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F.W. Bernstein zum 60.Weltmacht Weigle

■ Ein Bündel Zeichenstifte und ein Besuch im Zoo. Eine Huldigung zum Geburtstag

Stellen Sie sich einmal vor, Sie begegneten Fritz Weigle im Aquarium des Berliner Zoos. Zunächst fällt Ihnen sein eindrucksvoller weißer Schnauzbart auf und seine Größe: Er könnte einmal Basketballspieler gewesen sein. Fritz Weigle steht vor dem Bassin mit den umtriebigen Riffhaien und verfolgt regungslos ihre Bewegungen. Dann greift er in eine kleine Tasche seiner Jacke und zückt ein unerwartet großes, grün eingebundenes Buch; aus einer anderen Untiefe kramt er ein Bündel Zeichenstifte hervor. Soeben sei ein neues Kinderbuch von F.K. Waechter erschienen, murmelt er, ohne den Blick von den Haien zu wenden, und dort käme auch ein Hai vor. Jedoch ein schlampig gezeichnetes Tier, weist er nach: „Hier kann man genau sehen, wie raffiniert so eine Rückenflosse konstruiert ist.“ Sorgfältig überträgt er seine Beobachtungen in das Buch, klappt es zu und läßt es wieder verschwinden.

Wenn Sie daraufhin den freundlichen älteren Herrn fragen, was er von Beruf sei, dann erhalten Sie ein rasch genuscheltes “...Lehrerhömmzeichnen“ zur Antwort, und wenn Sie jetzt nicht nachhaken, werden Sie nie erfahren, daß Sie soeben die Bekanntschaft mit F.W. Bernstein gemacht haben.

Genau, F.W. Bernstein: von der Germanstik und der Musik zur Zeichenkunst geratener WimS-Redakteur, Titanic-Mitarbeiter und Co-Autor der „Wahrheit über Arnold Hau“; heute Professor für Karikatur und Bildgeschichte an der Berliner Hochschule der Künste, dazu Illustrator und Autor diverser Schriften und außerdem: einer der besten komischen Dichter des Landes.

Daß die Welt bis heute nicht so recht von F.W. Bernstein erfahren hat, liegt auch an F.W. Bernstein. Wo andere unermüdlich die Trommel für sich rühren und das Drittbeste schon in Gold rahmen lassen, vertraut er einige seiner schönsten Einfälle leichtsinnig der Nachfolgerin der Bundespost an und verschickt auf diesem Wege Originale per Postkarte; anstatt Bekannte zu einem 3Sat-Fernsehporträt über ihn anzuregen, zeichnet er sich selbst zwanzig Pfund runder, als er in Wirklichkeit ist.

Von ihm erfahren Sie das natürlich nicht: Auf der weiteren Wanderung durch den Zoo führt F.W. Bernstein Sie vielmehr an die Voliere des Waldtrapps, eines skurrilen Vogels mit geradezu angepappt wirkendem Gesicht und langem spitzen Schnabel, und, wie der Waldtrappexperte Bernstein zitiert, „rechten Schlecks“ – schmackhaftes Federvieh also, das heute artengeschützt und nur noch in abgelegenen Gegenden der Türkei zu finden ist. „Besonders die noch nicht geschlüpften Küken galten als Delikatesse“, informiert er weiter, das Faszinierendste aber sei der Schrei des Waldtrapps, „ein eigenartiges Schluchzen“. Heute schluchzt der Waldtrapp nicht. F.W. Bernstein schüttelt enttäuscht den Kopf und wendet sich direkt an den Vogel: „Nimm doch mal die Maske ab“, fordert er ihn in sanftem Ton auf.

Zwar gehört die Disziplin „Zootiere beleidigen“ zu den ältesten Traditionen der Neuen Frankfurter Schule, aber der Professor ist viel zu nett, um den bockigen Waldtrapp weiter zu provozieren. Zorn und Boshaftigkeit sind F.W. Bernstein fremd – in seinen Zeichnungen liegt eher ein wenig gut dosierte und daher äußerst bekömmliche Melancholie. Und selbst da, wo er guten Grund hätte zu toben, bleibt er ruhig: So sind der Neuausgabe des WimS“-Bandes je eine Zeichnung der Kollegen Gernhardt und Waechter beigelegt – F.W. Bernstein wurde jedoch nicht um einen Sonderbeitrag gebeten. „Dabei hätte ich auch gern ein Litho gemacht“, sagt er und fügt hinzu: „Die Herren sind halt in der Bundesliga und wollen den Zweitligisten nicht dabeihaben.“ Während Sie sich noch über diese Selbsteinschätzung wundern, schlägt F.W. Bernstein vor, nachzusehen, „ob es gerade junge Pinguine gibt“, und schon stehen Sie mit ihm vor dem Glashaus der Königspinguine. Dort schläft ein dickes Pinguinjunges, und F.W. Bernstein seufzt: „So ein schöner Wuschel.“ Und nun gehen Sie nach Hause. Planen Sie Ihren Besuch der Bernstein-Ausstellung in Kassel, vergessen Sie bloß nicht das Reclam-Heft „Reimweh“ für die Fahrt, und halten Sie Ihr Transparent recht hoch: „Nie wieder zweite Liga!“ Carola Rönneburg

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