FINANZEN: Merkel sprengt das Stadtschloss
Das Bundeskabinett spart sich den Schlossnachbau - mindestens bis 2014. Nicht alle Berliner sind traurig über drei weitere Jahre Wiese.
Vor 2014 wird auf dem Schlossplatz kein Schloss gebaut. Die Bundesregierung beschloss am Montag im Rahmen der aktuellen Sparmaßnahmen, den Bau zu verschieben. "Wir haben für die Jahre 2011 bis 2013 keine Mittel eingestellt", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).
Ursprünglich sollten die Bauarbeiten für das 552 Millionen Euro teure Großprojekt Anfang nächsten Jahres beginnen. Auf dem Schlossplatz ist aktuell eine "Humboldt-Box" im Bau, die über das geplante interkulturelle Zentrum im Inneren des Baus Auskunft geben soll. Die Box werde wie geplant fertiggestellt, versicherte die zuständige Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. "Im Gegenteil zum Bund halten wir unsere Zusagen", kommentierte Sprecher Mathias Gille und nannte die Schloss-Entscheidung ein falsches Signal. Alternativpläne zur weiteren Gestaltung des Schlossplatzes habe die Behörde nicht. Man müsse jetzt sämtliche Zwischennutzungsoptionen prüfen, etwa einen längeren Verbleib der temporären Kunsthalle.
Auch die künftigen Nutzer des Humboldt-Forums hat die Bauverzögerung kalt erwischt. "Wir müssen uns jetzt erst einmal neu sortieren", sagte Claudia Lux, Leiterin der Zentral-und Landesbibliothek, die 2011 ins Humboldt-Forum einziehen sollte. Drei weitere Jahre Wartezeit hält Lux für "unschön, aber bewältigbar", sofern man in der Box weiter vor Ort an einem gemeinsamen Konzept für das Humboldt-Forum arbeiten könne.
1443: Baubeginn für das Schloss als feste Hohenzollernresidenz.
ab 1698: Um- und Erweiterungsbauten durch Andreas Schlüter.
1845: Mit der Fertigstellung des Portals Eosander von Göthes bekommt das Schloss seine endgültige Form.
Februar 1945: Brand des Schlosses.
22. Juli 1950: SED-Chef Walter Ulbricht verkündet den Abriss. Zwei Monate später wird die Schlossruine gesprengt.
1973-1976: Der Palast der Republik wird gebaut.
19. September 1990: Wegen Asbestverseuchung wird der Palast der Republik von der Volkskammer geschlossen.
1993: Der Förderverein Berliner Stadtschloss setzt mit der Nachbildung der Schlossfassade an einem Gerüst die Debatte um einen Wiederaufbau der Preußen-Residenz in Gang.
20. Dezember 2001: Eine Expertenkommission schlägt einen Nachbau des Stadtschlosses mit barocken Fassaden vor. Der Palast der Republik soll abgerissen werden. Im Schlossbau soll das "Humboldt-Forum" mit Museum, Bibliothek und Veranstaltungsbereich entstehen.
4. Juli 2002: Der Bundestag beschließt mit überraschend klarer Mehrheit die Wiedererrichtung der historischen Schlossfassaden.
8. November 2007: Das Stadtschloss darf nicht mehr als 552 Millionen Euro kosten. Mit dieser Auflage gibt der Haushaltsausschuss des Bundestages grünes Licht für den Bau. Er ist zunächst von 2010 bis 2013 geplant.
28. November 2008: Den Zuschlag einer Jury aus Architekten und Politikern für den Nachbau erhält der italienische Architekt Francesco Stella. Die Ruine des früheren Palastes der Republik ist weitgehend abgerissen.
Januar 2010: Der Bau des Informationszentrums zum Schlossprojekt ("Humboldt-Box") beginnt, Ende 2010 soll sie eröffnet werden.
7. Juni 2010: Das Bundeskabinett beschließt, den Baubeginn für das Schloss von 2011 auf 2014 zu verschieben. (dpa)
Die Zukunft des Kultur-und Wissenschaftszentrums sieht Lux weiterhin optimistisch, die seiner Barockhülle nicht: "Der Spendenbereitschaft für die Barockfassade ist diese Entscheidung sicher nicht zuträglich." Die Kosten für die Fassade - geschätzte 80 Millionen Euro - will der Schlossfan Wilhelm von Boddien allein von privaten Spendern auftreiben.
Der Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger, der mit seinen außereuropäischen Sammlungen einen großen Teil des Neubaus belegen soll, bedauerte den Aufschub. Er freute sich aber über das klare Bekenntnis der Bundesregierung zum Humboldt-Forum - auch in Zeiten des Sparens.
Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) kritisierte den Beschluss der Bundesregierung. Es sei ein "kulturpolitisches Armutszeugnis", wenn Schwarz-Gelb die mit großer Mehrheit gefassten Beschlüsse des Bundestages infrage stelle, sagte Wowereit. Diesen seien jahrelange öffentliche Debatten über die angemessene Gestaltung der Berliner Mitte vorausgegangen.
Der stadtentwicklungspolitische Sprecher der Linken und Ex-Kultursenator Thomas Flierl zeigte sich dagegen erfreut. Man habe Zeit gewonnen, das Projekt Humboldt-Forum zu präzisieren und es von seiner "fragwürdigen Fixierung auf das Fassadenschloss zu lösen", sagte der als Schlossgegner bekannte Flierl. Der Stadt steht nun eine erneute Debatte über Architektur auf dem Schlossplatz bevor.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin