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FLIEGENDE FETZEN

■ Das „Kecskes Ensemble“ aus Budapest schreitet die „Horizonte 89“ ab

Es fing alles ganz brav und kommerziell an: Das Publikum ordnete sich in die gepolsterten Klappsitze ein, die MusikerInnen - eine Frau zwischen elf Männern - drapierten sich in trauriger Konzerttracht auf die Bühne, und vor dem Saal wurde an vier Bücherständen so ziemlich alles angeboten, was im entferntesten zwischen die beiden Deckel aus Orient und Okzident dru(e)ckbar ist. Die Musik ist schwarz, die Westen der Veranstalter weiß (schließlich geht es ja um kulturelle Ost-West-Beziehungen), und die BesucherInnen sind mit allem einverstanden.

An diesem Sonntag abend durfte jedoch im Auditorium der Kongreßhalle nicht nur gestaunt, sondern erstaunlicherweise auch gelacht werden. Das liegt zum einen an den witzigen Instrumenten, die das „Kecskes Ensemble“ aus Budapest mitgebracht hatte: Da spielen sie zum Beispiel außer auf Nonnengeigen und Gemshörnern auch mit Holzlöffeln und Kuhglocken, „Garkleinflöten“ und „Päuklein“. Das liegt zum anderen aber auch an der mimischen Besessenheit, mit der sie ihre Lieder unzweideutig kommentieren. Und es ist schließlich die Brillanz, die sie beim Spielen der zahllosen folkloristischen Instrumente zeigen.

Viel Liebe und Magie ist in diese ungarische Musik eingeflossen. Vom „Beschützer des Feuers“ wird gesungen, ein „Derwisch“ ebenso beschworen wie die „Vertreibung des Dämons“. Ein Blick auf die Titel der Stücke aber festigt den Verdacht, daß die „Brücke zwischen Orient und Okzident“, zu der Ungarn hier reduziert wird, eine Kultur der Militanz ist: Vom „Hunnensturm“ bis zur „Vernichtung Siebenbürgens“ ist alles vertreten, ganz zu schweigen von Märschen und Soldatenliedern.

Und die Fetzen fliegen auch musikalisch: Die dominanten Instrumentenfamilien der Lauten, Flöten und Trommeln kommen in arge Verlegenheit, als zwei Musiker ein „Maultrommelduett“ spielen. Es „virtuos“ zu nennen, ist wohl etwas unpassend, aber es ist wirklich das schärfste Gewürz in diesem klangkulinarischen Menü aus vier Gängen. Ähnlichen Erfolg hat wenig später Tamas Kiss mit seinem maultrommelartigen Gesang, bei dem er auf seinen kehligen Lauten messerscharfe Obertöne tanzen läßt. Obwohl das Ensemble bescheidene 4.000 Jahre in zwei multimusikalische Stunden zusammenfaßt, besteht das tobende Auditorium auf zwei Zugaben. Das ist vor allem Ismail Vasseghi zu verdanken: Er legt mit einem Tombak (türkische Handtrommel) und einem Santur (mit Klöppeln gespielte Zither) zwei Soli aufs Parkett, die plappernd und plastisch in den Ohren sausen. Mit seinem Trommelsolo könnte er problemlos einen ganzen Charly-Chaplin-Film synchronisieren.

Und den Psalm von Gal Huszar spielen zwei Musiker vierhändig auf einer Laute. Als sich bei diesem Bild glucksende Heiterkeit breitmacht, grinsen sie freundlich zurück. - Ex oriente Jux!

Christian Vandersee

Nächstes Konzert in der Reihe „Musik aus Orient und Okzident“ am 24. Juni, „Sequentia Köln“ in der Auenkirche.

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