Familienbande Anders Roslund und Stefan Thunberg erzählen die wahre Geschichte einer Bankraubserie in Schweden: Eine sehr schwere Kindheit
Wie wird ein Mensch zum Verbrecher? Woher kommt die Neigung zur Gewalt? Kann sich ein Mensch familiärer Prägung entziehen? Es sind große Fragen, die hinter dem intelligenten Thriller mit dem dämlichen deutschen Titel „Made in Sweden“ stehen, den der Krimiautor Anders Roslund gemeinsam mit dem Drehbuchautor Stefan Thunberg („Wallander“) über dessen Familiengeschichte geschrieben hat.
Thunberg hat drei Brüder, die Anfang der neunziger Jahre, als zwei von ihnen noch kaum dem Teenageralter entwachsen waren, Schweden zwei Jahre lang mit spektakulären Raubüberfällen auf Trab hielten. Gewalt, oder die Androhung von Gewalt, hatten die Jungen von Kindheit an als erfolgreiches Mittel zur Durchsetzung von Zielen erlebt. Aufgewachsen mit einem brutalen, machtversessenen Vater, wurde besonders der älteste Sohn zu dessen Abbild erzogen. Stefan Thunberg, der Zweitälteste, flog unter dem Radar und schaffte es als einziger, sich den väterlichen Erwartungen zu entziehen. Während die Brüder als junge Erwachsene zur Tarnung ihrer kriminellen Aktivitäten pro forma eine Baufirma betrieben, besuchte er die Kunsthochschule.
Unaufdringlich verknüpfen Roslund und Thunberg auf zwei zeitlichen Ebenen die Geschichte einer erfolgreichen Räuberkarriere mit der Geschichte einer gescheiterten Familie. Die Namen der Protagonisten sind geändert, doch die meisten der geschilderten Ereignisse, so versichert Thunberg, hätten sich wirklich so zugetragen. In einer wiederkehrenden Rückblende wird das Porträt eines Vaters als brutaler Familientyrann entworfen und die Entwicklung des ältesten Sohnes geschildert, der von klein auf lernen soll, sich mit den Fäusten durchzusetzen. Dabei gerät er in einen Zwiespalt der Loyalitäten, als der Vater beginnt, die Mutter zu misshandeln, die versucht, in der Erziehung ihrer Söhne andere Maßstäbe zu setzen.
Während in den Rückblenden ein psychologisch grundiertes Familiendrama erzählt wird, ist die eigentliche Jetzt-Handlung, die Bankräubersaga, ganz im klassischen Thrillerstil aufgezogen. Das hat Tempo und Spannung, und die Entwicklung des Räuber-und-Gendarm-Spiels zwischen den Bankräubern und der Polizei ist nicht ohne Witz. Die häufig zwischen den Figuren wechselnde Erzählperspektive balanciert prekär zwischen Empathie mit den jugendlichen Bankräubern und einer gewissermaßen impliziten, kritischen Außensicht auf ihre Taten.
So steht man auch als Leser auf beiden Seiten gleichzeitig: bangt im Moment der Lektüre, jedenfalls so halb, mit den Räubern um das Gelingen ihrer Taten und wünscht gleichzeitig den ermittelnden Gendarmen, es möge endlich gelingen, die Bande zur Strecke zu bringen. Das ist das eigentlich Außergewöhnliche an diesem Roman. Dass Kriminalromane in Teilen aus der Täterperspektive erzählt werden, ist nicht neu. Aber eine empathische Innensicht aller an einem Kriminaldrama beteiligten Seiten ist sehr selten.
In diesem Roman bildet sie einen bemerkenswerten Kontrapunkt zum äußerlich genrekonformen Handlungsaufbau. Die immanente Botschaft des Ganzen ist ziemlich beunruhigend: Auch ein ganz gewöhnlicher Mensch kann dazu gebracht werden, Taten zu begehen, durch die anderen Menschen irreparabler körperlicher oder seelischer Schaden zugefügt wird. Er muss nur in jugendlichem Alter entsprechend beeinflusst worden sein.
Aber offenbar ist diese Entwicklung weder zwangsläufig, wie Stefan Thunbergs eigenes Leben zeigt, noch irreversibel; denn auch seine Brüder haben es geschafft, eine bürgerliche Existenz aufzubauen. Thunberg selbst hat zum Erscheinen der britischen Ausgabe in einem Interview erklärt, das Schreiben dieses Romans habe ihm mehr geholfen als zwei Jahre Psychotherapie. Katharina Granzin
Anders Roslund, Stefan Thunberg:„Made in Sweden“. Aus dem Schwedischen von Lotta Rüegger und Holger Wolandt. Goldmann, München 2015, 576 Seiten, 19,99 Euro
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