Familie zur Weihnachtszeit: Kinder, Kinder, Kinder
Ihr Kinderlein kommet? Moment, wer sind jetzt die Kinder!? Über weihnachtliche sprachliche Herausforderungen in der Familie.
O h, wie schön, eine Einladung aus dem Nachbardorf für den Weihnachtsabend! „Wir sehen uns am Feuer bei Wildgulasch und Glühwein.“ Meine Antwort: „Tausend Dank! Ich schätze aber, dass es bei uns nix wird; an dem Tag kommen die,Kinder' zu uns.“ Und dann noch dieser Nachsatz: „Unglaublich, dass ich mal so eine Formulierung verwenden würde – die Kinder.“
Tatsächlich fühlt es sich seltsam an, die eigene Brut sprachlich in dieser Weise zu subsumieren. Eben lagen „die Kinder“ noch zitternd vor Weihnachtsvorfreude in ihren Kinderzimmerbetten – und heute fordern sie vor ihrer Anreise für den eigenen Nachwuchs ein Reiseklappbett an. Und einen Maxi-Cosi für das kleine sowie den uralten Tripp-Trapp-Stuhl für das große Enkelkind.
Wo sind die Jahre hin? Und wo der stilsichere Sprachgebrauch, wenn es um Kinder und Kindeskinder geht? Aus den Töchtern sind mittlerweile erwachsene Leute geworden, die bei uns für die spätweihnachtsabendlichen Cocktails Manufaktur-Gin und Tonic zu Mondpreisen vorbestellen. Und was ist aus uns geworden? Oma und Opa, die sich – lächerlicherweise auf einem letzten Quäntchen Würde beharrend – bei ihren Vornamen nennen lassen.
Was mögen da erst unsere eigenen Eltern denken? Die fühlen sich wie das demografische Pleistozän und werden am Heiligabend von ihren Enkeln im Carsharing-E-Auto abgeholt, um dem halben Dutzend Urenkeln dabei zuzusehen, wie sie lautstark technisch ausgefeilte Spielzeuge aus dem Papier reißen.
Pro Nussbraten! Contra Gulasch!
Unsere Eltern werden sich fragen, was der entwickelte Kapitalismus sich dabei nun wieder gedacht haben mag. Und was genau eigentlich passiert ist, dass Siebenjährige sich auf einer ganz persönlichen ethischen Grundlage zu Vegetarier*innen entwickeln konnten. Pro Nussbraten! Contra Gulasch! Was verdammt noch mal ist falsch an einer anständigen Wiener?
„Die Kinder“ dieser Urgroßeltern sind witzigerweise wir. Wer hätte das vor fünfzig Jahren ahnen können.
Spätabends dann wackelt der komplette Familienverband durch die Dunkelheit zum Dorfplatz, wo die Mitglieder des Posaunenchores Liedgut vortragen und die Thermoskannen rumgehen. Um uns herum wuseln „die Kinder“, also unsere Töchter und Söhne, mit wiederum ihren Töchtern und Söhnen. Sie sind hier in aller Abgeschiedenheit aufgewachsen und dann hinaus in die Welt gegangen, um von dort Sitten und Gebräuche wie das Trinken von Bioglühwein und den Verzehr von veganem Nussbraten mitzubringen, die wir ihnen zubereiten. So ist es gute Sitte im ländlichen Bereich.
Ebenso, dass schon zum fünften Mal die Zugezogenen aus dem längst zu Wohnungen umgebauten einstigen Flüchtlingsheim dabei sind, ihren alkoholfreien Punsch mit uns teilen und ein, zwei Heimatlieder in die Brandenburger Nacht singen. Zu Hause, das sind nämlich wir alle. Hier. Frohe Weihnachten!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Proteste bei Nan Goldin
Logiken des Boykotts
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Bundeskongress der Jusos
Was Scholz von Esken lernen kann
Schwedens Energiepolitik
Blind für die Gefahren
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag