piwik no script img

Exzentrischer TorwartAngeberblond und merkwürdig

Santiago Cañizares ist mit 38 Jahren immer noch die Nummer eins beim FC Valencia - trotz Timo Hildebrand. Spanischen Fußballfans ist er wegen seiner Macken der liebste Feind.

Merkwürdig, irritierend und blond: Dabei wollte Cañizares mit der grellen Haarfarbe nur seine Depressionen bekämpfen. Bild: reuters

VALENCIA taz Mit fast 38 färbt er sich seine Haare noch immer superstarblond. Er hat damit vor über einem Jahrzehnt begonnen, als ihn eine Verletzung in die Depression eines Berufssportlers trieb und er hoffte, die Haartönung würde ihm auch ein wenig die Laune aufhellen. In Spanien, dem Land der Dunkelhaarigen, haben sie das Blond jedoch sofort als Versuch des Torwarts gedeutet, seine Einzigartigkeit herauszustellen. "Die Tönung teilt meine Karriere in ein Davor und Danach", sagt Santiago Cañizares. Es hat ihm eine erhöhte Aufmerksamkeit gebracht, Werbeauftritte für eine Internetfirma namens perderpelo (deutsch: Haarausfall.com) und die mehrheitliche Irritation des nationalen Publikums. Die Haarfarbe, die die meisten Zuschauer bei Cañizares sehen, ist Angeberblond.

An diesem Dienstag, beim Auftakt der Champions League mit seinem FC Valencia bei Schalke 04, werden in Spanien wieder viele mit der Lust vor dem Fernseher sitzen, ihn fallen zu sehen. Seit Saisonbeginn wartet bei Valencia mit Timo Hildebrand ein Meistertorwart auf der Ersatzbank, und dass Cañizares am vergangenen Samstag beim 2:1-Sieg im Ligaspiel gegen Valladolid ein Flankenball aus den Händen glitt, er so das Gegentor verschuldete, schärft den Voyeurismus.

Dabei wäre es, Hildebrands Klasse und Cañizares Fehler gegen Valladolid zum Trotz, keine Überraschung, wenn der nächste Mai kommt und Cañizares noch immer im Tor steht. Er spielt im zehnten Jahr in Valencia, er war 44-mal Nationaltorwart und steht für die erfolgreichste Zeit des Klubs mit zwei Meisterschaften, dem Uefa-Cup-Sieg 2004 sowie zwei - verlorenen - Champions-League-Endspielen. Man weiß, was man an ihm hat.

Fußballfans sehen einen Spieler, hören ein paar Anekdoten und machen sich ihr Bild. Zu Cañizares schien es sogar zu passen, wie er vor der WM 2002 seinen Platz im Tor der Nationalelf verlor: Eine Parfümflasche sei heruntergefallen, unter dem betörenden Duft hätten ihm die Scherben eine Fußsehne zerschnitten, wurde verbreitet. Heute, sensibilisiert durch fantasievolle Ausreden von Dopingvertuschern, glaubt sich die Anekdote nicht mehr so leicht.

In vielen Stadien ist er der liebste Feind. In Sevilla donnerte einmal der Applaus, als mitten im Spiel ein Betis-Fan auf den Rasen lief und Cañizares Handtuch aus dem Tornetz stahl. Wie eine nationale Ikone wurde der Fan durch die Medien gereicht. Dabei hat sich Cañizares in Valencias Umkleidekabine umgesehen und festgestellt, sein Narzissmus sei "moderat. Meine Kollegen kämmen sich länger und benutzen mehr Kosmetik als ich." An guten Tagen kann man herrliche Interviews mit ihm führen, weil er über genug Charme verfügt, sein dekadentes Erscheinen selbst zu parodieren. Er praktiziere vor dem Spiel den Sex nach "den chinesischen Lehren von Dao und De", erzählte er einmal der Zeitung El País. An anderen Tagen flüstert er in Interviews, fast tonlos, surreal emotionslos, nur pathetische Ernsthaftigkeiten. Er selbst schätzt sich so ein: "Ich habe meine Merkwürdigkeiten."

Mit 38 wird er auch im Schalker Flutlicht noch immer als heller Kopf einer Mannschaft erscheinen, die zwar zwei der ersten drei Ligaspiele gewonnen hat, aber angesichts ihres überreichen Potenzials bislang verwirrend blutarm aufgetreten ist. Es dauere heutzutage immer länger, bis die älteren Herrschaften im Tor abtreten, sagte Hildebrand vergangene Woche. Dabei weiß er noch nichts von Santiago Cañizares großem Karriereziel. Welche Schlagzeile er sich noch wünsche, wurde Cañizares einmal gefragt - lange bevor er den Namen Hildebrand erstmals hörte. Er antwortete: "Der Profifußballer Cañizares geht in Rente. Mit 65."

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!