FUSSBALL UND HARNDRANG: "Das gab's auch bei Lena"

Wenn Deutschland spielt, steht Berlin still - zumindest geht niemand pullern, weiß Wasserbetriebe-Chef Jörg Simon.

Was hier drin passiert, interessiert die Wasserbetriebe nicht - jedenfalls nicht sofort Bild: reuters

taz: Herr Simon, die Wasserbetriebe veröffentlichen zur WM eine tägliche "Spülanalyse" auf ihrer Website, eine Kurve, auf der sich die Schwankungen im Wasserverbrauch abzeichnen.

Jörg Simon: Da muss ich Sie gleich korrigieren. Wir sprechen nicht von "Wasserverbrauch", denn verbrauchen können Sie das Wasser ja nicht. Sie können es höchstens dreckig machen, aber es kommt immer wieder zur Reinigung zu uns zurück. Wir sprechen eher von "Wassergebrauch".

Gut. Der Wassergebrauch also schwankt deutlich, wenn Deutschland spielt: Nach Anpfiff geht er stark zurück, um dann zur Halbzeitpause und zum Schlusspfiff wieder in die Höhe zu schnellen.

Genau. Vergleichen Sie mal den frühen Nachmittag des 11. Juni mit dem des 18. Juni. Beides ein Freitag, aber am 18. sehen Sie einen unglaublich starken Rückgang der Kurve während des Spiels Deutschland - Serbien. Man könnte sagen, die Stadt ist in diesem Moment weitgehend zum Erliegen gekommen. Viele Berliner haben sich das Spiel auch am Arbeitsplatz angesehen. Andere haben früher Feierabend gemacht und zu Hause oder im Kleingartenverein geguckt. Die Abweichung ist jedenfalls extrem deutlich.

Nur bei Deutschland-Spielen!

Richtig, ganz so deutlich fällt das sonst nicht aus. Ein regelrecht langweiliger Tag war laut unserer Statistik etwa der 19. Juni.

Da spielten Niederlande - Japan, Ghana - Australien, Kamerun - Dänemark. Scheint keinen groß zu interessieren.

Das wird sich aber ab dem Achtelfinale ändern. Gäbe es ein Endspiel Nordkorea - Mexiko, wären die Ausschläge genauso hoch, da bin ich mir sicher.

Sehen wir uns die Kurve von Deutschland - Serbien genauer an. Was können wir aus den kleineren Zacken schließen? Einmal macht die Kurve einen Extra-Ausschlag nach unten. War das vor Podolskis verschossenem Elfmeter? Da geht ja nun niemand pullern.

Das glaube ich eigentlich nicht, auch wenn ich Ihnen natürlich nicht das Gegenteil beweisen kann. Ich würde das eher im Bereich der Datenunschärfe ansiedeln. Es gibt ja so viele Einflüsse: Lassen Sie nur mal im Tiergarten die Rasensprenger angehen, schon kriegen Sie wieder einen kleinen Zacken in der Kurve.

Das ist für Laien alles interessant. Aber was bedeutet es technisch für die Wasserbetriebe?

Technisch bedeutet das, dass unsere Maschinen in dem Moment, in dem ganz viele Leute gleichzeitig auf dem Klo das Knöpfchen drücken, einen Druckabfall registrieren. Normalerweise halten die Pumpen unserer Wasserwerke da automatisch gegen. Bei so starken Schwankungen wie jetzt müssen aber unsere Leute in den Schaltwarten den Druck tatsächlich per Hand justieren.

Und damit sie den richtigen Zeitpunkt anpassen, schauen die sich die Partie auch an?

Ja. Die verfolgen auf einem Monitor das Spiel und schalten im gegebenen Moment nach. Ziel ist, grob gesagt, den Normaldruck von 5 Bar im Wasserrohrnetz aufrechtzuerhalten. Wobei der Wert ein bisschen schwankt, auch zwischen Hoch- und Tiefstadt.

Äh, sprechen Sie von Berlin?

Natürlich. Sie müssen sich vorstellen, dass zwischen dem Spreetal, wo das Wasser gewonnen wird, und den höchsten besiedelten Punkten der Stadt, etwa in Buch, an die 60 Meter Höhenunterschied liegen. Der Druck muss dann entsprechend höher sein, damit das Wasser auch dort noch bis in den fünften Stock steigt. Übrigens haben alle neun Berliner Wasserwerke sogenannte Reinwasserbehälter, große unterirdische Hallen, in denen bereits gefördertes Trinkwasser gelagert wird. Die dienen als Puffer, um Nachfragespitzen schnell bedienen zu können, und die bewachen wir wie Fort Knox.

Gibt es solche Ausschläge im Gebrauch nur beim Fußball?

Früher gab es das häufiger. Da haben sich die Schichtleiter regelmäßig vergewissert, ob abends nicht ein nationales Großereignis im Fernsehen lief. Das waren außer Fußball auch Samstagabendshows wie die von Kulenkampff oder beliebte Filme, die sogenannten Straßenfeger. Aber wir hatten unsere Statistik schon beim European Song Contest ausprobiert. Da gab es eine Lena-Kurve, einen kräftigen Ausschlag gegen 0.45 Uhr, als alle Voten abgegeben waren. Überhaupt sieht man solche Ausschläge am besten abends. Am Tag werden die durch das Grundrauschen verwässert, auch durch die Wirtschaft.

Wie groß ist der Anteil der Haushalte an der Wassernutzung?

In Berlin liegt der um die 70 Prozent. Das drückt ja auch die Schwäche unseres Standorts aus, dass die Industrie so wenig dazu beiträgt. Unsere größten Kunden unter den Unternehmen sind die Wohnungsbaugesellschaften.

Und wer gewinnt die WM?

Schön wäre es natürlich, wenn Deutschland gewänne, aber so wie sie gegen Serbien gespielt haben, wird das nichts.

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