozess statt. "In einer Art zweiten Gründerzeit der Bundesliga berappelte sich der Fußball aus dem verheerenden Stimmungstief, in das er während der 80er Jahre geraten war", schrieb Malte Oberschelp in einem Beitrag für das Buch "Die Untoten vom Millerntor". Für diese "zweite Gründerzeit" stehen Privat-TV-Shows wie "Anpfiff" und später "ran". Die neuen Player im TV-Sport interessierte, anders als vorher die "Sportschau", nicht mehr der Fußball allein, sie rückten auch die Fans ins Bild. Die Mythologisierung St. Paulis und die Entwicklung des TV-Fußballs sind kaum voneinander zu trennen. Letztlich waren die Fans des FC die Avantgarde des Fußballbusiness; sie haben, wie es bisher das Schicksal beinahe jeder gegenkulturellen Bewegung war, eine Entwicklung forciert, die sie zu bekämpfen glaubten.
Insofern wäre viel gewonnen, wenn endlich die Debatte darüber aufhörte, ob es einen Widerspruch darstellt, dass ein "kühl kalkulierendes mittelständisches Fußballunternehmen, das sich mit den Spielregeln der Unterhaltungsindustrie arrangiert" (Spiegel), sich gleichzeitig als dessen Gegenentwurf vermarktet. Das ist kein Widerspruch, sondern Business as usual.
Reizvoll ist eher die Frage, ob der FC St. Pauli jetzt, nach seinem fünften Erstliga-Aufstieg, noch einmal Impulse für Fußballbusiness und Fankultur setzen kann. Rein ökonomisch besteht dafür kein Anlass, denn es gibt keinen Klub, der St. Pauli in der Rolle des Gegenmodells Konkurrenz machen könnte. Vereine, die in den letzten Jahren aus Protest gegen die Durchökonomisierung des Fußballs entstanden wie der FC United of Manchester oder Austria Salzburg, erreichen nur kleine Zielgruppen. Die Verhältnisse in der Fußballbranche sind mittlerweile derart festgefahren, dass man Veränderungen zum Guten nicht mehr für möglich halten mag. Das war in der Aufbruchphase Ende der 80er Jahre anders.
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