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Fabrik der Erkenntnis - eine Oper

■ Am 1. Mai wird Donizettis „Lucia di Lammermoor“ aufgeführt / Gespräch mit Ulrich Michael Peters, Spielleiter der Bremer Oper seit 1987, der zusammen mit Ira Levin , 2. Kapellmeister und dem Bühnenbildner Florian Parbs produziert

taz: Italienische Oper steht am 1. Mai auf dem Programm des Goethetheaters. Donizettis „Lucia di Lammermoor“. Muß das sein, so kurz nach der Riemannoper? Kann man die noch steigern?

Peters: Wir werden sicher nicht so viel Amüsement ernten können, wie in der Riemannoper. Für mich ist wichtig, die Lucia nicht zu einem Museumsstückchen zu machen, weil Donizetti das gar nicht leiden könnte. Donizetti hat mit Herzblut geschrieben. Er war eine ganz zerrissene Persönlichkeit. All seine Konflikte schreibt er sich von der Seele. Aus seinen individuellen Katastrophen macht er Opern. Wenn man ihn sanft säuselnd abtut und hübsch Belcanto-Opern inzeniert, tut man ihm ganz entschieden Unrecht. Wir wollen hart und drastisch inzenieren. Blut ist Blut und Show ist Show: Donizetti

wollte es so.

Maria Callas ist tot, warum die Lucia aufführen?

Peters: Man darf Oper nicht grundsätzlich als Schauspiel mit Musik auffassen. Sie kann viel mehr erzählen, als das Schauspiel. Musik erzählt andere Dinge als das Wort, sie will Emotionen. Wo das Schauspiel endet, fängt die romantische Oper an: beim Mythos. Lucia di Lammermoor handelt von der Antinomie von Liebe und Macht. Beide psychologischen Triebkräfte sind gleichzeitig die extremsten Triebkräfte der Musik: das Piano und das Forte, das zarte Flöten und Geigen und das harte Tutti, Blech mit Schlagzeug, brutal, gewaltsam. Da explodieren die Emotionen.

Italienische Oper scheint mir für das 19. Jahrhundert das zu sein, was für uns Hollywood ist. Stets die gleiche Machart, stets der

Umgang mit trivialen Mythen.

Peters: Wir haben bei der Konzeption der Inszenierung den Begriff des Trivialmythos benutzt. Wir haben überlegt, was war das damals für ein Stoff. Lucia ist im Grunde das, was uns heute die Kinoepen und die Comics liefern. Da findet man laufend solche Stories. Frau zwischen zwei Männern, Kampf, Liebe, Untergang. Meistens gehen diese Comics schlecht aus, aber auch da treffen sie sich mit der italienischen Romantik. Für uns war das auch ein Schlüssel für die szenische Umsetzung.

Sollen wir denn eine Inszenierung sehen, bei der wir uns nicht nur am Schmelz des Tenores und am lyrischen Tremolo der Primadonna delektieren dürfen?

Peters: Ich glaub einfach, daß diese Musik nicht funktionieren kann ohne eine adäquate szenische Umsetzung. Schön gesungen wird allerdings auch. Wir wollen zeigen, was an diesem Stoff zeitlos ist, uns auch heute noch angeht. Man kann die Lucia spielen im italienischen Renaissancepalast, oder in der schmucklosen Halle einer schottischen Burg.

Zeitlos, Gefühle, das klingt nach süßer Suppe, die wir löffeln sollen.

Peters: Um Gottes Willen. Das wollen wir nicht und Donizetti schon gar nicht. Kurz, prägnant, hart, das ist der Stil von Donizetti. Am Anfang gibt es da ein Schloß, das eine Besatzungsmacht okkupiert hat, da kann man an alle Besatzungsmächte der Welt denken. Donizetti war nicht direkt politisch. Aber die Romantik in Italien wie auch in Deutschland war eminent politisch. Wenn Sie die Musik am Montag hören werden, werden Sie merken, daß sie nichts

Süßliches hat, ebensowenig wie seine Stoffe. Er bevölkert seine Opern mit allem, was an Outcasts denkbar ist, mit allem was an Extremen denkbar ist: vom Inzest bis zum Wahnsinn. Heute finden wir das in Filmen wie „Highlander“ oder „Blade Runner“. Science Fiction nicht im Nirgendwo sondern in einer realen Welt, das würde Donizetti mögen. Mit unserer Lucia-Produktion wollen wir zeigen, daß Donizetti ein Ideendrama konzipiert hat. Er will zeigen, wie die Mächtigen und Technokraten die mögliche Welt des Eros, des Weiblichen zerstören und uns der Herrschaft des Logos überantworten. Damit jagen sie die Welt in die Luft. Durch alle Donizettiopern zieht sich diese Technik des provokanten Menetekels. Sie soll erschrecken machen.

Oper nicht als 'Kraftwerk der Gefühle‘, sondern als 'Fabrik für Erkenntnis‘?

Peters: Das ist sicher Donizettis Idee.

Fragen: Mario Nitsche.

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