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Explosion an türkisch-syrischer GrenzeAttentat fordert mindestens 40 Tote

In einer türkischen Grenzstadt sterben über 40 Menschen, die Täter sind noch unklar. Die internationale Friedenskonferenz für Syrien wird wohl nicht im Mai stattfinden.

Staub und Trümmer: Reyhanli nach dem Anschlag. Bild: dpa

ISTANBUL dpa | Bei einer Anschlagsserie an der türkischen Grenze zu Syrien sind mindestens 40 Menschen getötet worden. Zudem gebe es 100 Verletzte, sagte der türkische Innenminister Muammer Güler am Samstag dem türkischen Nachrichtensender NTV. Die Hintergründe der in der Stadt Reyhanli verübten Tat waren zunächst unklar.

Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sagte, die Anschläge könnten im Zusammenhang mit dem Krieg in Syrien stehen oder eine versuchte Sabotage der Friedensbemühungen im Kurden-Konflikt sein. Außenminister Ahmet Davutoglu bewertete die Taten als gezielt gegen sein Land gerichtete Provokationen.

Es handelt sich um den bislang schwersten Zwischenfall auf türkischer Seite der Grenze seit Beginn des Aufstandes gegen Präsident Baschar al-Assad im März 2011 im Nachbarland. Die Türkei steht auf der Seite der syrischen Aufständischen und hat zahlreiche Flüchtlinge aus Syrien untergebracht. Erst jüngst hatte Ankara den Kurs gegen Damaskus noch einmal verschärft. Reyhanli ist nicht weit entfernt vom Grenzübergang Cilvegözü, über den viele Flüchtlinge aus Syrien in die Türkei kommen.

Markige Worte vom AußenministerD

Davutoglu, der am Samstag in Berlin war, wurde von türkischen Medien mit den Worten zitiert, dass hinter der Tat Kräfte stecken könnten, die den Frieden in der Türkei stören wollten. „Niemand sollte unsere Macht testen. Unsere Sicherheitskräfte werden alle nötigen Maßnahmen ergreifen“, sagte Davutoglu.

In Fernsehbildern waren massive Zerstörungen zu sehen, eine Explosion hatte ein riesiges Loch in die Straße gerissen. Nach Angaben syrischer Aktivisten waren unter den Verletzten auch einige Syrer. Reyhanli ist nicht weit entfernt vom Grenzübergang Cilvegözü, über den viele Flüchtlinge aus Syrien in die Türkei kommen.

Als Reaktion auf die Anschläge soll es in dem Ort auch zu Übergriffen der türkischen Bevölkerung auf syrische Flüchtlinge und auf Autos mit syrischen Kennzeichen gekommen sein. Syrische Revolutionäre kommentierten die Tat indes mit den Worten „Assads Geschenk an Reyhanli“.

Erst im Februar hatte es in dem Grenzort einen schweren Anschlag gegeben. Damals waren bei der Explosion einer Autobombe zwölf Menschen getötet und rund 30 verletzt worden. In der Türkei waren in den vergangenen Monaten zudem immer wieder Granaten aus Syrien eingeschlagen. Die türkische Armee reagierte mehrfach mit Artilleriefeuer.

Ankaras harter Kurs gegen Assad

Jüngst hat Ankara den Kurs gegen Assad verschärft. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sagte in einem Interview mit dem US-Sender NBC, die von den USA gezogene rote Linie zum Einsatz von Chemiewaffen sei von Syriens Regime längst überschritten und forderte Washington zum Handeln auf.

US-Außenminister John Kerry setzt allerdings trotz „starker Beweise“ für einen Chemiewaffeneinsatz syrischer Regierungstruppen gegen die Aufständischen auf eine diplomatische Lösung. Wenn sich alle Seiten verantwortungsbewusst und verständigungsbereit zeigten, sei eine friedliche Beendigung des blutigen Bürgerkriegs möglich, sagte Kerry am Freitag in einem vom Internetkonzern Google, dem Sender NBC und dem US-Außenministerium veranstalteten Online-Chat.

Russland und die USA hatten sich Anfang der Woche auf die Einberufung einer internationalen Konferenz zur Beendigung des blutigen Bürgerkriegs in Syrien verständigt. Zu der Konferenz in Genf sollen alle an dem Konflikt beteiligten Gruppen aus Syrien kommen.

Allerdings wird die Veranstaltung wohl nicht, wie geplant, im Mai stattfinden. Es gebe bislang keine Verständigung zwischen Russland und dem Westen über das Format und die Teilnehmer, meldete die Agentur Interfax unter Berufung auf russische Regierungskreise. Der Aufstand gegen Assad in Syrien hat nach UN-Schätzungen inzwischen mehr als 70.000 Menschen das Leben gekostet.

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5 Kommentare

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  • G
    Gonzi

    Damit keine falschen Schlüsse gezogen werden, sollten die Umstände des Attentats von der UN untersucht werden.

     

    Deren Mitarbeiter werden doch wohl hoffentlich in die Türkei einreisen dürfen?

  • R
    R.J

    Was sind "starke Beweise"?

     

    Indizien, die fragwürdig sind?

     

    Diese Frage gilt den Gifgasvorwürfen gegen Assad und auch dem Hintergrund für diese Bombenanschläge.

  • J
    jupp

    „Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sagte in einem Interview mit dem US-Sender NBC, die von den USA gezogene rote Linie zum Einsatz von Chemiewaffen sei von Syriens Regime längst überschritten und forderte Washington zum Handeln auf.“

    WO SIND DIE BEWEISE ?

    Nachgewiesen ist, dass ein großer Teil der türkischen Bevölkerung GEGEN jegliches Eingreifen in Syrien ist.

     

    Kaum sind die Opfer der israelischen Luftangriffe auf Damaskus (Hisbollah-Transporte) beerdigt, kommt der Sultan Erdogan mit „neuen“ Vorwürfen und weil er keine Beweise liefern kann, müssen erneut Dutzende unschuldiger Türken, Kurden, Syrer aus politischen Gründen sterben, um den NATO-BÜNDNISFALL zu provozieren!

     

    http://taz.de/Israelischer-Luftangriff-in-Syrien/!116053/

    „Das Interesse von Assad an einem Zweifrontenkrieg scheint begrenzt zu sein“

    Und jetzt ein großes Interesse an einem Dreifrontenkrieg?

     

    Auf der einen Seite scheint Israel faktisch die Lufthoheit über Syrien zu haben, auf der anderen Seite (rote Linie längst überschritten) die NATO zu einem Krieg veranlassen??

    Das wäre der GEWALTSAM und mutwillig PROVOZIERTE SUIZID der Regierung ASSADS!

     

    Übrigens haben die Bombenanschläge in einer türkischen Grenzstadt zu den „befreiten Gebieten“ stattgefunden.

    In „befreiten Gebieten“ sind auch die beiden christlichen Bischöfe entführt worden; ihr Fahrer (ein Geistlicher) wohl zu seinem Schutz vor den Assad-Schergen erschossen.

    Wo und wie werden die „beschützten“ philippinischen UNO-SOLDATEN aufbewahrt???

     

    Investigativer Journalismus.....Fehlanzeige?

  • TH
    Thomas H

    Das ist keine kurdische Handschrift, sondern eindeutig eine dschihadistische Handschrift.

    Also entweder Al Qaida, oder die mit Assad verbündete Hisbollah.

     

    Al Qaida könnte in Reyhanli ein abschreckendes blutiges Exempel an den dort lebenden arabisch sprachigen nusairischen Alawiten (einer innertürkischen Minderheit in dieser Grenzregion, nicht zu verwechseln mit der anderen religiösen Minderheit der Aleviten) statuiert haben, weil diese schiitischen Nusairier in den Augen sunnitischer Glaubensfanatiker vom Glauben abgefallene Verräter am Islam sind. Außerdem sympathisieren die meisten Nusairier/Alawiten in der Türkei mit dem syrischen Assad-Regime, dessen Shabiha-Todesschwadronen, sowie mit Iran und Hisbollah.

     

    Allerdings könnte ebensogut die vom Iran gesteuerte schiitisch-dschihadistische Terrororganisation Hisbollah hinter dem feigen Reyhanli-Terrormassaker stecken, im Auftrag des verbündeten syrischen Assad-Regimes, um so die in Reyhanli befindlichen syrischen Flüchtlinge und Exilorganisationen und das sie unterstützende türkische Erdogan-Regime empfindlich zu treffen, und die einheimische Bevölkerung gegen die syrischen Oppositionellen und gegen Erdogan aufzubringen, der mit seiner sunnitisch geprägten islamistischen Regierungspartei AKP sowieso einen schweren Stand in diesem mehrheitlich nussairisch (also alawitischen) geprägten Teil der an Syrien grenzenden türkischen Grenzregion hat.

     

    Delikat ist nach wie vor auch, dass sowohl das syrische Assad-Regime, also auch dass mit diesem auf's Engste verbündete iranische Mullahregime, nach wie vor selbst enge Kontakte mit regionalen und mit Al Qaida verlinkten sunnitischen Dschihadistengruppierungen pflegen, insbesondere innerhalb der Palästinenserlager im Libanon (vor allem zu 'Fatah al Islam' und deren diversen Abspaltungen und terroristischen Ablegern).

     

    Am meisten Interesse an einer grenzüberschreitenden regionalen Ausweitung des massenmörderischen Syrien-Konflikts haben jedenfalls das syrische Assad-Regime, Irans oberster Führer Chamenei, Hisbollahs Nasrallah, Putins Lawrow und Al Qaida ...

  • BG
    Bernd Goldammer

    Wem zum Nutzen? Rein militärisch kann Assad kein Interesse haben, die mühevoll aufgenommenen Gespräche zwischen den USA und Russland zu gefährden. Die Eskalation der Situation dient nur den militärischen Auftragnehmern Katars, auch Rebellen genannt. Ihnen wäre echt geholfen, wenn sie die Türkei als Verbündeten der NATO in ihren Machtkampf hineinziehen könnten. Dann brennt die Welt. Für ein jämmerliches Linsengericht