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FETISCHKUNST UND HÖHERE GEWALT

■ Fotos von Jacques Henri Lartigue im Institut Fran?ais

Hätte Marcel Proust einen Leibfotografen gehabt, sein Name wäre vermutlich Jacques Henri Lartigue gewesen. Dieser französische Fotograf, dessen Arbeiten gegenwärtig im Institut Fran?ais in einer kleinen Auswahl vorgestellt werden, wurde indes der Staatsfotograf Valerie Giscard d'Estaings. In Frankreich ist sein Name mit dem Bild des ehemaligen Staatspräsidenten verknüpft, den er nicht vor dem üblichen klassischen Dekor, sondern nur mit Staatsflagge abgelichtet hat. In der Ausstellung des Instituts sind allerdings seltsamerweise von Lartigue mehr als 70 Jahre umfassenden Lebensoeuvre nur die ersten drei Jahrzehnte des Jahrhunderts präsent.

So entsteht in der Tat eine Proustsche Welt vor unseren Augen, zu der die Edelnutte aus dem Bois de Boulogne ebenso wie die mondäne Dame am Meeresstrand gehört. Oder die Hochzeit des alten Herzogs von Monpensier mit einer jungen Frau. Nicht nur in der Auswahl der Motive und einer gelegentlich unscharfen Konturierung ist Lartigues Fotografie impressionistisch geprägt: teppichartige Stillebenkompositionen aus Sonnenschirm, Stuhl, Mensch und Bucht weisen ihn als guten Schüler des Malers Seurat aus. Und sogar das technische Objekt fügt sich in diese polierte Welt der Spazierstöcke, Zylinder, Knöpfstiefel, Pelz- und Spitzenbesätze aufs verträglichste ein: es ist das seinerseits gediegene, noch in Ruhe befindliche Ding, die Flugmaschine vor dem Abflug, das Auto vor dem Rennen, um das sich die Noblesse in Bewunderung scharen kann. Wo besser als im Rolls Royce ließe sich im übrigen ein mondänes Ehepaar porträtieren?

Man weiß eigentlich nicht mehr, wer auf diesen Fotos wen nobilitiert: eine perfekte Redundanz aus sich gegenseitig bespiegelnden Luxusobjekten schließt sogar die Natur mit ein. Edel ist die Bucht in ihrer Krümmung neben dem Frauenkopf, dramatisch die Gischt vor dem Bug, großzügig und kühn die Straßenbiegung, leer der Wasserlauf, die Eisenbahnschienen gerad und wie nichts erhaben das Meer. Eines aber wird auch deutlich: daß das ganze Luxusgerät ohne Luxusobjekt Mensch nichts ist. Ohne die Anerkennung durch den Blick, der im Abgebildeten selbst eingeschlossen sein muß. Ein Rolls Royce allein ist weniger als einer im Gruppenbild mit Dame, besonders wenn sich der Schwung des Kotflügels in den ihrer Hutkrempe verlängern läßt. Aber auch die wohl durchkomponierte Dame kann sich durch Überseedampfer, Hochglanzschlitten oder Meeresstille noch mehr Akzent verleihen. Die Fotografie erscheint in diesen häufig extrem breit- oder hochformatigen Bildern als die Fetischkunst par excellence.

Die einzige Unordnung, die in diese stilisierte Welt eindringen darf, ist die einer höheren Gewalt: wenn der Mistral den über die Strandpromenade von Nizza eilenden Geschäftsmännern eine kleine Asymmetrie in der Haltung abzwingt und, die Palmen nach rechts und das Meer nach links aus dem Bild fegend, eine diagonale Bresche durch die Bildmitte schlägt.

Komisches ist wie in der klassischen französischen Komödie den Dienstboten vorbehalten: nur eine Köchin kann scheinbar die Stufen hinunterfliegen, nur eine Amme einen im Flug angehaltenen Ball anstarren. Bewegungen bleiben (mit wenigen Ausnahmen aus dem Privatleben) auf Sportler wie Tennisspieler oder Rennläufer beschränkt. Das Plakat zeigt nicht zufällig ein Frauengesicht mit niedergeschlagenen Augen und einem überzeichneten Erdbeermund. Monsieur und Madame sind häufig in ihrer straffen Rückansicht aufgenommen, rein statuarisch ins Bild gerückt. Am witzigsten noch die Perspektive der Kinderzeit: ein Blick aus Spielzeugautoaugenhöhe das riesige Wohnzimmermöbel hinauf, das ähnlich koloßartig ist wie der Großvater auf einem anderen Bild. Und wiederum an Prousts Albertine erinnernd das Bild eines Jungen, das sich beim Näherkommen wie eine Geistererscheinung dem zugreifenden Blick entzieht.

Michaela Ott

Bis 31. Mai im Institut Fran?ais, Kurfürstendamm 211.

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