FERNSEHGEREDE: Treibjagd der Eitelkeit
■ Wie sich Journalisten beim »Talk im Turm« angesichts der Stasi-Debatte Absolution erteilen
Die Kameras von SAT.1 laufen schon, als Erich Böhme schließlich in einem losen Blätterhaufen seine Einstiegssätze findet. »Sind Journalisten skrupellos?« und »Müssen sie sich genieren?« fragt er müde in die Runde. Da sitzen sie bei Talk im Turm, die Skrupellosen. Der Chefredakteur des Spiegels, Hans Werner Kilz, neben der stellvertretenden Super-Chefin Eva Kohlrusch, zu ihrer Linken Michael Sontheimer von der taz. Auf der anderen Seite haben die Platz genommen, die sich anstelle der oben genannten genieren: der Grafiker Klaus Staeck zwischen dem Designer Wolfgang Joop und dem Medienkritiker Hans Mathias Kepplinger.
Warum denn die Journaille eine Treibjagd auf Manfred Stolpe eröffnet habe, will Staeck wissen. Ein kämpferischer Blick in die Runde, entschärft durch einige nostalgische Erinnerungen an die informative Spiegel-Ära in den 60ern. Kilz antwortet moderat und hält den »statthaften, aufklärerischen Umgang« mit den Stasi-Akten als Standarte hoch. Das ruft Kepplinger auf den Plan, der vor allem über die Vorverurteilungen im Fall Lambsdorff jammert (»Der Spiegel hat ihn wie Freiwild vor sich her getrieben«). Kilz und Kohlrusch belustigen sich gemeinsam und spötteln, der Medienkritiker aus dem Hause Noelle-Neumann liebäugele wohl mit einer neuen »Staatspressekammer«.
Moderator Böhme läßt die Kampfhähne aufeinander los und beschränkt sich darauf, seine Brille unaufhörlich in seiner Rechten rotieren zu lassen. Im Publikum werden »Super! Super!«-Schreie laut. Michael Sontheimer wird hellhörig und nennt die Super-Zeitung das mieseste, was der deutsche Zeitungsmarkt zu bieten habe. Schließlich verhalte sich die Auflage zur Qualität der Zeitung »umgekehrt proportional«, was dem tazler ein nachsichtiges Lächeln aus der Runde einträgt.
Richtig spannend wird der Small talk erst, als er die Eitlen in Reinform auf den Plan ruft. Der »schönste Stasi-Agent« (Super) Wolfgang Joop fordert von Eva Kohlrusch Genugtuung. Er will die Kampagne um seine angeblichen Stasi-Kontakte und die geklauten Seidentapeten aus Sanssouci nicht auf sich sitzen lassen. Aus dem Hintergrund wird seine Ex-Frau eingeblendet, die loyal zu verstehen gibt: »‘Wir wollen ihren Ex-Mann von ganz oben nach ganz unten bringen‚, so hat sich Herr Uhlmann vom Spiegel bei mir vorgestellt.« Kilz findet das ausgesprochen unerquicklich und schiebt die Schmierenkomödie auf einen zweiten Reporter im Bunde ab — Herrn Prütting, den freien Super-Mann. Davon aber will die Kohlrusch wiederum nichts wissen...
In Wirklichkeit geht es — wie bei jeder Talkshow — nicht um die Beantwortung der gestellten Fragen. Mit großer Inbrunst tauscht man gestanzte Angriffe und wohlerwogene Zugeständnisse aus, zu klug, um von der Blässe eines Gedankens angekränkelt zu sein. Kilz verkauft sich mit Erfolg als Wolf im Schafspelz, Kepplinger dämmert als schales Gauweiler-Double vor sich hin, Joop bleibt schön und echauffiert. Warum sich aber die Geister im Fall Stolpe so erhitzen, der Spiegel munter IMs enttarnt, ohne dem Phänomen Stasi dabei einen Deut näherzukommen und sich erst beim Gladbecker Geiseldrama plötzlich alle einig sind — das steht weiter in den Sternen. Genau wie das moralische Gesetz. Mirjam Schaub
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