Familie startet Selbstversuch: Leben ohne Plaste
Die Doku "Plastic Planet" brachte eine österreichische Familie auf die Idee, ein kunststofffreies Leben auszuprobieren. Das Experiment läuft seit November. Mit Erfolg.
Sandra Krautwaschl schnappt sich einen Weidenkorb und holt Brennholz für den Herd aus dem Stall. Hinten ist das Brennholz gestapelt, der vordere Teil dient als Plastik-Zwischenlager. Rechts türmt sich das entsorgte Plastikspielzeug der Kinder, links Haushaltsgegenstände aus Bad und Küche, Tupperware-Sets, Thermoskannen, Plastikgeschirr und -mobiliar, aus dem Stapel leuchtet eine quietschgelbe Plastik-Badeente hervor.
"Diese Tortenaufbewahrungsbox hier, die ist nagelneu, die haben wir nie verwendet. Die ist direkt vom Geschäft da raus gewandert", sagt die die zierliche Frau mit den langen dunklen Locken und dem herzlichen Blick. Die Krautwaschls leben in einem ehemaligen Bauernhaus in Eisbach, einer ländlichen Gemeinde ein paar Kilometer nördlich von Graz. Am 14. November vergangenen Jahres entschloss sich die Familie mit drei Kindern zu einem Experiment. Sie wollte in ihrem Haushalt auf den Gebrauch von Plastik verzichten. Auslöser war die Dokumentation "Plastic Planet", die Sandra Krautwaschl in Graz im Kino gesehen hatte.
Der Film prangert die Allgegenwart von Kunststoffen in unserer Umwelt an. Regisseur Werner Boote reiste zu Forschern, Ärzten und Herstellern auf der ganzen Welt, um Beweise dafür zu finden, dass Kunststoff sich in der Nahrung und im Blutkreislauf eines jeden Menschen anreichert. Jährlich werden meist auf der Grundlage von Öl 240 Millionen Tonnen Kunststoffe - 60 Millionen davon in Europa - hergestellt und für Produkte aller denkbaren Industriezweige weiter verarbeitet.
Dieser Text stammt aus dem taz-Sondertitel "Wir und das Öl". 12 Seiten taz-Extra, am Donnerstag am Kiosk: Die Ölpest im Alltag; wofür die Deutschen wie viel Öl verbrauchen; Öl aus Holz und andere WEge aus der Abhängigkeit vom schwarzen Elixier.
"Plastic Planet" wirkte wie ein Schock auf Sandra Krautwaschl: "Man bekommt überall wie eine Art Gehirnwäsche vermittelt, dass Plastik ein Stoff ist, der nix abgibt, hygienisch, leicht und einfach zu verwenden ist", erinnert sich die 38-jährige Physiotherapeutin. "Dieses Bild ist für mich gekippt, da ist nix übrig geblieben, das war erschütternd an dem Film."
Mittlerweile läuft das Experiment schon über ein halbes Jahr und die Familie betrachtet ihr Leben ohne Kunststoff längst nicht mehr als Verzicht, sondern als Gewinn an Lebensqualität. "Für mich heißt Verzicht immer, ich entbehre was oder vermisse das dann. Für uns war das Gegenteil der Fall! Das Plastik haben wir alles in unseren Stall geräumt", sagt Sandra Krautwaschl.
Den direkten Weg zwischen Wohnhaus und Remise versperrt ein aufblasbarer Swimming Pool. "Der ist Plastik pur", sagt Sandra lachend. Der Pool darf aber bleiben, denn Sandra und Peter wollen keine Plastik-Talibane sein. Auch wenn sie auf Flugreisen und Textilien aus Fernost möglichst verzichten, nehmen sie doch auch mal das Auto, um einzukaufen oder um in Urlaub zu fahren.
Dennoch scheint es manche Menschen aggressiv zu machen, wenn Sandra Krautwaschl sich die Mühe macht, Lebensmittel ohne Plastikverpackung zu finden und zur Not zum Einpacken von Lebensmitteln eigene Metall- oder Glasbehälter mit ins Geschäft nimmt. Das jedenfalls legten vor Häme triefende Postings in der Online-Ausgabe der Kleinen Zeitung nahe, nachdem das Grazer Blatt über das Experiment berichtet hatte. Da wurde die Familie blindwütig als "Ökoterroristen" beschimpft, ihr Projekt als "Ökopropaganda". Die Krautwaschls ließen sich dadurch nicht beirren, schließlich überwiegen die positiven Rückmeldungen und die Anregungen von Usern, die auf Sandras eigenen Blog zum Thema reagieren.
Bad und Küche sind komplett plastikfrei, sagt Sandra, als sie Kaffee auf dem holzbefeuerten Tischherd bereitet. Das Holz kommt aus dem nahen Wald, die Milch zum Kaffee holt sie in der Blechkanne vom Bauern im Dorf. Die Familie kauft im Supermarkt gezielter ein und spart nach eigenen Angaben noch Geld dabei. Zwar sind plastikfreie Produkte vielfach teurer, dafür gehören Impuls- und Schnäppchenkäufe seit November der Vergangenheit an. Aus Plastik sind in der Wohnküche noch Lichtschalter, Telefon und die Bespannung der Sitzbank. Die auszutauschen, würde das Familien-Budget sprengen, sagt die Frau, dasselbe gilt für den Wunsch der Kinder nach kunststofffreien Winterstiefeln. 200 € kosteten ein Paar, und jedes Jahr brauchen sie neue...
Dass Geschirrspüler und Staubsauger noch aus Plastik sind, hat andere Gründe. Denn als diese beiden Haushaltshelfer ihre Reise in den Stall antreten sollten, stand die Familienharmonie auf der Kippe: "Alles mit dem Besen zusammen kehren, das ganze Geschirr für fünf Personen mit der Hand abwaschen - das mag keiner so gern, das macht sehr viel Arbeit", sagt Sandra. "Dann haben wir das Wasser am Tischherd aufgewärmt und immer wieder hat sich jemand die Finger verbrannt. Wir sind da schon fast ins Streiten gekommen und haben beschlossen: Das geht uns momentan zu weit, das lassen wir wieder."
Überhaupt keinen Streit gab es dagegen, als die Kinder ihre Spielsachen einer Inventur unterziehen sollten. Die Kleinen haben da "mehr Instinkt" und sind noch nicht so sehr an die Plastik-Welt gewöhnt wie wir, meint Ehemann Peter Rabensteiner. Auch in der Schule der Kinder gebe es keine Hänseleien wegen des außergewöhnlichen Experiments, ist sich der Vater sicher. Im Gegenteil: Im Biologieunterricht greife man das Thema Plastik auf, Sohn Samuel habe sogar ein Referat dazu gehalten.
Peter Rabensteiner - er betreut Kinder in einer Grazer Behinderteneinrichtung - fürchtete zu Beginn des Experiments, er könne als passionierter Sportler keine passende kunststofffreie Kleidung finden, um Ski zu fahren. Die Sorge blieb unbegründet: In einem Grazer Bergsportgeschäft war man auf wählerische Kundschaft vorbereitet. Mittlerweile hat Peter Outdoor-Kleidung aus Merino-Wolle schätzen gelernt und verzichtet dankend auf die vermeintlichen Vorteile von High-Tech-Synthetics auf Erdölbasis.
Manche Freunde und Bekannte hätten die Familie am Anfang für hysterisch gehalten, erzählt Sandra. "Weil wir plötzlich alles abgelehnt hätten, was uns doch vorher auch nicht geschadet habe." Sie wirft der Industrie "Verschleierungstaktik" mir Blick auf ihre Inhaltsstoffe vor und rät allen, im Zweifel direkt bei den Firmen anzurufen und sich gezielt nach problematischen Inhaltsstoffen zu erkundigen. Zum Beispiel nach dem Bisphenol A-Gehalt in Schnullern und Babyflaschen. Die massenhaft verwendete Chemikalie sorgt wegen ihrer möglichen Gesundheitsgefährdung
immer wieder für Aufregung. Das österreichische Umweltbundesamt etwa wies Bisphenol A sogar im Hausstaub nach. Vor einiger Zeit tauchte ein Mediziner dieser Behörde im Dorf Eisbach auf; er hatte von dem Experiment gehört. Er nahm von den Eltern eine Blutprobe, weil er wissen wollte, wie hoch ihr Blut mit Kunststoff belastet ist. Besonders Peter Rabensteiner wartet seitdem mit Spannung auf das Ergebnis, denn -- anders als seine Frau - hat er noch nicht ganz Abschied vom Kunststoff nehmen können -- dienstlich. Zu seinem Job bei der Mosaik GmbH in Graz gehört es, gemeinsam mit den behinderten Kindern zu Mittag zu essen. Die Mahlzeiten kommen von einer Großküche und werden in Plastikbehältern ausgeliefert. Derzeit liegen die Blutproben allerdings buchstäblich auf Eis, denn die notwendigen Tests kosten rund 12.000 Euro. Bis der Mediziner einen Sponsor für die Analyse gefunden hat, wird die Familie ihre Blutplastikwerte nicht erfahren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen