: Explodierender Kranzkuchen
Von Hängern, Knallern und anderen Sorgen: Im Rahmen der Festwochen inszenierte Lars-Ole „Affekt“ Walburg im Tacheles Bernard-Marie Koltès' Mörderstück „Roberto Zucco“ ■ Von Petra Brändle
Nichts ist sicherer als der Tod. Warum also nicht auf dem Programmheft für einen „Sarg-Discount“ werben – eine Bestattung muß doch kein Vermögen kosten. Gut zu wissen, denn der Tod wohnt besonders gern in den Städten, die Mörder warten nur „auf das Signal in ihrem Kopf“. Vermeiden Sie Blickkontakte, denn dann könnte es losgehen, das Morden. Stadtpläne werden zu würgenden Händen oder verdeutlichen in Pistolenform, wo's langgeht, auf den Straßen.
So plakativ das Programmheft, so schlaglichtartig sind auch in Lars-Ole Walburgs Inszenierung von Bernard-Marie Koltès' „Roberto Zucco“ auch die Figuren gezeichnet. Die Mutter gluckt, die Nutte ist verrucht mit Herzchen, die Wächter sind Trottel vor dem Herren und die kleine Schwester ein goldiges Luder, aber recht hat sie.
Roberto Zucco indes, der mehrfache Mörder, er kann einfach nicht anders. Er ist ein Desperado, ein Alien, der sich die Gesichtshaut abzieht, der zuschlägt, wenn's nötig ist. Lars-Ole Walburg verweigert den psychologisch analysierenden Blick auf Roberto Zucco. Allein die Tat, ihre Konsequenz, habe eine Schönheit, ja die Kraft des Täters fasziniere ihn. „Ich kann das nicht gesellschaftlich oder pädagogisch sehen.“ Die Vorstellung scheint grauenhaft. Koltès' Stück ist für ihn deshalb up to date, weil es eben nicht mitleidig die Opfer bejammerte.
Koltès, der sich für sein letztes Stück 1988 von einem authentischen Fall inspirieren ließ, verklärte den Mörder in Interviews: „Dieser Mann tötete ohne jeglichen Grund. Und darum ist er für mich ein Held.“ Zuccos Bahn sei „von unglaublicher Reinheit“, die ihn vom potentiellen, gemeinen Mörder abhebe. Daß der reale Zucco durchaus Gründe gehabt haben könnte, die die Tat zum „gemeinen“ Mord werden lassen, übersieht er geflissentlich – die Unterdrückung durch seine tyrannische Mutter beispielsweise. Peter Stein, der Uraufführungsregisseur, folgte dem Dramatiker 1990 in der Schaubühne in diese pathetische Lesart. Vor glutroter Sonne sprang Zucco in den Tod, ein verheißungsvoller Befreiungsflug.
Lars-Ole Walburg aber ist ein zorniger Regisseur, kraftvoll schleudert er seine Bilder auf die Bühne, wild, ohrenbetäubend laut. Zu Anfang explodiert Mutters Kranzkuchen, Schüsse reißen die Zuschauer vom Hocker, eigens komponierter Dub-Punk heult los, und die Badewanne geht in Flammen auf. Krieg auf der Straße. Vom Gestus her ganz die „Lederjacke“, cool, kalkuliert „roh“ und ziemlich szenig; allerdings stets mit einem wunderbar klug sezierenden Blick für Zeitstimmungen. Üblicherweise ist Walburg, Mitglied der Gruppe „Theater Affekt“ und neuerdings Dramaturg am Schauspielhaus Hamburg, außerdem mit einem Gespür für Tempo und zirrenden Stillständen begabt.
Vor allem hiervon ist in seiner neuen Inszenierung zu wenig zu sehen. Besonders in der zweiten Hälfte sind die Pausen nicht die Ruhepunkte vor dem Sturm, sondern einfach Hänger zwischen den Knallern. Und das hängt vor allem am Konstrukt „Roberto“. Nur einmal ist er wirklich lebendig: Nach einer „Vergewaltigungsszene“, in der nicht so ganz klar ist, wer da wen nun „nimmt“. Er sie, wie's der Text will, oder das Mädchen (hinreißend: Michaela Schmidt) ihn, als Befreiungsschlag, weil sie von der Familie in strengster Keuschheit gefangengehalten wird. Da sitzen sie nun an der Badewanne und träumen von Afrika. Ansonsten ist Roberto eine stumpfe Masse, die passiv durchs Stück treibt.
Das allerdings ist nicht nur die Verweigerung einer „psychologischen Annäherung“, es ist einfach: nichts. Und vor allem ein krasser Gegensatz zum restlichen Bühnengeschehen, das sehr wohl pädagogisch, moralisch wertet und mit Freudschen Analysebildern spielt – siehe Badewanne. Sie sind ein lustvoller und sehenswerter Angriff auf die „Zwangsjacken“ Familie und Gesellschaft, die sensationslüsternen Medien, christliche Doppelmoral, staatlich verordnete Rituale, das Sparpaket und und und. Lars-Ole Walburg – ein Moralist wider Willen.
Bis 23., 26. bis 30. 9., 2. bis 4. 10., jeweils 20.30 Uhr, Tacheles, Oranienburger Straße 54–56a
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