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„FR“ ohne eigene SportredaktionEine von vieren

Die Sportredaktion der „Frankfurter Rundschau“ arbeitet jetzt in einem Verbund mit Lokalzeitungen der Ippen-Gruppe. Und folgt damit einem Trend.

Ein Haufen Wissen: Bücherflohmarkt der taz-Sportredaktion, 2018 Foto: Foto: Stefan Boness

Jan Christian Müller hatte immer gern im Café unter dem Redaktions­gebäude am Südbahnhof gesessen. Nun ging er dort noch ein letztes Mal hin. Einen Cappuccino bestellte sich der 61-Jährige und dachte nach über seine fast 30 Jahre als Sportredakteur der Frankfurter Rundschau (FR).

Zuvor hatte er ein letztes Foto von sich vor dem Türschild der Sport­redaktion machen lassen, hatte sich verabschiedet bei den wenigen, die aus den anderen Ressorts am 28. Mai, dem Tag vor Christi Himmelfahrt, zugegen waren. Seine Zugangskarte gab Müller bei der Sekretärin ab.

Mit einer solchen hatte er an seinem ersten Arbeitstag als FR-Redakteur, dem 1. Oktober 1995, stolz die Tür zum damaligen Rundschau-Haus geöffnet. Und jetzt, nachdem er sein halbes Leben lang für die Zeitung gearbeitet hatte, dieses schmucklose Aus. Müller sagt: „Wenn es das Wort würdelos noch nicht gäbe, hätte man es für diese Form des Abschieds erfinden müssen.“

Seit dem 1. Juni wird der Sportteil der FR in einem Verbund mit der Offenbach-Post (OP), dem Hanauer Anzeiger (HA) und der Frankfurter Neuen Presse (FNP) produziert. Als „Sport-Unit Hessen“ bezeichnen sich die insgesamt 19 Redakteurinnen und Redakteure intern. Bei der Zusammenlegung ging keine Stelle verloren – zumindest vorerst.

Alle unter Ippens Dach

Sie alle sitzen nun in Offenbach, wo seit Januar auch der Sport für die Wochenzeitung Freitags-Anzeiger für Mörfelden-Walldorf und Kelsterbach produziert wird. Nach eigenen Angaben kommt dieser Verbund der vier Tageszeitungen und des Wochenblatts monatlich auf über 68 Millionen Visits auf den Websites. Und auf eine verbreitete Auflage von 115.000 Exemplaren. Darin sind auch die E-Paper enthalten. Ende 2010 hatte allein die FR eine höhere verkaufte Auflage von fast 130.000.

Verbunden sind die einzelnen Titel nicht erst seit der Sport-Unit Hessen. Sie alle gehörten schon zuvor zur Ippen-Gruppe. Diese beschäftigt nach eigenen Angaben für ihre Verbreitungsgebiete in mehr als 100 Landkreisen von Schleswig-Holstein bis Bayern mehr als 2.000 Journalistinnen und Journalisten.

Zu Ippen.Media zählt beispielsweise auch die Gemeinschaftsredaktion von Münchner Merkur und tz. Von dieser übernehmen viele Ippen-Blätter seit Jahren unter anderem die Texte zum FC Bayern. Seit 2018 macht das auch die FR.

Der Tausch geht jedoch in beide Richtungen: Der ehemalige Eintracht-Reporter der Rundschau, Ingo Durstewitz, soll für die Sport-Unit und teils auch für andere Ippen-Blätter weiterhin über den Frankfurter Bundesligisten berichten. Bei Müller gilt selbiges unter anderem für die deutsche Nationalmannschaft.

Kooperationstrend mit Besonderheit

Wenn die Inhalte austauschbar sind, werden es dann die Zeitungen auch? Diese Gefahr besteht. Die überregionale FR, über Jahrzehnte eine Institution auf dem Zeitungsmarkt, wäre dann fast 80 Jahre nach ihrer Gründung mit ihrem Sportteil nur eine von vielen – oder in diesem Fall von vieren. Zumindest in der Sportberichterstattung.

Mit der Sport-Unit Hessen folgt Ippen einem allgemeinen Kooperationstrend – aber mit einer Besonderheit: Die Sport­redaktion einer überregionalen Zeitung wurde abgetrennt und eingebunden in einen Verbund mit drei Lokalblättern. Von denen nun auch noch eines der federführende Arbeitgeber ist, da die bisherigen vier FR-Sportredakteure jetzt angestellt sind beim Pressehaus Bintz-Verlag, der die OP herausgibt. Geblieben ist den Mitarbeitenden nur ihre E-Mail-Adresse der FR.

Derartige Kooperationen sind immer häufiger zu beobachten. Madsacks Redaktionsnetzwerk Deutschland ist solch ein Verbund, die Funke-Mediengruppe ein anderer. Ein weiteres Beispiel ist die Gemeinschaftsredaktion der Neuen Osnabrücker Zeitung mit dem Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag. Zusammen expandieren sie weiter: Jüngst kamen die OM-Medien (Münsterländische Tageszeitung und Oldenburger Volkszeitung) sowie die Zeitungsgruppe Ostfriesland und die Mittelbadische Presse als Partnerverlage hinzu.

Darüber hinaus gibt es die sogenannte G14, in der Sportredak­tionen von Regionalzeitungen in zweistelliger Zahl seit Jahren zusammenarbeiten, von der Augsburger Allgemeinen über den Mannheimer Morgen bis zum Südkurier. Für dieses Bündnis berichten beispielsweise von einer Fußball-WM wenige Reporter für alle eingebundenen Blätter. Das ist deutlich günstiger, als wenn jede Zeitung jemanden entsenden müsste.

Besser als Wüsten

In all diesen Kooperationen werden die einzelnen Titel zumindest teilweise mit den gleichen überregionalen Inhalten befüllt, ob in Politik, Wirtschaft oder Sport. Das ist besser als sogenannte Nachrichtenwüsten, in denen keine Lokalzeitung erscheint.

Davor warnen der Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) und die Regionalverbände seit Jahren. Laut der Wüstenradar-Studie der Hamburg Media School von 2024 nimmt die Zahl der Zeitungstitel zwar immer mehr ab, weiße Flecken ohne eine einzige Tageszeitung in einem Landkreis gibt es demnach in Deutschland aber noch nicht, anders als in den USA.

Nachrichtenwüsten seien sehr problematisch, „weil die Lokalmedien eine immense Bedeutung für den demokratischen Diskurs haben“, erklärt Andrea Kloß, die als Professorin für Journalismus und Medienmanagement an der Hochschule Macromedia in Leipzig lehrt. Ohne Lokalzeitungen nehmen Gefahren wie Des­information über soziale Medien zu. Kloß sagt, für die Zeitungen könne gerade „der Lokalsport als Scharnier wirken“ und zur Leserbindung beitragen.

Doch auch wenn Kooperationen gegen Nachrichtenwüsten helfen können: Insgesamt leidet die Vielfalt durch die Zusammenarbeit der Verlage immer mehr, was ebenfalls mit Nachteilen für die Meinungsbildung verbunden ist. Unterschiede der einzelnen Titel lassen sich meist im Lokalen erkennen. Aber auch dort gibt es Kooperationen. Wie bei den Bielefelder Tageszeitungen Neue Westfälische und Westfalen-Blatt. Seit einigen Jahren machen die einstigen Rivalen im Lokalsport gemeinsame Sache. Die Printkrise mit immer weiter sinkenden Auflagen sorgt für kuriose Allianzen.

Ist es das wirklich wert?

In der Wissenschaft bezeichnet der Begriff „Zombie-Zeitung“ Blätter, die nach außen scheinbar eigenständig wirken, aber komplett mit Fremdinhalten bestückt werden. Leif Kramp ist Forschungskoordinator des Zentrums für Medien-, Kommunikations- und Informationsforschung der Universität Bremen. Er sagt, ökonomisch sei ein solch pragmatisches Vorgehen zwar kostensparend. Dennoch müssten sich die Verlage fragen, „ob es den Verlust an Vielfalt und Eigenständigkeit wirklich wert“ sei.

„Wenn Zeitungstiteln ihre Unterscheidbarkeit genommen wird, kann das publizistische Ansehen durchaus Schaden nehmen und die Nutzerbindung leiden.“ Der Präzedenzfall sei die Westfälische Rundschau gewesen, bei der die Redaktion 2013 komplett aufgelöst wurde. Seither existiert sie nur noch als Markenname, die Inhalte werden aber von anderen Medien übernommen, vor allem von der Funke-Mediengruppe.

In solchen Fällen werde der Leserschaft „vorgegaukelt, dass eine Zeitung erhalten bleibt, obwohl ihr redaktioneller Kern fehlt“, sagt Kramp. Er findet: „Dass bei regionalen Medienhäusern Parallelstrukturen im Überregionalen abgebaut werden, beispielsweise bei Parlamentskorrespondenten in Berlin, ist wirtschaftlich durchaus nachvollziehbar. Besorgniserregend wird es aber, wenn bei der Regional- und Lokalberichterstattung gespart wird.“

Dazu soll es im Fall der Sport-Unit Hessen mit FR, OP, HA und FNP nicht kommen. Jörg Moll, der Leiter der neuen Gemeinschafts-Sportredaktion und Mitglied der Chefredaktion der OP, versichert, dass auch künftig nicht die identischen Inhalte in den vier Zeitungen erscheinen sollen. Das werde schon durch die Dreiteilung in den überregionalen, regionalen und lokalen Sport vermieden.

„Titelbezogene Besonderheiten“

„Im überregionalen Sport ist es sinnvoll, dass man Synergien intensiver nutzt“, sagt der 55-Jährige. Aber auch da werde es weiterhin Unterschiede geben. Zudem soll der Transfer von Inhalten nicht nur vom Arbeit- und Geldgeber OP in Richtung FR verlaufen. Moll sagt: „Wenn ein Gedanke oder ein Thema in der FR tiefer ausgearbeitet wird, ist das auch für unsere anderen Titel nicht uninteressant. Aber es dürfen auch titelbezogene Besonderheiten bestehen bleiben.“

Ein gewisses Maß an Vielfalt soll auch dadurch gewahrt werden, dass die bisherigen Sport-Ressortchefs von FR, Jörg Hanau, und FNP, Kerstin Schellhaas, zu Molls Stellvertretungen wurden. „So decken wir auch die Expertise von den einzelnen Titeln in der Ressortleitung ab“, sagt Moll.

Er räumt aber ein: „Es sind natürlich Welten, die da aufeinanderprallen, allein schon von der Ausrichtung her. Die FR ist eher ein überregionales Medium, die anderen sind klassische Lokalzeitungen.“ Zugleich ermögliche der Verbund neue Impulse für alle. Für die Leser ist zwar zu erkennen, dass die einzelnen Zeitungen Texte teilen, falls sie die Medien direkt miteinander vergleichen. Von welcher Zeitung die Texte stammen, ist dabei allerdings nicht leicht ersichtlich.

Wie groß der Einfluss der früheren Rundschau-Redaktion auf die Sport-Unit Hessen mittelfristig bleiben wird, muss abgewartet werden. In ein paar Jahren gehen die ältesten aus dem Quartett, Hanau und Müller, in den Ruhestand.

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