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■ VorschlagFalsche Zeit, richtiger Ort: Herbert Fritsch liest Prinzhorn-Texte

Manchmal, da ist etwas nicht, was eigentlich sein müßte. Man weiß es, es ist, und dann ist es nicht, und man wundert sich und denkt, man sei vielleicht dumm oder verrückt auch ein bißchen.

Diesmal: Man war sich sicher, daß Herbert Fritsch lesen würde, wissen Sie, der Herbert Fritsch, exzentrisches Volksbühnengenie. Er sollte Texte von Verrückten lesen, von Geisteskranken, Texte aus der Prinzhornsammlung, aus der man eigentlich nur die Bilder kennt. In „Juliettes Literatursalon“ sollte das sein, und man war pünktlich da, und man war aber leider allein pünktlich da, und unpünktlich kam auch niemand, und dann wußte man: Da hast du dich vertan, Schreiber, das ist erst in der nächsten Woche, und jetzt mußt du also über etwas berichten, was gar nicht war, und da berichtest du am besten darüber, wie sie gewesen wäre, die Lesung der Texte Geisteskranker mit Herbert Fritsch.

Das ist nicht ganz so schwer, wie man jetzt denkt, da Herbert Fritsch die Texte auch auf eine CD gesprochen hat, und da bekommt man wenigstens einen Eindruck: wie er sich in die Texte hineinrezitiert und immer als ein ganz anderer Herbert Fritsch herauskommt aus den Texten. Als Bettelnder, Winselnder, Flüsternder, Schreiender, als selbstzufrieden Eingesperrter, Leise-vor-sich-hin-Denker oder als verzweifelter Befreiungsversucher aus dem kleinen Menschengefängnis und aus der Psychiatrie ringsumher. Manchmal ist er ein am Abgrund des Verstandes mutig Balancierender, meist aber ist er schon tief, tief abgestürzt, in Regionen, in denen nur noch Fritsch sich auskennt und der Verrückte, der dies schrieb.

Akribische Tagebuchnotate, Bittbriefe an die Außenwelt und literarische Texte, die die Welt so fremd beschreiben, als sei sie neu, einmalig und immer wieder neu. Nur meine Welt, nur meine. So daß man manchmal sogar in eigener Sprache schreiben muß, und nur, was weltverständlich Allgemeingut ist, das schreibt man allgemeinverständlich hin. Elisabeth F. zum Beispiel: A turremilo tuini. Metilo so ne ra: Lowossny! O! Mi! Gallé! Romiewoikin. Ach, hätten meine Augen die deinen nicht gesehen, da könnt' ich ruhig schlafen und ruhig von dir gehen. Lalenalikurv lekunni molosurong!

Oder so ähnlich. Herbert Fritsch liest das alles mühelos und selbstverständlich. Ganz, als sei es sein eigner Text, und er ist es doch nicht. Und die Lesung schien letzten Samstag gewesen zu sein und war es doch nicht. Aber nächsten Samstag wird sie sein, und wir empfehlen sie sehr. Volker Weidermann

Die Lesung von Hermann Fritsch findet am Samstag, 18.7., 20 Uhr, in Juliettes Literatursalon, Gormannstraße 25, statt.

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