Famoser Umbruch beim SSC Neapel: Neue Blüte am Vesuv

Der Fußballclub SCC Neapel ist trotz zahlreicher Abgänge in der Serie A und Champions League ungeschlagen. Das liegt nicht nur an der Transferpolitik.

Spieler vom SSC Neapel springt nach einem Treffer jubelnd hoch in die Luft

Der SSC Neapel im Höhenflug – hier am eindrücklichsten in Person von Piotr Zielinski Foto: Andrew Medichini/dpa

Der SSC Neapel verblüfft in dieser Saison. Trotz des Abgangs einer ganzen Reihe von Führungsspielern, vom Lokalhelden Lorenzo Insigne über Goalgetter Dries Mertens bis zu Spielgestalter Fabian Ruiz und Defensivtitan Kalidou Koulibaly, spielt das Team wie aus einem Guss und führt ungeschlagen die Serie A und die Champions League-Gruppe A an. Unter dem Vesuv wird schon von einer neuen Titel-Ära geträumt. Anders als unter der letzten, die von Diego Armando Maradona geprägt war, hat die aktuelle Welle des Erfolgs zahlreiche Väter.

Neapels Hauswände erhalten derzeit neue Farbe. In den Quartieri Spagnoli prangt unweit des berühmten Wandbildes von Diego Maradona jetzt das Antlitz von Kim. Es handelt sich nicht um einen Vertreter der nordkoreanischen Despotendynastie, sondern um Kim Min-Jae. Der 25-jährige Südkoreaner verteidigte im vergangenen Jahr noch bei Fenerbaçe Istanbul und war lediglich Transfermakt-Nerds ein Begriff. In Neapel füllt er exzellent die Lücke aus, die der zum FC Chelsea gewechselte Senegalese Kalidou Koulibaly hinterließ.

Kim ist zweikampfstark, stellungssicher und auch technisch nicht ganz unbegabt. Dank ihm ist die Defensive des aktuellen Tabellenführers sehr solide – eine Basis für die stetig guten Ergebnisse. Dass er auch Offensivakzente zu setzen weiß, bewies er mit seinem Kopfballtor beim 2:1-Sieg bei Lazio Rom ausgerechnet gegen den einstigen Neapel-Coach Maurizio Sarri.

Zweiter Torschütze dort war Khvicha Kvaratskhelia. Der erst 21-jährige Georgier ist die Entdeckung dieser Saison. Er ist ein Wirbelwind auf Linksaußen, pflegt dank seiner Schnelligkeit und Ballsicherheit die Gegenspieler regelrecht auszutanzen und verfügt zudem über einen strammen Schuss. Fünf Treffer gelangen ihm bereits in der Serie A und einer in der Champions League beim enormen 6:1 gegen Ajax Amsterdam.

Wiedergeburt Maradonas

Beim ähnlich überwältigenden 4:1 gegen Liverpool leitete ein Solo von ihm den Penalty zum 1:0 ein, ein weiteres Solo Kvaratskhelias krönte Mittelfeldnebenmann Zambo Anguissa mit dem 2:0. Beim 3:0 von Giovanni Simeone war Kvaratskhelia der direkte Vorbereiter. Als „Kvaradona“, als Wiedergeburt Maradonas, bezeichnen ihn die Fans bereits.

Mit einem Sieg bei Ajax kann Neapel vorzeitig das Achtelfinale in der Königsklasse erreichen

Das ist nicht ganz korrekt. Denn als Spielertypen sind sie sich gar nicht ähnlich. Sehr schmächtig und immerhin 1,83 Meter groß ist der Georgier. Er wirkt sehr elegant und hat gar nicht die Allüren des – späten – Maradona. „Als Mensch ist er eher scheu, er will niemals im Mittelpunkt stehen. Aber wenn er Fußball spielt, ist er unglaublich selbstbewusst. Er kann jeden Ball kontrollieren und ihn sauber weitergeben“, charakterisiert Trainer Luciano Spelletti den Neuzugang.

Nach Neapel kam er auch aufgrund des Ukraine-Kriegs. Kvaratskhelia unterbrach sein Engagement beim russischen Erstdivisionär Rubin Kasan, spielte die Restsaison bei Dinamo Batumi in Georgien und wurde von dort aus von Napolis Manager Cristiano Giuntoli verpflichtet. Es war die zweite Großleistung auf dem Transfermarkt in diesem Sommer, nach dem Kim-Deal. Und auch in heimischen Gefilden war Giuntoli mit Italiens Nationalstürmer Giacomo Raspadori (von Sassuolo gekommen) und Giovanni Simeone (von Cagliari geliehen) überaus erfolgreich. Raspadori ist eine Art Offensivregisseur, der Mittelfeld und Angriff miteinander verbindet und aufgrund seiner Schnelligkeit und guten Technik auch selbst torgefährlich wird.

Simeone hingegen ist ein Brecher, der in der Schlussviertelstunde noch alles richten kann. Der Sohn von Atlético Madrid-Coach Diego Simeone hat in Neapel endlich den Verein gefunden, in dem er zeigen kann, mehr als nur der „Sohn von …“ zu sein. Im seit Jahren gut besetzten Mittelfeld nutzen die zuvor oft an den Rand gedrängten Piotr Zielinski, Zambo Anguissa und Stanislaw Lobotka die Chance zur Führungsrolle nach den vielen Abgängen.

Napoli ist dank guter Transfers sowie Konstanz auf der Trainerposition und im Management in diesem Herbst regelrecht aufgeblüht. Wie dauerhaft die neue Blüte ist, werden die kommenden Monate zeigen. Am Mittwoch kann mit einem Sieg im Rückspiel gegen Ajax das erste Zwischenziel, das Überstehen der Gruppenphase in der Champions League, vorzeitig erreicht werden. Das ist ein Indikator, wie gut das Team mit der Höhenluft des Erfolgs umgehen kann. Schon jetzt jedenfalls kann man von einem der erfolgreichsten Verjüngungsprozesse im europäischen Spitzenfußball der letzten Jahren sprechen.

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