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15 Uhr New York aktuell: Wie schon in Europa machen kostenlose Blätter den amerikanischen Boulevardzeitungen Beine. Unter anderem der schwedische Medienkonzern „Modern Times“ sorgt für harte Konkurrenz. Und so sinken Preise und Niveau

von TOBIAS MOORSTEDT

Brian Moss hat zur Zeit vielleicht den unsichersten und wichtigsten Job von ganz New York City. Inmitten des hysterischen Nachrichtenstrudels von Wall Street, beginnender Ölkrise und den Olympischen Spielen in Sydney ist der früh ergraute Mittvierziger Kopf und Körper der ersten kostenlosen Tageszeitung in der größten Medienstadt der Welt.

Vergangene Woche erschien in den Straßen zum ersten Mal der Daily News Express, eine, vierzig Seiten umfassende, mediale Frühgeburt. 75.000 Exemplare lässt der Mutterkonzern The Daily News nun jeden Nachmittag auf den Straßen und in den Bahnhöfen der „Empire City“ verteilen. Ein Experiment. Ein Wagnis, das den Verlag Millionen Dollar kosten könnte. Und ein neues Kapitel im scheinbar endlosen Zeitungskrieg der beiden großen Boulevardzeitungen Daily News (Auflage 750.000) und der New York Post (430.000). Seit fast 20 Jahren bekriegen sich die beiden Zeitungen schon um Leserschaft und – viel wichtiger – um Anzeigenkunden.

Niveau im freien Fall

Ein Kampf, der sichtbar auf Kosten des Niveaus ging: Waren früher News wie Post respektable Tageszeitungen, schafft es heute selbst der geniale Selbstinszenierer und republikanische Präsidentschaftskandidat George W. Bush nur dann noch auf ihre Titelseiten, wenn er die Talkshow-Queen Oprah Winfrey knutscht.

Ab sofort werden nicht nur Abstriche am kaum noch zu senkenden journalistischen Niveau gemacht, als erste Reaktion auf den kostenlosen Express halbierte die zu Rupert Murdochs News Corporation gehörende Post umgehend ihren Preis und kostet jetzt gerade noch 25 Cents (knapp 60 Pfennig).

Es ist ein Kampf der Giganten, ein intensiver Wettbewerb, in dem die Kombattanten auch bereit sind, kurz- bis mittelfristige Verluste einzustecken. Leonard Stern, ehemaliger Eigentümer der alternativ-legendären Village Voice und außerdem amerikanischer Medienguru, hat die jüngste Eskalation offenbar total überrascht: „Der Krieg hat begonnen. Und nächstes Jahr wird nichts mehr so sein, wie es mal war“, meint er dramatisch, und vielleicht nicht einmal zu Unrecht: Schließlich weiß Rupert Murdoch, wie man konsequent mit Preisen kämpft. Von 1993 bis 1997 verbilligte er drastisch seine Londoner Times und steigerte die Auflage um über 250.000 Exemplare. Stern: „Murdoch wird so viel Geld in die Post stecken wie irgend machbar. Mit ihm möchte ich nicht konkurrieren müssen.“ Und: „Der Express hat den schlafenden Riesen wieder geweckt“, sagt Stern.

Denn in den 80er Jahren hatte die Daily News mit einem ähnlichen Projekt schon einmal Schiffbruch erlitten: Nach zehn Monaten und 20 Millionen Dollar Verlustwurde die – damals allerdings noch kostenpflichtige – Abendzeitung Daily News Tonight wieder eingestellt.

Daily-News-Express-Chefredakteur Les Goodman hat in das neue Projekt jedoch mehr Vertrauen: „Das hier ist etwas total anderes, wir zielen auf die Internetgeneration.“ Hauspostille der generation@“ will der Express also sein, was vielleicht erklärt, warum sein krachiges Layout so in den Augen schmerzt.

Der Zeitpunkt für die neue Offensive der Daily News ist immerhin günstig gewählt, schließlich steht das Weihnachtsgeschäft, das in New York früher beginnt als irgendwo sonst, Ende September unmittelbar bevor.

Was jedoch weitgehend unausgesprochen bleibt: Der Daily News Express ist vor allem auch eine Abwehrmaßnahme gegen den schwedischen Medienkonzern Modern Times, der seit einigen Wochen mit seiner kostenlosen Gazette Metro den amerikanischen Medienmarkt in Aufruhr bringt und der einige Erfahrung in Sachen Gratiszeitungen hat: Metro war das erste Umsonstblatt in Schweden, Ableger erscheinen heute in London, Amsterdam, Budapest und anderswo – die Liste der von den „schwedischen Wikingern“ (New York Times) eroberten Städte ist lang und klangvoll.

Start in Philadelphia

Vor einigen Wochen betraten die Nordmänner zum ersten Mal amerikanischen Boden: In Philadelphia, der zweitgrößten Ostküstenstadt, brachten sie in Zusammenarbeit mit den Verkehrsbetrieben die Metro Philadelphia auf den Markt und sicherten sich damit quasi das Zeitungsmonopol in den U-BahnTunneln der Metropole. Eine Verfassungsklage der etablierten kostenpflichtigen Blätter gegen den neuen Konkurrenten blieb wie in Köln und anderen europäischen Städten ohne Erfolg.

Der Leiter der amerikanischen Modern-Times-Zentrale mitten in Manhattan heißt Floyd Weintraub und beobachtet die Reaktionen der US-Medien leicht irritiert: „Es erstaunt uns schon, dass unsere Expansion eine derartige Panik verursacht.“

Wirft man jedoch einen zweiten Blick auf den US-Zeitungsmarkt, wird einiges klarer: Denn seit Jahren gehen die Auflagen der etablierten Printmedien beständig zurück, die Käuferschaft altert zusehends, neue Leser bleiben aus. Dagegen hat die schwedische Medienagentur SIFO festgestellt: Mehr als die Hälfte der Metro-Leser – zumeist Pendler und Studenten – haben zuvor gar keine Tageszeitung gelesen. Die meisten dieser Neuleser sind auch noch unter 40, also Teil der von der Werbewirtschaft so heiß begehrten Hauptzielgruppe. Auch dies – und nicht nur der Präventivkampf gegen eine befürchtete New-York-Ausgabe von Metro – dürfte hinter dem Start des Daily News Express stecken.

Medienguru Stern jedoch vermutet hinter der jüngsten Eskalation des Kriegs auf dem Boulevard tiefere Gründe: „Hier geht es nicht nur um Geld, sondern vor allem um das Image. Hier geht es darum, wer der Verleger der wichtigsten Zeitung der wichtigsten Stadt der Welt wird.“ Rupert Murdoch also, oder News- und Express-Verleger Mortimer B. Zuckermann: Egomanen alle beide und nicht gewohnt zu verlieren. „Dieser Wettbewerb hat auch einen persönlichen Aspekt“, sagt Stern.

Ein seltsamer Gedanke in der doch eigentlich so gefühllosen Welt der Megakonzerne. Doch zumindest Murdoch ist tatsächlich aus anderem Holz geschnitzt. Im Jahresbericht seiner News Corporation verkündet er stolz: „Unsere Reichweite ist auf der Welt nicht vergleichbar. Die Menschen konsumieren unsere Medienprodukte von dem Moment, in dem sie aufstehen, bis zu jenem, an dem sie wieder zu Bett gehen.“

Allmächtige Milliardäre

Allmachtsphantasien wie diese lassen den Multimilliardär ein wenig wirken wie Montgomery Burns, den geisteskranken Atomkraftwerkbesitzer aus den „Simpsons“, auch dies übrigens ein Murdoch-Produkt.

Der reale Rupert „Burns“ Murdoch könnte für den Nur-Großverleger Zuckermann ein übermächtiger Gegner werden, zumal Zuckermann in der aktuellen Liste der Reichsten nur unter „ferner liefen“ (Platz 456) rangiert, während Murdoch auf Rang 36 liegt. Allerdings kann es nicht mehr lange dauern, bis Modern-Times-Chef Jan Stenbeck, der „skandinavische Murdoch“ (New York Times), und sein Metro-Konzern aus dem streitbaren New York-Duo ein kampfeslustiges Triumvirat machen. Stenbecks Amerika-Adjudant meint einstweilen nur: „Wir werden weiter den Markt beobachten. Und wenn der richtige Moment gekommen ist, schlagen wir zu.“

Spätestens dann könnte es um Brian Moss’ unsicheren Job endgültig geschehen sein.

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