Facebook-Partys mit der CDU: "Ich bring die Punks vom Kiez mit!"
Erst mokierten sich die großen Namen der Union über Facebook-Partys. Jetzt sind die kleinen Namen selbst in die Netzwerkfalle getappt – in ganz Deutschland.
HAMBURG taz | Die CDU ist kein 16-jähriger Teenie, möchte man meinen. Sie nennt sich Volkpartei. Doch ihre Medienkompetenz scheint nicht so weit zu reichen, zu wissen, dass man eine Veranstaltung auf Facebook erstellen kann, ohne die ganze Welt mit einzuladen.
Ob in Hasloh bei Pinneberg, im hessischen Dietzenbach, Berlin-Spandau oder Freiburg-Vauban: In ganz Deutschland klagen CDU-Ortsverbände über ungebetene Gäste, die sich für ihre Sommerfeste angekündigt haben.
Die Politiker haben alle denselben Fehler gemacht wie die 16-jährige Thessa aus Hamburg-Bramfeld: Bei Facebook auf "Öffentliche Veranstaltung" geklickt – und vergessen, dass "öffentlich" in der weiten Netzwelt eben etwas anderes bedeutet als in ihrer kleinen Gemeinde.
Hasloh im Kreis Pinneberg hat gerade 3.400 Einwohner, doch für das Sommerfest der dortigen CDU am 20. August hatten bis Dienstagabend 3.300 Menschen den "Ich nehme teil"-Button geklickt. Nicht nur Hasloher, wohlgemerkt. "Ich bring die Punks vom Kiez mit!", schrieb ein Hamburger auf die Pinnwand.
Hey Dagmar!
Auch aus Stuttgart und Bayern wollen sie anreisen, um in der Reiterscheune mit Bier und Würstchen den CDU-Sommer zu feiern. "hey Dagmar! Ich hab schon all meinen Freunden Bescheid gesagt (CDU-Sympathisanten) … geht das klar, dass wir bei dir pennen (50-60 Leute nur)?" Die dortige CDU-Chefin Dagmar Steiner hatte die Veranstaltung erstellt.
Der Hohn kommt nicht von ungefähr: Erst vor einer Woche hatte Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) gefordert, Facebook-Partys zu verbieten und Jugendliche über Gefahren im Internet aufzuklären. Ihm gleich tat es sein bayrischer Kollege Joachim Herrmann (CSU). Ilse Aigner, Bundesministerin für Verbraucherschutz (CSU), sprach sich für einen "Internet-Führerschein" aus. Nun zeigt sich, dass nicht nur Jugendliche lernen müssen, mit neuen Medien umzugehen.
So sieht es zumindest das Institut für PR Dresden Ilmenau, das eine Studie zu Social-Media-Aktivitäten von deutschen Regierungen erstellt hat. Ihr Fazit: Die Gesamtleistung von Bund und Ländern im Social Web fällt insgesamt mittelmäßig bis unbefriedigend aus. Vor allem die Bereitschaft zum Dialog werde weitgehend ignoriert, jedes dritte Profil sei praktisch tot.
"Vielleicht ist Facebook ja nicht ganz das Richtige für uns", sagt Michael Witt der taz. Er ist Sprecher der Hasloher CDU und mit den Nerven am Ende. Erst hatte er die ungewollte Popularität seines Ortsverbands verschlafen, am Dienstagnachmittag rührte er sich dann doch: Er sagte das Sommerfest ab. Auch die Facebook-Einladung ist mittlerweile gelöscht. Die vielen Zusagen seien eine "Aufforderung zum Hausfriedensbruch", sagt Witt.
Ein Nutzer, der in Hasloh auch "zugesagt" hat und sich Jan van Que nennt, sieht in diesem Ansturm einen neuen Protest der Internetgemeinde. "Die CDU kämpft immer an vorderster Front, was Netzsperren und Internet-Reglements angeht", sagt er der taz. "Dabei verstehen die wenigsten Parlamentarier etwas von der Struktur des Internets."
Das Internet "und diese ganzen Foren"
Der Hasloher CDU-Sprecher Witt gibt zu, dass er sich im Internet "und diesen ganzen Foren" nicht auskennt. Dennoch: Die Facebook-Aktion sei für ihn ein herber Vertrauensbruch. "Wir haben keinen Fehler gemacht, sondern all diejenigen, die ein Missgeschick eines anderen ausnutzen." Dabei habe ein Ehepaar sogar seine Reiterscheune für das Fest zu Verfügung gestellt. Witt ist sicher, eine öffentliche Facebook-Veranstaltung, "sowas werden wir nicht mehr machen".
Ein Missgeschick also, kein Fehler. Die örtliche Polizei ist anderer Meinung: Für ausufernde Partys sei der Veranstalter verantwortlich und müsse deshalb auch für Kosten von Vandalismus und Müllentsorgung aufkommen. Dies gelte auch im Fall einer Absage. Die Polizei beobachtet den Verlauf weiter, gemeinsam mit dem Ordnungsamt. Schließlich wurde Thessas Party auch abgesagt. Die Bilanz war ernüchternd: 1.500 Partygäste, elf Festnahmen. Verwüstete Vorgärten, brennende Mülleimer, zerstörte Zäune. Die Hasloher CDU denkt jetzt darüber nach, einen Sicherheitsdienst zu beauftragen.
Und die Facebook-Nutzer schlafen nicht: Martin Sonneborn, Satiriker und Gründer von "Die Partei", kopierte nach einer Sperrung der Dietzenbacher CDU-Einladung die nötigen Informationen auf seine Seite. Und das mittelfränkische Scheinfeld muss ebenfalls wachsam sein: Am 24. September wird dort das "CSU Kartoffelfest" gefeiert. Am Mittwochnachmittag haben erst 243 Menschen zugesagt. 936 Antworten stehen noch aus.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Mitarbeiter des Monats
Wenn’s gut werden muss
Erpressungs-Diplomatie
Wenn der Golf von Mexiko von der Landkarte verschwindet
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
80 Jahre nach der Bombardierung
Neonazidemo läuft durch Dresden
Zwei Todesopfer nach Anschlag in München
Schwer verletzte Mutter und Kind gestorben