piwik no script img

Fachtagung zur IntegrationDie Stadt soll auf die Roma hören

Auch in Berlin werden Roma diskriminiert - mit fatalen Folgen für ihre Bildung und Zukunftschancen. Um das zu ändern, müsse man Vertrauen schaffen, sagen Experten und die Roma selbst.

Analphabetische Eltern, überforderte Schulen, mobbende MitschülerInnen und LehrerInnen - in Sachen Bildung stehen die Roma im Abseits wie kaum eine andere Bevölkerungsgruppe. Anders als in Frankreich versuche man hier aber die Probleme pragmatisch zu lösen, sagt Günter Piening, Senatsbeauftragter für Integration. 250 Fachleute aus Schulen, Jugendeinrichtungen und Ämtern kamen deshalb am Mittwoch in Neukölln bei einer Fachtagung zusammen.

Vera Bethge und ihre Kolleginnen vom Neuköllner Jugendamt betreuen seit Jahren Roma-Familien. Immer wieder seien sie konfrontiert mit Schulverweigerern, fehlender Sprachkompetenz, verwahrlosten Wohnungen, früher Verheiratung, Kriminalität. "Das sind Probleme, die uns an den Rand unserer Möglichkeiten bringen", sagt Bethge. Stehlen, schwänzen, verwahrlosen: Das klingt nach den typischen Vorurteilen gegenüber Roma. Tatsächlich seien zwei Drittel der deutschen Bevölkerung antiziganistisch, sagt Rassismus-Experte Wolfgang Wippermann von der FU Berlin.

"Wir Sinti und Roma fühlen uns immer und immer wieder unterdrückt", bestätigt Petra Rosenberg. Sie ist Vorsitzende des Landesverbands der Sinti und Roma Berlin-Brandenburg. "Stets wird die Unangepasstheit der Roma an die deutsche Mehrheitsgesellschaft hervorgehoben - die Zigeunerkinder seien doch unbeschulbar." Ihr besonderer Hintergrund, ihre jahrhundertelange Verfolgung, ihre systematische Ermordung in der Zeit des Nationalsozialismus, ihre fortdauernde Diskriminierung würden schlicht nicht berücksichtigt. Darin aber liege das tiefe Misstrauen der Roma gegenüber staatlichen Institutionen begründet. Auch gegenüber der Schule.

"Die Probleme mit Roma-Kindern gibt es nicht, weil sie Roma sind, sondern weil sie extrem benachteiligt sind", sagt auch Jens-Jürgen Saurin. Er ist Leiter der Adolf-Reichwein-Schule für Lernbehinderte in der Neuköllner Sonnenallee. Etwa 20 Prozent seiner SchülerInnen seien Roma, obwohl sie in der Regel keine angeborene Behinderung mitbrächten. Aber die Förderschule sei oft der letzte Ausweg. Dann, wenn andere Schulen aufgeben.

Selbst in Neukölln gehörten die Roma zu den Ärmsten der Armen. Zu denen, die von nahezu allen Bevölkerungsgruppen diskriminiert würden. "Die erste Aufgabe, wenn die Familie über die Schwelle der Schule tritt, ist es, Vertrauen zu schaffen", sagt Saurin. "Denn Sie können sich gar nicht vorstellen, mit welch grausamen Schulerfahrungen die Kinder zu uns kommen."

Suzana Ismailovic hat es selbst erlebt, dass LehrerInnen bei antiziganistischen Übergriffe gegen Roma-Kinder wegschauen. Sie ist Romni und eine von drei SchulmediatorInnen, die seit sieben Jahren in einem Projekt des Bildungs- und Integrationsvereins RAA Berlin an drei Schulen im Wedding vermitteln. Das Problem der Schulverweigerung hätten sie dadurch in den Griff bekommen, sagt Ismailovic. Schon bevor die Kinder eingeschult werden, macht sie einen Hausbesuch bei den Familien. Spricht mit ihnen über die Bedeutung von Bildung genauso wie darüber, was in den Schulranzen muss. "Man darf nicht mit einer Abwehrhaltung in die Familien kommen, sonst ist die Tür zu", sagt Ismailovic.

Die Weddinger SchulmediatorInnen sind ein Lösungsansatz, von dem auch Gerhard Neumann überzeugt ist. Er ist Beratungslehrer zur Überwindung von Schuldistanz und vor allem an Reinickendorfer Schulen aktiv. "Was glauben Sie, wie die Augen einer Schulverweigerin leuchten, wenn ihr kein Deutscher, sondern eine Romni erklärt, warum Schule wichtig ist", sagt er. Denn den Kreislauf aus Abgrenzung und Ausgrenzung zu überwinden, bedeute auch, die Roma nicht mehr nur als Opfer zu sehen. Das fordert auch Petra Rosenberg vom Landesverband: "Wir müssen die eigene Stimme der Sinti und Roma anerkennen und sie nicht fortlaufend entmündigen."

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen

2 Kommentare

 / 
  • L
    Lara

    Eine sehr kluge Frau, das lässt sich mit Sicherheit auch auf andere Lebensbereiche wie auf Schulen übertragen oder? Mir fällt auch immer auf, wie schnell Menschen verachtet und zerstört werden, auf Grund von Diskriminierung, Mobbing und fehlenden Vermögen an geistiger Sehkraft.

     

    Lara

  • P
    PeterWolf

    Dieser Artikel besteht vor allem aus Widersprüchen.

    Könnte es vielleicht sein, dass die "diskriminierte", sogenannte "Volksgruppe" selbst "diskriminiert"?

     

    Viele Grüße

     

    Peter Wolf