FISCHER HAT DAS JAGDFIEBER DER MEDIEN UNTERSCHÄTZT: Verhängnisvoll locker
Es scheint, als habe Joschka Fischer erst jetzt erkannt, dass sein Auftritt vor dem Landgericht Frankfurt kein sportliches Ereignis war. Nun, nachdem wegen Falschaussage ermittelt wird, hat sich der Außenminister rechtlichen Beistand genommen. Den hätte Fischer schon in Frankfurt gebraucht, sagen heute manche. Nur: Wäre er mit einem Anwalt erschienen, hätten dieselben Stimmen gerufen: Da will jemand etwas hinter juristisch dehnbaren Formulierungen verbergen!
Der Außenminister hat sich den Befragungen zu seiner linksradikalen Vergangenheit gestellt. Alleine – man muss es in der allgemeinen Aufregung betonen – als Zeuge im Verfahren gegen den Exterroristen Klein. Zum Verhängnis wird ihm seine Lockerheit. Ganz sicher hat Fischer das Jagdfieber mancher Medien unterschätzt. Nun werden frühere Äußerungen Wort für Wort auf verfängliche Details abgeklopft. Der Fall Fischer nimmt die Qualität der Lewinsky-Affäre an. Auch bei dem angeblichen Fehltritt Bill Clintons ging es um eine Lappalie – um eine Lappalie, die in der medialen Wirklichkeit die Dimension einer Staatsaffäre annahm.
Fischer selbst – und da ähnelt er Clinton – macht es seinen Opponenten leicht. Es ist grob fahrlässig, wie der Minister seinen Staatsminister Ludger Volmer ein PLO-Treffen 1969 im Bundestag herunterreden ließ. Im Angesicht der drohenden Ermittlungen im Frankfurter Fall wäre gerade da besondere Umsicht nötig gewesen. Noch im Nachhinein reibt man sich verwundert die Augen über derartige Unprofessionalität. Es scheint, als ob die Regierung auch nach dem miserablen Einstand 1998 nicht gelernt hat, dass die Kommunikation ihrer Mitglieder untereinander ein wesentliches Element für Stabilität ist.
Jetzt müssen Fischer und seine Umgebung hinterherrudern. Ein Ereignis von vor 32 Jahren hat eine ganz neue politische Bedeutung erhalten – ähnlich wie Fischers Äußerungen zu Kontakten mit der Exterroristin Schiller. An dieser Entwicklung ist der Minister zumindest mit schuld. Er hätte allen Grund gehabt, seine Kontakte zu Schiller wie auch seine Teilnahme in Algier von Anfang an klar darzulegen – selbst wenn dort eine Deklaration zur Vernichtung Israels verabschiedet worden wäre. Denn der heutige Außenminister ist das lebende Beispiel dafür, dass man aus Fehlern lernen kann. Es war Fischer, der sich – zum Ärger mancher in seiner Partei – mit linkem Antisemitismus auseinander gesetzt hat. Dafür steht er, nicht für die Bilder von 1969. SEVERIN WEILAND
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