Familienrechtlerin über Scheidungsrecht: "Trennungen werden gerechter"
Ab 1. September gelten neue Regelungen für Ehetrennungen. Expartner können Geld nicht mehr so leicht zur Seite schaffen und vor allem Frauen profitieren, so die Familienrechtlerin Ingeborg Rakete-Dombek
taz: Frau Rakete-Dombek, als Familienrechtlerin in Berlin vertreten Sie Mandanten, die sich scheiden lassen wollen. Wird es ab 1. September bei einer Trennung fairer zugehen?
Rakete-Dombek: Die Praxis wird die Auswirkungen erst zeigen. Aber ich rechne damit, dass es gerechter wird.
Wodurch?
Der Zugewinn-Ausgleich wird neu geregelt - das ist die wichtigste Änderung. Bei Verheiraten ohne Ehevertrag wird bei der Scheidung ermittelt, wie viel Vermögen in der Ehe insgesamt dazu kam. Hat einer mehr Geld angesammelt als der andere, wird ein Ausgleich gezahlt. Das war früher auch schon so. Neu ist, dass Schulden vor der Ehe künftig einbezogen werden.
Was bewirkt das?
Früher wurden Schulden beim Ehebeginn nicht einberechnet, jeder startete mit Null. Es zählte also überhaupt nicht, wenn man dem Partner beim Schuldenabbau in der Ehe geholfen hat.
Ingeborg Rakete-Dombek, 59, ist Fachanwältin für Familienrecht in Berlin und vertritt Mandanten bei der Scheidung. Sie ist Vorsitzende des Ausschusses für Familienrecht im Deutschen Anwalt Verein.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Hat etwa der Bräutigam bei der Hochzeit 50.000 Euro Schulden und bei der Scheidung 20.000 Euro Vermögen, wird künftig ausgerechnet, dass er insgesamt 70.000 Euro "hinzugewonnen" hat. Hatte seine Partnerin, die vielleicht Hausfrau ist, vorher und nachher kein Vermögen, steht ihr ab 1. September die Hälfte zu: 35.000 Euro. Nach jetzigem Recht bekommt sie nur die Hälfte der 20.000 Euro, also 10.000 Euro.
Künftig soll auch verhindert werden, dass der "reichere" Ehepartner bei der Trennung sein Vermögen verschwinden lässt, um weniger abgeben zu müssen. Wie soll solche Trickserei verhindert werden?
Man kann ab sofort Auskunft darüber verlangen, wieviel Vermögen der Ehepartner am Tag der Trennung hat. Wenn zwischen dem Tag der Trennung und der Zustellung des Scheidungsantrags plötzlich kein Geld mehr da war, muss derjenige das dann belegen und erklären. Hier können jetzt Gerichte die Fälle besser aufklären.
Wie wird normalerweise Geld verschleudert? Reisen, neuer Partner, Spielcasino?
Zwischen Trennung und Scheidungsantrag liegt oft über ein Jahr. Der Klassiker ist: Jemand hat während der Ehe in eine Lebensversicherung vielleicht bis zu 80.000 Euro eingezahlt - nach der Trennung war die plötzlich aufgelöst, das Geld ausgezahlt und verschwunden. Heute muss man, wenn man nicht erklären kann wo das Geld geblieben ist, trotzdem den Ausgleich auch für den verschwundenen Betrag zahlen.
Was wird beim Versorgungsausgleich verändert?
Hier wird es erheblich unkomplizierter. Wer höhere Rentenansprüche in der Ehezeit erworben hat, muss davon wie bisher die Hälfte abgeben. Künftig werden aber alle Ansprüche aus Betriebsrente, Deutscher Rentenversicherung oder Ärzteversorgung in jedem dieser Systeme gesondert und gleich bei der Scheidung ausgeglichen. Das Umrechnen und Vergleichbarmachen allein mit der gesetzlichen Rentenversicherung entfällt zukünftig.
Wer profitiert denn am meisten von den Neuregelungen?
Es profitiert künftig, wer ausgleichsberechtigt ist. Meist ist das die Frau, weil sie in der Ehe oft die Kinderbetreuung übernimmt und im Schnitt weniger Gehalt bekommt. Frauen sparen deswegen oft weniger an und haben auch geringere Rentenanwartschaften als die Männer.
Was empfehlen Sie jungen Paaren, die heiraten wollen?
Grundsätzlich einen Ehevertrag abzuschließen. Das hat auch einen psychologischen Grund. Die Leute machen sich dann auch darüber Gedanken, wie sie ihre Ehe führen wollen: Wollen sie Kinder, wer bleibt zu Hause - manche geraten dabei schon heftig in Streit. Es ist aber wichtig, sich über die Bedingungen des Zusammenlebens klarzuwerden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nahost-Konflikt
Alternative Narrative
Putins Atomdrohungen
Angst auf allen Seiten
Nach der Gewalt in Amsterdam
Eine Stadt in Aufruhr
+++ Nachrichten im Nahost-Krieg +++
IStGH erlässt Haftbefehl gegen Netanjahu und Hamas-Anführer
Die Wahrheit
Der erste Schnee
James Bridle bekommt Preis aberkannt
Boykottieren und boykottiert werden