: FLASCHEN UND FRAUEN
■ S T A N D B I L D
Donnerstag,27.10.'ZDF,21.00 Uhr„Wahrscheinlich ist es einfacher zu trinken und die Kinder der Oma hinterherzuschicken als sich selbst um die Kinder zu kümmern!“ schimpft ein äußerst arroganter junger Weißkittel mit einer weinenden Frau. „Ihre Kinder haben von klein auf gelernt, daß Trost von der Mutter nicht kommt und sie halten es nicht mal aus, daß ihre Kinder sie trösten ?“ blöfft er eine andere an.
Dazwischen Bilder von Frauen mit Kindern beim Reiten, Frauen beim Blumenbinden und bei Gärtnerinnenarbeit, Frauen beim Steinebehauen, bei Entspannungsübungen und beim Abendbrot. Es drängt sich die Frage auf, ob nicht unter den Lebensumständen wie jetzt bei der Entziehungskur niemals die Situation von Verzweiflung und Einsamkeit so stark geworden wäre, daß nur noch die Flasche hilft.
Und dann die Kinder: Ein süßer großer Bruder um die 18 und seine kleine etwa 6 jährige Schwester, läßt sich Göttin sei Dank nur darauf ein, zuzugeben, am schwierigsten sei das Vertuschen des Alkoholismus der Mutter gewesen. Er scheint seine Schwester zu mögen und sie ihn. Traumkinder.
Ein anderer kleiner Knabe in einem Spielfilmausschnitt zum Thema, einer dem es wirklich nicht gut geht und seiner Mutter auch nicht, da sie laut Film arbeitslos und keine Knete hat, nicht mal für ein Geburtstagsgeschenk, dieser Junge tritt sinnbildlich unterdrückt auf, indem er das Treppenhaus putzt.
Oh shit! So werden die Sachen voll durcheinandergebracht. Die überforderten Kids - zweifellos sind sie teilweise überfordert - müßen das anhand von Beispielen beweisen, die ich oft garnicht so schröcklich finde. Kleine Hausarbeiten verrichtende die Jungs, Große, die auf ihre kleinen Geschwister aufpassen, sind mir eine Lust.
Suchtabhängige Mütter und ihre Kinder: Bilder aus einer Therapieeinrichtug in Altenkirchen. 76% der Patientinnen werden dort angeblich „trocken“. Und für die Kinder dieser Frauen, so der Film, „sind die Chancen gestiegen, daß sie getröstet werden“.
Und immer, wenn ich sowas sehe, kriege ich kalte Wut und Lust, den Herren in weiß mal 'ne Therapieeinrichtung für Frauen vorzuführen, die nicht mit den Methoden der Unterdrückung, Selbstzerfleischung und Verinnerlichung des Mutterideals arbeitet. Aber: ich würde es einfach gerne wissen. Wieviel Frauen würden es schaffen oder garnicht erst suchtkrank werden, wenn ihnen andere Lebensbedingungen geboten würden.
„Ich lerne hier für mich selbst und meine Familie Verantwortung zu tragen,“ sagte eine der Patientinnen und eine anderen wurde in den Mund gelegt: „Ich lerne das Beste was ich kann - das alles auszuhalten.“
Nun denn, sie funktionieren wieder. Vielleicht ist es auch besser als ganz vor die Hunde zu gehen. Übrig bleibt das schale Gefühl von den alten Ideen darüber, daß die Menschen, die es eben nicht aushalten, nicht die Dümmsten sind. Und die ganzen Süchtigen und Verrückten und Ausgeflippten und Chaoten höchstens Solidarität brauchen, um ihre Haßenergien gegen andere zu richten als gegen den eigenen Körper...
Ach - wie waren die Zeiten noch so schön, als wir uns noch darum kümmern konnten! Heiße Grüße an die italienischen GenossInnen aus den „realised“ 70iger Jahren. Katja Leyre
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