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FDP-Populismus in BerlinStimmen sammeln anstatt Flaschen

Waltraud Schwab
Kommentar von Waltraud Schwab

Was in Großbritannien der Brexit und in den USA die Mauer ist, ist in Berlin der Flughafen Tegel. Diese Themen bedienen populistische Strategien.

Volle Dröhnung: Startendes Flugzeug über dem Kurt-Schumacher-Platz in Berlin Foto: dpa

D ie Kampagne der FDP in Berlin, die eine Offenhaltung des Flughafen Tegels fordert, ist eine Aktion „mit leerem Herz“ – und damit ein Lehrstück in Sachen Populismus. Das mit dem „leeren Herz“ stammt vom Politikwissenschaftler Paul Taggart, der mit dieser Metapher verdeutlichen wollte, dass Populismus meist kein eigenes Wertesystem hat, was einerseits seine Schwäche, andererseits seine Flexibilität ausmache.

Ein Kennzeichen populistischen Vorgehens ist die Inkongruenz: Das propagierte, mit Gefühlen aufgeladene Ziel, ist nicht deckungsgleich mit der Absicht, die dem Vorgehen zugrunde liegt. Der Brexit ist ein anschauliches Beispiel: Dem Politiker Boris Johnson, der vehement für den Brexit auftrat, wird nachgesagt, dass er den Brexit gar nicht wollte, obwohl er ihn mit Falschinformationen bewarb. Vielmehr wollte er Regierungschef David Cameron schwächen und beerben. Das ist ihm in Ansätzen gelungen – heute ist er Außenminister.

Es gibt eine simplere Definition, die erklärt, was dabei eine Rolle spielt: „Populismus ist eine Form des Opportunismus, bei der ein Politiker oder auch eine ganze Partei dem Volk das verspricht, was dieses seiner Meinung nach hören will. In einer Demokratie scheint das ein recht erfolgversprechender Weg zu sein, um Wähler zu gewinnen.“ Dies schreibt der Wirtschaftswissenschaftler Alexander Dilger auf seinem Blog. Bis 2013 war er bei der FDP, dann bis 2015 bei der AfD. Es sagt also, worum es Populisten geht: darum, Wahlen zu gewinnen, indem man den Wählern nach dem Mund redet. Der Brexit in Großbritannien, die Mauer zu Mexiko in den USA, der Zaun auf der Balkanroute in Ungarn, ja, und auch der Flughafen Tegel in Berlin: Allen liegt dieses Muster zugrunde.

Das vordergründige Ziel der FDP in Berlin, einen umstrittenen Flughafen mitten in der Hauptstadt offen zu halten, darf deshalb angezweifelt werden. Es geht der Partei nicht um das Wohl einiger Westberliner, die meinen, ohne den Flughafen TXL nicht leben zu können, sondern es geht um Wählerstimmen. Bei den Landtagswahlen 2016 in Berlin ist es der FDP mit dem Flughafenthema gelungen, wieder ins Abgeordnetenhaus einzuziehen. Es war ihr 1:0.

Vielleicht ein Hattrick

Deshalb werden die Freien Demokraten Berlins auch bei der Bundestagswahl weniger mit Ideen werben, die bundespolitisch relevant sind – oder die eine spezifische liberale Ideologie betonen, die bei der Berliner FDP im Moment ohnehin nur schwer auszumachen ist. Vielmehr werden sie, wie Sebastian Czaja, der FDP-Chef der Hauptstadt, bestätigte, mit dem aus ihrer Sicht so unverzichtbaren Flughafen Tegel in den Wahlkampf gehen. Der Volksentscheid zum Flughafen TXL, für den die Partei genug Stimmen sammelte, (dabei den Stimmensammler auch für gesammelte Stimmen pekuniäre Belohnung versprach; Stimmen sammeln statt Flaschen sammeln), ist die Steilvorlage dafür. Wird nun zeitgleich zur Bundestagswahl auch über Tegel abgestimmt, nützt das der FDP. – Wird es das 2:0 für Ihre Partei, Herr Czaja? „Ich möchte mich nicht auf solche Fußballvergleiche einlassen“, antwortet er am Telefon.

taz.am wochenende

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Vielleicht ist sogar ein Hattrick drin: Denn selbst wenn eine Mehrheit für die Offenhaltung von TXL stimmt, sind die ökonomischen und juristischen Risiken so groß, dass es eher unwahrscheinlich ist, dass der Flughafen offen gehalten werden kann. Dann erst kann die FDP sich als Hort der Gerechtigkeit gegen eine ungerechte – rot-rot-grüne – Berlinregierung gerieren. Tooooor!

Unermüdlich wiederholt Sebastian Czaja, warum der Flughafen Tegel, der für etwa 8 Millionen Passagiere ausgelegt ist, jetzt aber über 20 Millionen abfertigt, offen bleiben muss, selbst wenn der neue Flughafen BER eröffnet ist. Der sei mit unter 30 Millionen Passagieren zu klein konzipiert, „wirtschaftliche und verkehrspolitische Gründe“ sprächen dafür, TXL nicht zu schließen. Dass die Eröffnung des BER in letztinstanzlichen Gerichtsurteilen des Bundesverwaltungsgerichts an das Aus für die innerstädtischen Flughäfen Tegel und Tempelhof gebunden ist, und dass die luftrechtliche Genehmigung für Tegel bereits widerrufen ist, und somit vorschreibt, dass TXL ein halbes Jahr nach Eröffnung des BER schließt, lässt er nicht gelten. Berlin müsse als Erstes „einen Widerruf vom Widerruf“ einlegen, sagt er.

Einwände zählen nicht

Auch die anderen Einwände gegen die Idee der Offenhaltung haben für ihn kein Gewicht: Dass nicht nur Berlin, sondern Brandenburg und der Bund mit entscheiden müssten, sei lösbar. Dass eine Klagewelle nicht nur der Anwohner rund um BER und TXL auf Berlin zukäme, sondern dass möglicherweise auch jene auf Entschädigung klagen könnten, die durch die Stilllegung des Flughafens Tempelhof Nachteile hatten, pariert er so: „Wissen Sie, in Deutschland kann man gegen alles klagen, und das ist gut so.“

Dass die Kapazität des Flughafens BER bereits erweitert wird, lässt er ebenfalls nicht gelten: Mehr Kapazität wäre, meint er, nur mit einer dritten Startbahn möglich, die werde aber politisch blockiert. Dass Flughäfen wie London-Heathrow 75 Millionen Fluggäste schaffen mit zwei Startbahnen, geschenkt. Und dass das Flughafengelände von TXL, das in der Stadt liegt mit Anbindung an U-Bahn und Bus, für Wohnraum und Industrie gebraucht wird, kontert er so: Er verstehe nicht, warum die Elisabethaue – ein Erholungsgebiet am Stadtrand – nicht längst bebaut ist, und Gewerbeflächen gebe es haufenweise in Berlin.

Auch dass die Anwohner von TXL, denen seit zehn Jahren mit dem Versprechen, der Flughafen werde geschlossen, der gesetzlich vorgeschriebene Lärmschutz vorenthalten wird und dass bei einer Offenhaltung des Flughafens der Betreiber um diesen Lärmschutz nicht herumkommt, wischt Czaja vom Tisch. Er wolle die Zahl der Flugbewegungen am TXL halbieren „und damit halbiert sich auch der Lärm“. Das mag für ihn gut klingen, aber Lärm kann nicht einfach addiert oder subtrahiert werden, denn Dezibel sind eine logarithmische Größe.

Mit Halbinformationen punkten

Die FDP in Berlin kann bei ihrer Kampagne für die Offenhaltung von TXL nicht darauf verzichten, Halbinformationen zu verbreiten. Die Kampagne beim Brexit machte vor, dass das erfolgreich ist. Und Trump zeigte erst recht, dass man einen Wahlkampf gewinnen kann, wenn man mit falschen Fakten hausieren geht.

Jörg Stroedter, direkt gewählter Abgeordneter der SPD in einem vom Fluglärm besonders betroffenen Westberliner Wahlkreis, geht davon aus, dass der eigentlich fällige Lärmschutz der Anwohner rund um TXL Milliarden kosten werde, (offizielle Zahlen gibt es nicht, da noch nicht einmal die Fluglärmschneisen ausgewiesen sind). Und er meint am Telefon, dass Czaja in Gesprächen mit ihm durchaus deutlich gemacht habe, dass er wisse, dass es juristisch und ökonomisch an Irrwitz grenze, den Flughafen Tegel offen lassen zu wollen. Darauf angesprochen meint Czaja: „Das kann ich mir nicht vorstellen, dass ein Kollege im Abgeordnetenhaus das gesagt hat.“

Mit ihrer Kampagne zum Flughafen Tegel treibt die FDP die Berliner Parteien vor sich her. Auch sie müssen nun im Bundeswahlkampf das Flughafendesaster thematisieren, obwohl sie es lieber vertuschen würden, nicht nur den Pfusch am BER, auch dass am Flughafen Tegel Flugrouten nicht eingehalten werden, Umweltprüfungen fehlen, Lärmschutz und Nachtruhe ausgehebelt sind.

Heiner Müller sagte einst: „Im Krieg ist es unvermeidlich, die Energien des Gegners in sich aufzunehmen, um sie aufzuzehren – dadurch nimmt man natürlich auch die Züge des Gegners an.“ Aufzehren – was für ein Wort. Ein Wahlkampf ist kein Krieg, aber um populistische Argumente zu entkräften, bedarf es doch offenbar bellizistischer Strategien.

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Waltraud Schwab
taz-Redakteurin
Seit 2002 bei der taz, erst im Lokalteil, jetzt in der Wochentaz. 2005 mit dem Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnet für die Reportage „Schön ist das nicht“, 2011 wurde die Reportage „Die Extraklasse“  mehrfach prämiert. 2021 erschien ihr Roman "Brombeerkind" im Ulrike Helmer Verlag. Es ist ein Hoffnungsroman. Mehr unter: www.waltraud-schwab.de . Auch auf Twitter. Und auf Instagram unter: wa_wab.un_art
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1 Kommentar

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  • Alles Populismus - oder was?

     

    In der politischen Debatte wird „Populismus“ gern wie eine Streubombe zur Abwehr jeglicher Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen von den Kritisierten als rhetorische Konterwaffe in Anschlag gebracht. Er ist überall. Gesichtet wurden schon Rechtspopulisten, Nationalpopulisten, Linkspopulisten, Agrarpopulisten, Populisten der Mitte, der Nationalliberalen und Nationalkonservativen, Sozialpopulisten, Law-and-Order-Populisten usw. (K.-O. Lang), Der „Sozialpopulismus“ etwa habe sich mit dem „demokratischen Sozialismus“ als „Wirtsideologie“ verbunden, wobei offen bleibt, wer hier der Parasit ist. Die SPD mit ihrem Grundwerteprogramm des „Demokratischen Sozialismus‘“, nicht zu reden von den Programmen vor Bad Godesberg, wäre danach der Prototyp des „Sozialpopulismus‘“. Schade, daß das Bebel nicht mehr hören durfte. Hier nun also der neueste Zugang: Der FDP-Populismus. Besonders originell die hier zitierte Definition von A. Dilger, Kennzeichen populistischer Parteien sei deren Brauch, vor Wahlen den Wählern immer das zu sagen, was sie hören wollten. Donnerwetter, seit wann erzählen die Parteien den Wählern das, was diese nicht hören wollen?

     

    Nach all diesen Ortszuweisungen der „Populismen“ auf der politischen Klaviatur fragt man sich dann allerdings, welche Tasten denn dann noch übrig blieben, die davor gefeit wären, mit dem Populismus-Etikett beklebt zu werden? Nimmt man alle zusammen, dann schrumpft diese Parzelle wie das Chagrinleder bei Balzac.