piwik no script img

Fachkräftemangel auf dem ArbeitsmarktBundesregierung setzt auf Deutsche

Ältere, Jugendliche und Mütter sollen den Fachkräftemangel wett machen. Die Opposition bemängelt fehlende Förderkonzepte, und die Immigranten bleiben außen vor.

Von der Kita an den Schreibtisch: Mütter sollen den Fachkräftemangel auffangen. Bild: dpa

BERLIN taz/dpa | Um den prognostizierten Fachkräftemangel abzumildern, setzt die Bundesregierung vor allem auf mehr Beschäftigung von Frauen, Jugendlichen und älteren Menschen im Inland. Allein dadurch soll die erwartete Lücke von 6,5 Millionen Fachkräften bis zum Jahr 2025 um rund 3,8 Millionen Personen verringert werden. Das geht aus dem Entwurf für ein Kabinettspapier von Bundesministerien und Bundeskanzleramt hervor, über das die Süddeutsche Zeitung am Mittwoch berichtet hat.

Bis zu 1,2 Millionen zusätzliche Arbeitskräfte liegen demnach brach, weil junge Frauen Beruf und Familie nicht ausreichend vereinbaren können. Funktioniere dies optimaler, unter anderem durch bessere Möglichkeiten zur Kinderbetreuung, könnten kurzfristig sogar eine halbe Million arbeitswillige Mütter mit Kindern zwischen 6 und 16 Jahren dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, ist die Regierung überzeugt.

Sie hofft zudem, eine Million Arbeitskräfte zu gewinnen, wenn die Quote der Erwerbstätigen in der Altersgruppe der über 55-Jährigen von heute 56 Prozent auf 70 Prozent gesteigert werden könnte. Eine zusätzliche Million soll die Anhebung der Grenze für den Rentenbeginn auf 67 Jahre bringen.

Jeweils bis zu 300.000 Fachkräfte mehr wären zudem möglich, wenn einerseits die Quote der Schulabbrecher von derzeit 7 auf 3 Prozent reduziert werden könnte, andererseits aber auch weniger Azubis ihre Lehre abbrechen würden.

Der Entwurf für das Kabinettspapier stimmt inhaltlich weitgehend mit den Schlussfolgerungen einer aktuellen Studie der Unternehmensberatung McKinsey überein, die Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen in der vergangenen Woche vorgestellt hatte. Darin fordert McKinsey Unternehmen auf, frühzeitig ihren zukünftigen Bedarf an Fachkräften zu ermitteln. Um das zu unterstützen, will die Bundesregierung einen sogenannten "Jobmonitor" einrichten. Ab Juli sollen zweimal im Jahr Angaben über den Fachkräftebedarf bei den Unternehmen erfragt werden.

Fehlende Konzepte

Konkrete Maßnahmen, um die Zahl der Erwerbstätigen auch tatsächlich zu erhöhen, schlägt das Papier jedoch kaum vor. Auch auf die Zuwanderungsfrage geht es nicht näher ein. CDU, CSU und FDP sind sich seit Monaten uneinig, ob man ein Punktesystem einführen soll. Vergangene Woche wurde jedoch bekannt, dass von der Leyen plant, zumindest für einige Fachkräfte aus Nicht-EU-Staaten den Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt zu erleichtern.

Die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, Brigitte Pothmer, glaubt nicht an einen Erfolg des Konzepts: "Wenn Mütter, Ältere und Arbeitslose zu Fachkräften der Zukunft werden sollen, dann brauchen sie Förderung, Weiterbildung und Unterstützung. All das bekommen sie von Ministerin von der Leyen und der Bundesregierung nicht."

Die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Anette Kramme, entdeckt im Konzept der Bundesregierung nur Appelle und kritisiert. "Wir brauchen eine durchdachte Arbeitsmarktpolitik. Genau dort spart von der Leyen aber Milliarden ein."

Die endgültige Strategie zur Bekämpfung des Fachkräftemangels soll am 22. Juni auf einer Kabinettsklausur in Meseberg diskutiert werden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • W
    Walter

    Der nordrhein-westfälische Arbeitsminister Guntram Schneider (SPD) sieht 40.000 Jobs in der bundesweiten Weiterbildungsbranche bedroht. Kündigungen, Gehaltskürzungen und dramatisch verschlechterte Arbeitsbedingungen seien die Folge der Sparmaßnahmen der Bundesregierung in der privaten Weiterbildung, sagte Schneider der in Düsseldorf erscheinenden "Rheinischen Post" .

     

    Nach Auffassung vieler Menschen ist Arbeitslosigkeit meist selbst verschuldet und die Folge von Faulheit und Dummheit. In Wirklichkeit ist Arbeitslosigkeit meist gemacht und Folge der Synergieeffekte. Wachstumsraten werden gesteigert, die Dividende erhöht und gleichzeitig werden Arbeitsplätze abgebaut und die wirtschaftliche Existenz der Mitarbeiter vernichtet. Der moderne Manager kennt keine Werte jenseits von Profit und der Mitarbeiter spielt nur noch eine untergeordnete Rolle. Heute eliminiert das Kapital die Arbeit und liquidiert die Menschen an ihren Arbeitsplätzen. Ein Schicksal, dass nun 450 Mitarbeitern der TÜV Nord Bildung blüht, das Humankapital wird abserviert.

    Wurden schon im Vorfeld Arbeitnehmerinteressen am Verhandlungstisch bei einem Gläschen Rotwein preisgegeben? Arbeitsplätze werden nicht gerettet, sondern nur der Tod auf Raten eingeläutet. Noch hält die Geschäftsführung den Deckel auf dem brodelnden Topf fest. Bei den ersten auslaufenden Befristungen, Lohnkürzungen und Schließungen der Bildungszentren könnte es aber knallen. Trotz Wut und Widerstandswillen der Mitarbeiter gelingt es Betriebsratsfürsten und Arbeitgebern immer, die Kampfbereitschaft der Belegschaft auszubremsen. Als Trostpflaster dient ein "Runder Tisch" und die Spekulation die Jobs zu erhalten, in erster Linie versucht man so die Kritiker in der Belegschaft kalt zu stellen. Raubtierkapitalismus und Sozialabbau wurden nicht vom Weihnachtsmann erfunden. Die Hemmschwelle die mach einen plagt, der ein ihm persönlich bekanntes Schwein schlachtet ist längst überschritten. Auch Manager haben diese Probleme nicht, die ihnen anvertrauten Mitarbeiter sind Kostenfaktoren. Das Bekenntnis zur Sozialstaatlichkeit ist eine vollmundige Propaganda, die Mitarbeiter werden bei der Arbeitsagentur vom Fair - Play- Unternehmer entsorgt. So wenig Anstand gab es noch nie!

    "Die schlimmste Wirkung des Kapitalismus ist, daß man glaubt, alles , was man bezahlen kann, gehöre einem." Martin Walser

    „Ihr sollt nicht denken, wenn ihr sprecht! Gehirn ist nichts für kleine Leute. Den Millionären geht es schlecht. Und wenn sie euch den Lohn entzögen! Und wenn sie euch so sehr belögen. Das sich die Balken bögen.! Seid höflich und sagt dankesehr ! “Erich Kästner

  • G
    GuntherG

    Und was bitte schön istv daran schon wieder falsch, wenn sich die regierung zur abwechslung mal um seine Bürger kümmert?

    Oder muss schon jetzt alles der Integration untergeordnet werden?

    Sprich erst die Migranten, dann die Migranten und zum Schluss natürlich auch erst die Migranten.

    Wieso wird dies hier so negativ dargestellt wenn eine vom Volk gewählte Regierung auch einmal für dieses etwas zustande bringt.

  • V
    vic

    Der Innenminister fühlt sich unter "Migrationsdruck".

    (D-Radio)

    Der Arme.

  • SB
    Siegfried Bosch

    Was die TAZ und alle anderen Medien vergessen: Auch hier soll das Bildungspotential von Jungen (doppelt so viele Sonderschüler, mehr Hauptschüler, weniger Gymnasiasten) nicht gehoben werden, um den Fachkräftemangel zu beheben; nein, man setzt wie üblich auf Frauen.

  • S
    systemix

    Es ist absolut bezeichnend für diese Hampelmann-Koalition, wenn solche Untersuchungen von der Unternehmensberatung McKinsey durchgeführt werden. Warum lässt man dann nicht gleich neue Tarifverträge vom Bundesarbeitgeberverband aushandeln?

     

    Erstens wird der Fachkräftemangel seit Jahren herbeigeredet und auf einem Niveau darüber diskutiert, was der tatsächlichen Lage in diesem Lande überhaupt nicht gerecht wird. In Wirklichkeit sind in den letzten 20 Jahren gezielt hochqualifizierte Arbeitsplätze vernichtet worden. Sonst wären die Kosteneinsparungen in den Betrieben gar nicht zu schaffen gewesen. Ferner hat das Land eine schleichende Deindustrialisierung erfahren. Eine Fahrt durch das Ruhrgebiet im Vergleich zur selben Tour vor zwei Jahrzehnten fördert erschreckendes zutage.

     

    Die Arbeitsagentur hat zwecks Fälschung der tatsächlichen Arbeitslosenzahlen eine Zurückstufung von Fachkräften nach einem Jahr Arbeitslosigkeit angeordnet. Wer nach 12 Monaten immer noch arbeitssuchend ist, der gilt nicht mehr als besonders qualifiziert in seinem Arbeitsgebiet, sondern besitzt nur noch Kenntnisse in jenem. Das hat zur Folge, dass die Arbeitslosen dann mit Bedauern als nicht ausreichend qualifiziert gelten und deshalb ein Mangel an Fachkräften beklagt wird.

     

    Die Albrechttochter, diese Frau vom Leiden, mobilisiert nun einen Volkssturm auf dem Gebiet der Arbeitsschlacht, wohlwissend, dass ihre ehemalige Kabinettskollegin, die Mehrzweck-Else Heister-Neumann diese folgenlose Strategie auch schon einmal zur Behebung des Lehrermangels ausprobierte. Niemand muss befürchten, dass ein Heer von Rentnern, Teilzeit-Hausfrauen die Arbeitsschlacht eröffnen. Außer der gleichgeschalteten Presse wird sich kaum noch jemand über diese fadenscheinigve Propaganda ereifern.

     

    aber es reicht wohl noch immer für eine Notiz in der taz.

  • T
    tüdelüt

    Sofort umsetzbar wäre eine Abschaffung des Ehegattensplittings und der Steuerklasse 5, die geringer verdienende Ehepartner/innen fast 50% ihres Einkommens kostet. Voila, schon hätte man das ersehnte "Arbeit muss ich wieder lohnen.".

    Aber so lange es in Westdeutschland noch als Kraftakt gilt, für gerade mal ein Viertel der unter 3-jährigen Kitas zu öffnen und Ganztagsschulen kein Standard sind, ist Vereinbarkeit für die Mehrheit der Bevölkerung nicht machbar.

  • K
    Kalle

    Na, was für ne krasse Erkenntnis!

    Dass diese Leute da sind und zum Teil auch arbeiten wollen und können ist ja revolutionär.

     

    Wenn man denen nicht massiv Aus- und Weiterbildungen finanziert und / oder ein bedingungsloses Grundeinkommen zur Verfügung stellt, werden die aber nicht über Nacht zu Fachkräften, nur weil sie da sind und atmen.

     

    Da keine konkreten Maßnahmen genannt werden, wie man das erreichen will, kann man die Meldung getrost direkt wieder vergessen.

    Alles nur heiße Luft.