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Expo auf Isländisch

Im Heiligen Jahr feiert Island seine Christianisierung mit einem Skulpturenpark und Opernpomp – ohne großen Erfolg. Die Heiden hoffen auf Zuwachs und essen derweil Pferdesteak mit Runkelrüben

von WOLFGANG MÜLLER

Die Isländer votierten um das Jahr 1000 für die Annahme des Christentums, aber weitere tausend Jahre später ist davon nicht besonders viel übrig geblieben. Die lutherische Staatskirche bekam trotzdem 500 Millionen Kronen, rund 14 Millionen Mark vom Staat, um am ersten Juliwochenende ihr „Kristnihátíd“, also ein „Fest des Christentums“ auf dem Thingvellir zu zelebrieren. Dem Ort, an dem der Oberheide und Staatsführer Thorgeir dem Volk im Jahr 1000 oder vielleicht auch 999 oder 1002 riet, das Christentum anzunehmen, da sonst Handelsboykott und Krieg mit Norwegen drohe. Gleichzeitig wurde gesetzlich erlaubt, weiterhin den Göttern Thor und Freyja zu huldigen und alte Rituale auszuüben – im Privaten. Gewissermaßen hätte deshalb eigentlich ein Fest der eingeschränkten oder relativen Christianisierung gefeiert werden müssen.

Nach einer aktuellen Umfrage glauben fast 90 Prozent der Isländer, dass es völlig egal ist, ob man überhaupt oder wenn, in welcher Kirche man sei. Bischof Karl Sigurbjörnsson interpretierte dieses Ergebnis als Zeichen, dass seine Schäfchen eben besonders liberal seien und jeden Andersgläubigen in ihrer Herde willkommen heißen. Tags zuvor lautete die „Frage des Tages“ im morgunbladid: Werden Sie zum Fest des Christentums gehen? Sämtliche auf der Straße Interviewten antworteten mit „Nein“ oder „Bestimmt nicht!“ Trotz des anhaltenden Streiks der Busfahrer gelang es den Organisatoren fünfzig Busse zu ordern, um Gläubige gratis aus Reykjavík in den 25 Kilometer entfernten Nationalpark zu kutschieren. Und um das Desaster von 1994 anlässlich der Feiern zum 50. Jahrestag der Unabhängigkeit des Landes zu vermeiden – eine endlose Autokarawane kroch damals dauerstoppend in zähen vier Stunden die 25 Kilometer von der Hauptstadt zum alten Thingplatz – wurde sogar eine zweite Fahrspur parallel in den Sand gefräst. Alles umsonst. Gerade mal drei gefüllte Busse, mäßiger Verkehr Richtung Thingvellir, meldete Radiosender Býlgján am ersten Tag. Statt der erwarteten 75.000 Christen verirrten sich am Samstag nur 3.000 Menschen in die Allmännerschlucht. Ein Desaster. Expo auf Isländisch.

„Wissen Sie, seit wir elektrischen Strom haben“, hatte mir schon vor zehn Jahren ein Bauer mit weißem Rauschebart schmunzelnd verraten, „seitdem haben wir ja keine Angst mehr im Dunkeln. Deshalb braucht auch niemand mehr in die Kirche zu gehen.“ Irgendwie scheint die Bedeutungslosigkeit der Staatskirche fast ein isländisches Markenzeichen zu sein. Im Restaurant rät mir die Kellnerin ganz nebenbei ab, die christlichen Feierlichkeiten überhaupt anzuschauen. „Der Bischof kämpft ja gegen Elfen und Zwerge“, lacht sie und schüttelt den Kopf. „Hat protestiert, weil da irgendein Trollkopf an einem Autotunnel hing. Ist das nicht verrückt?“

Bunte Bilder von Schutzengeln, die kleine Kinder über gefährliche Brücken geleiten, stehen seit der öffentlichen Elfenkritik von Bischof Karl Sigurbjörnsson trotzig im Schaufenster des Kirchenshops. Engel sind Glauben, Elfen sind Folklore, hatte der Bischof damals auf meine Nachfrage verlauten lassen. Und tatsächlich sind auf das Cover seines soeben erschienen Buches zwei Frauen in isländischer Landschaft gemalt, die fasziniert einem vorbeihuschenden Wesen mit spitzen, weißen Flügeln nachschauen.

Natürlich musste aber das Geld für die veranschlagten Massen ausgegeben werden, und so luden die Organisatoren vierzehn bildende Künstler ein, den Thingvellir-Nationalpark mit allerlei Skulpturen und Bildern zu schmücken. Das Resultat ist niederschmetternd und fügt sich in die Unattraktivität der Veranstaltungszelte, die wie notgelandete Ufos in der wunderschönen Landschaft stehen. So hat die Künstlerin Ragnhildur Stéfansdóttir einen ockerfarbenen Wasserfall aus Kunststoff ganz in der Nähe des Öxeráwasserfalls die Klippen heruntergelassen, unter dem sich eine weibliche Silhouette räkelt, Titel: „Positiv sein“. Dabei ist es wichtig zu wissen, dass der Öxeráwasserfall ein von Menschen vor über tausend Jahren kreiertes Werk ist. Damals leitete man den Fluss um und ließ ihn am Parlamentsplatz die Schlucht herunterstürzen, der Schönheit wegen. Es ist somit das älteste Bauwerk des Landes, ein Kunstwerk, das, tausend Jahre später konstruiert, als besonders gelungenes Beispiel von Konzeptkunst oder Land-Art bezeichnet worden wäre. Daneben mit einem Kunststoffwasserfall zu bestehen? Unmöglich.

Zusätzlich überragt ein Metallgebilde mit blauen Quadraten die Allmännerschlucht. Himnastíguna nennt sich die Himmelsleiter von Bjarni Sigurbjörnsson – ein Sendemast für die frohe Botschaft? Selbst Ósk Vilhjálmsdóttirs an die Felswände der Schlucht befestigte Familienporträts zum Thema der Ausstellung „Die sieben Tugenden“, auf denen sie auch solche Lebensgemeinschaften zeigt, die gewiss den Vorstellungen mancher Kirchenfreunde widersprechen – so den Schauspieler Felix Bergsson mit Kind und Freund – haben es schwer, sich zu behaupten. Dies ist keine Galerie- oder Wohnzimmerwand.

Die Organisatoren der Christenfeier jedenfalls hatten mit viel Geld all das angesammelt, was an Rang und Namen im Lande zu engagieren ist. Opernsänger, Chöre und Liedermacher. So trat auch Barde Hördur Torfa auf, einer der Mitbegründer der Schwulen- und Lesbenbewegung des Landes. Doch all die neuen Musiker des Landes, die international bekannt sind, fehlten ausnahmslos: keine Moa, keine Björk, kein Páll Oskar, weder Gus Gus oder Emilia Torrino.

Nicht ganz zufällig fand am folgenden Tag im Nordischen Haus ein Symposium zum Thema „Menschenrechte – Veränderungen in Gesellschaft und Kirche“ mit Vertretern von Frauen-, Schwulen und Lesbenbewegung, amnesty international und Wissenschaftlern statt. Autorin Kim Friele referierte über die gesellschaftliche Entwicklung in Bezug auf schwule und lesbische Identität. Ihr jahrzehntelanges Engagement für Menschenrechte wurde 1989 von der norwegischen Premierministerin Gro Harlem Brundtland mit einer Ehrenpension bedacht, einer der höchsten staatlichen Auszeichnungen des Landes. Mit Blick auf das Bekehrungsjubiläum sagte sie: „Ja, es ist wahr. Die Kirche hält jetzt ihre Arme auch für Lesben und Schwule weit offen – um uns zu heilen.“ Die Frage: Möchten Sie Homosexuelle als Nachbarn oder lieber nicht? beantwortete der Wissenschaftler Ólafur Hardarsson mit dem Verweis auf eine Statistik, wonach sich Dänen schwule Nachbarschaften am ehesten vorstellen können, gefolgt von den Isländern.

Auch am folgenden Sonntag blieb der Ansturm auf das Christenfest aus. Trotz zauberhaft strahlendem Sonnenwetter stieg die Besucherzahl auf maximal 12.000 – viel weniger als es schlimmste Pessimisten erwartet haben. Trocken kommentierte Premier David Oddsson das Debakel: „Keine Verkehrsprobleme auf der Straße nach Thingvellir.“ Feierlich gekleidete Ehrengäste aus dem In- und Ausland saßen auf Stühlen vor der großen Zeltbühne, durch einen kleinen Zaun vom Volk getrennt. Gelegentlich schaute der eine oder die andere neugierig bis irritiert über die Einfriedung: Da schlenderte ein Mann mit freiem Oberkörper über die Wiese, das T-Shirt locker um die Hüften gebunden, kreischten Kinder beim Anblick schlumpfblauer Zuckerwatte freudig auf, dösten Frauen und Männer schlaff an die Felsen gelehnt. Festliche, feierliche Gottesdienststimmung herrschte hier wohl kaum, dazu war alles viel zu entspannt. Die Chöre und Tenöre auf der Bühne, die stimmgewaltig „Halleluja“ und „Wir loben den Herrn“ sangen, wirkten irgendwie absurd.

Genau genommen war es genauso locker wie die Woche davor. Da hatten nämlich die Ásatruar, Islands organisierte Heiden, ihr jährliches Treffen am gleichen Ort abgehalten. „Wir sind gar nicht erst zum Fest der Christianisierung eingeladen worden, obwohl ja Oberheide Thorgeir das Christentum einführte“, schmollte Jörmundur Hansen, seit ihrer Wiedergründung 1972 zweiter Oberheide der isländischen Heidengemeinschaft Ásatruafélagid: „Egal. Die Katholiken sind ja schließlich auch nicht geladen gewesen.“ Das Verhältnis zur Staatskirche ist trotzdem etwas gespannt: „Wir sollten für die Mitbenutzung der aufgestellten Toiletten eine astronomisch hohe Summe zahlen.“ Erst nach öffentlichen Protesten erhielten auch die Heiden freien Zugang zum WC.

Bei mittelalterlichen rímur-Gesängen wurde ein Hochzeitspaar nach heidnischen Brauch vermählt, dann speiste die Gesellschaft im Restaurant nach vorchristlicher Sitte Pferdesteak mit Runkelrüben. Den deutschen Besuchern, etwa Student Hans Auer aus Köln vom Rabenclan oder Thorshammerschmied Sigbert Grams aus Waldesruh bei Berlin, war die Festmahlzeit dann doch zu teuer. Der arbeitslose Sigbert, alleinerziehender Vater von drei Kindern war eigens in luftigen Wikingersandalen aus Deutschland angereist, um den Ritualen der Ásatruafélagid beizuwohnen. Geza von Nemenyi, Vorsitzender einer Heidenvereinigung bei Brandenburg beklagte sich beim Oberheiden Jörmundur, er habe ihn mehrfach angeschrieben, ohne je eine Antwort erhalten zu haben. Nun, Jörmundur schaute ihn bedauernd an. Briefe nach Island verschwinden nicht selten im Elfenstrudel.

Ohne Staatszuschüsse gelang es den Heiden immerhin, mehrere hundert Besucher anzulocken. „Unsere Festlichkeiten sollen genauso natürlich wie das Leben selbst sein“, erklärt Jörmundur, „wir wollen weder bekehren noch durch unverständliche Rituale beeindrucken.“ Seine Prophezeiung, im Jahr 2056, zum tatsächlichen tausendjährigen Bestehen der Institution Kirche, gebe es in Island nur noch Heiden, scheint nun gar nicht mehr so abwegig zu sein. Auf jeden Fall ist Jörmundur Hansen bereits dabei, den Bau eines Heidentempels auf Island zu planen, an prominentester Stelle: „Direkt neben dem Parlament, gleich gegenüber dem Dom von Reykjavík.“ Da steht nämlich ein Grundstück zum Verkauf.

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