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„FAZ“-Redakteur Karl Feldmeyer zu Kohls VerfassungsbruchDer ungeheuerliche Hochverrat

So spannend die immer neuen Überraschungen sind, die sich aus dem Skandal der CDU ergeben: Es sind nicht nur die Verfassungs- und Gesetzesverstöße so prominenter Täter wie Kohl und Kanther, die Beachtung verdienen. Die Reaktionen, die ihre Eingeständnisse ausgelöst haben, sind ebenfalls wert, beachtet zu werden. Als Kohl in der vergangenen Woche auf einem Neujahrsempfang der Bremer CDU die Entscheidung verteidigte, seine Spender nicht zu nennen, um sein Ehrenwort nicht zu brechen, erhielt er den Beifall vieler Anwesender.

Das Verhalten dieser Versammlung erscheint als repräsentativ für die Mitgliedschaft der CDU insgesamt: Ein Teil ist tief enttäuscht und fühlt sich durch Kohl brüskiert; andere halten sein Verhalten für eine Art Kavaliersdelikt, über das sie die schützende Decke ihrer Sympathie und Parteilichkeit ziehen wollen. Oder sie gehen gar zum Gegenangriff über und bewerten den Hinweis auf die von Kohl selbst eingestandenen Gesetzesverstöße als den perfiden Versuch, dem Kanzler der Einheit aus Neid am Zeug flicken und sein Andenken besudeln zu wollen.

Kohls Sympathisanten sind freilich nicht die Einzigen, die es für müßig halten, sich über sein Verhalten zu entrüsten. Andere neigen aus entgegengesetzten Gründen zu einem ähnlichen Verhalten. Sie haben nur ein Schulterzucken für die Affäre. Ihre Reaktion ergibt sich aus einer Einschätzung der CDU und ihrer Repäsentanten, die so negativ ist, dass sie sich durch den Skandal in ihrem Urteil bestätigt fühlen, etwa nach dem Tenor: „Na und – wundert dich das etwa? Hab ich doch immer gesagt.“

Die Reaktionen beider Gruppen haben eine gemeinsame Wurzel: eine emotionale Parteilichkeit, deren Motiv Sympathie oder Antipathie für die handelnden Personen ist. Das mag sie menschlich verständlich machen – von ihrer Bedenklichkeit aber nimmt es ihr nichts, denn beide gehen zu Lasten des Rechtsbewusstseins, das der Rechtsstaat und die Demokratie dringend brauchen. Diese Einstellung versperrt den Blick auf die Wirklichkeit. Um sie zu erfassen, bedarf es keiner Spekulation; nicht einmal eine Interpetation der Fakten ist nötig. Es genügt, sich an das zu halten, was Kohl und Kanther öffentlich eingestanden haben. Kohl hat zugegeben, ein geheimes Kontensystem errichtet zu haben, um das zu beseitigen, was das Grundgesetz und das Parteiengesetz fordern: die Transparenz der Parteifinanzen. Zweck dieses Rechtsbruchs war nicht private Bereicherung, sondern viel schlimmer: die Benachteiligung des politischen Gegners im demokratischen Wettbewerb um die Macht. Dafür hat Kohl den von ihm vor dem Deutschen Bundestag fünfmal geleisteten Eid auf die Verfassung gebrochen. Dieser Eid ist das Versprechen, auf dem das Vertrauen in die Bewahrung demokratischer Rechtsstaatlichkeit fußt. Wer diesen Eid bricht, begeht ideellen Hochverrat an der Demokratie. Das ist kein Sachverhalt, der Parteilichkeit zulässt, weder die der Sympathie noch die der Antipathie für den Täter. Das Engagement für Rechtsstaat und Demokratie gebietet hier eine Beurteilung ohne Ansehen der Person. Dazu gehört auch die moralische Pflicht, die Dinge beim Namen zu nennen und nicht verbal zu bemänteln oder gar zu bagatellisieren. Der Bruch des Eides auf die Verfassung und der fortgesetzte vorsätzliche Verstoß gegen geltendes Recht durch den Bundeskanzler und durch seinen Innenminister sind Ungeheuerlichkeiten. Es ist die Pflicht aller, dies deutlich zu benennen, damit die Öffentlichkeit begreift, was geschehen ist.

Wer den Grundsatz, nach dem alle Bürger vor dem Gesetz gleich sind, bei Kohl nicht anwenden will – sei es, weil er ihn verehrt, sei es, weil er ihn verachtet –, untergräbt die Glaubwürdigkeit der Demokratie und nimmt ihr die Möglichkeit, auf künftige Rechtsbrüche angemessen zu reagieren. Auch aus diesem Grund müssen die Dinge bei ihrem Namen genannt und Konsequenzen gezogen werden. Ein demokratischer Rechtsstaat, der den vorsätzlichen Bruch von Verfassung und Gesetz sanktionslos lässt, öffnet seinen Verächtern Tür und Tor. Hier ist jede Halbheit Flucht vor der Verantwortung.

Karl Feldmeyer

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