piwik no script img

Exoten für den Großstadt-Dschungel

■ Handels-Volumen von 1,5 Milliarden Dollar jährlich / Schlangen en gros / Elefantenkuh im Container / Krokodile mit gefälschten Papieren / Affen unterwegs

Paris (AFP) - Von der Wasserschildkröte über die Tarantel bis hin zur Elefantenkuh; heute gibt es praktisch kein einziges Tier mehr - und sei es noch so giftig, abstoßend oder gigantisch -, das vor der zweifelhaften „Affenliebe“ des zivilisierten Menschen sicher wäre. Je seltener ein Tier ist, je schwieriger es zu bekommen ist, desto größer ist die Nachfrage nach ihm.

Psychologen erklären sich dieses seltsame Bedürfnis nach Exotik mit der zunehmenden „natürlichen“ Verarmung der modernen Zivilisation: In den Industriestaaten entwickle die menschliche Spezies geradezu einen zwanghaften Drang, entweder auf Reisen nach dem Abenteuer zu suchen oder es in Form von exotischen Pflanzen und Tieren in die eigenen vier Betonwände zu holen. Auf diese Weise ist in den letzten Jahren ein schwunghafter illegaler Handel mit wilden Tieren entstanden. Nach Ansicht von Experten handelt es sich dabei um den weltweit zweitgrößten Schwarzmarkt nach dem Drogenhandel. Über diesen Umweg legen sich nicht nur exzentrische Einzelgänger ihre gewünschte Exoktik zu, auch Laboratorien und Privatzoos versorgen sich auf diese Weise mit billigem „Nachschub“. Nach Schätzungen der Experten werden jährlich etwa 1,5 Milliarden Dollar beim illegalen Handel mit lebendigen Tieren umgeschlagen. In der Öffentlichkeit bleibt das Ausmaß dieses Schwarzhandels weitgehend unbekannt. Allenfalls bieten kurze Meldungen in den Zeitungen über besonders spektakuläre Fälle einen kleinen Ausschnitt aus dem Alltag des Tierschmuggels: So berichteten die Pariser Zeitungen im Mai von der Festnahme zweier Diebe, die innerhalb kurzer Zeit insgesamt 54 Pythons, 16 Schildkröten, 20 Kanarienvögel, mehrere Papageien und seltene Hunde aus einem Spezialladen am Seine -Ufer gestohlen hatten - ein Großteil der Schlangen wurde später in einem Pariser Herpetologen-Club (Lehre von den Kriechtieren) sichergestellt.

Einen Monat später beschlagnahmten Zöllner auf dem Flughafen von Roissy zwei Leinensäcke, in denen 64 Königspythons, 20 Schildkröten, 20 seltene Eidechsen, 17 Warane, drei Vipern aus Gabun und zwei Äskulapnattern sich gegenseitig beinahe erdrückten. Alle diese Tiere, die von einem 29jährigen Franzosen aus Mali in seine Heimat eingeschleust worden waren, stehen auf der Liste der vom Aussterbenden bedrohten Tiere der Washingtoner Artenschutz -Konvention - kurz „Übereinkommen über den internationalen Handel mit gefährdeten Arten der freilebenden Tierund Pflanzenwelt“ (CITES) genannt. Von ihrem Weiterverkauf in einem europäischen Land hatte er sich ein lukratives Geschäft versprochen. Nach Informationen von CITES -Mitarbeitern erhalten Schmuggler beim Weiterverkauf ihrer seltenen, lebendigen Ware häufig das Zehn- bis Hundertfache ihres Einkaufpreises. So hätte zum Beispiel der Lieferant von 2000 Papageien, die gerade noch rechtzeitig in Gabun beschlagnahmt worden waren, bei ihrem Verkauf Gewinne in Millionenhöhe erzielt. Kein Wunder, daß sich ähnlich wie beim Drogenhandel mit der Zeit weitverzweigte internationale Schmuggelnetze herausgebildet haben, wobei der bisherige Hauptumschlagplatz - der Hamburger Freihafen - dank verschärfter Kontrollen inzwischen ausgedient hat.

Neue Drehscheibe ist Taiwan, dicht gefolgt von den Ländern Südamerikas. Lange Zeit galt unter Schmugglern die Verbindung Äquatorial-Guinea nach Honduras via Spanien als fast schon sicherer Routineweg, bis spanische Zöllner eines Tages auf dem Flughafen Madrids eine Lieferung mit Schimpansen, Krokodilen, verschiedenen Affenarten, Schildkröten und Grau-Papageien beschlagnahmten. Viele der Tiere hatten den langen Flug nicht überlebt. Nur einem Zufall hatte eine Elefantenkuh ihr Leben zu verdanken, deren „Versteck“ in einem riesigen Container den Hafenbehörden in Rotterdam spanisch vorkam, obwohl die Elefantendame selbst aus Vietnam stammte. Die gesamte Fahrt über hatte sie von Rohrzucker gelebt und befand sich in einem erbärmlichen Zustand.

Eine wahre Odyssee hatten schließlich 6.000 Krokodilbabies aus Kolumbien hinter sich, die nach Umwegen über Panama, Madrid, Zürich und möglicherweise Honduras irgendwann einmal in Taiwan entdeckt worden waren. Keinem der Transitländer waren die gefälschten Transportpapiere aufgefallen. Doch auch wenn diese exotischen Tiere die Reise überleben und schließlich einen Abnehmer finden, bleibt ihr Schicksal ungewiß.

Viele Käufer machen sich vor dem oftmals spontanen Erwerb solcher Exoten kein Bild davon, was es bedeutet, einen Leoparden in einer 40-Quadratmeter-Wohnung mitten im Großstadt-Dschungel großzuziehen. Gestank, teures und oftmals schwer erhältliches Futter oder die aufwendige Pflege lassen die rasch entflammte Liebe ebenso schnell wieder abkühlen - so schnell wie möglich will man die Tiere wieder loswerden, wobei sie nicht selten einfach ausgesetzt werden. Berichte über Krokodile in New Yorks Abwasserkanälen schrecken heute niemanden mehr. Nicht umsonst verlangt CITES seit Jahren eine Verschärfung der Kontrollen und der Bestimmungen für den Tierhandel. Aber nur wenige der 95 Unterzeichner, darunter auch die Bundesrepublik, haben inzwischen die Strafen für Schmuggler erhöht. Angesichts der Summen, die bei einem gelungenen Deal auf dem Spiel stehen, können härtere Strafen allerdings kaum noch schrecken. Deshalb fordert CITES nun auch schärfere Bestrafungen für Hehler. Die Tierschützer haben die Hoffnung nicht verloren, mit kleinen Schritten zur Rettung einiger vom Aussterben bedrohter Exoten beizutragen und ihnen das Schicksal von zahlreichen ihrer Artverwandten zu ersparen.

Patrick van Roekeghem

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen