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Exil-Chinese über Nobelpreisträger Mo„Fast schon eine Lachnummer“

Mit seiner Äußerung zur Zensur habe sich Nobelpreiträger Mo Yan keinen Gefallen getan, sagt der Exil-Schriftsteller Ming Shi. Er sei sicher unter Druck geraten.

„Unter Druck geraten“: der Schriftsteller Mo Yan Bild: dpa

taz: Herr Shi, Mo Yans Verteidigung der Zensur hat international große Empörung hervorgerufen. Wie beurteilen Sie seine Äußerung?

Ming Shi: Für sich genommen, ist die Äußerung nicht haltbar. Denn Zensur sagt ja immer, dass man guten Grund hat zu zensieren, dass zum Beispiel etwas nicht wahr ist oder nicht ganz der Wirklichkeit entspricht. Das ist ein gängiges Argument, mit dem fast alle Zensuren arbeiten. Was Mo Yan als Literaten betrifft: Gerade die Literatur muss ja nicht der Wirklichkeit entsprechen.

Wenn Literatur zensiert wird, dann meistens nicht wegen der Frage, ob sie der Wirklichkeit entspricht. Es ist daher fast schon eine Lachnummer, wenn ein Literat sagt: Ja, die Behörden müssen immer prüfen, ob etwas wahr ist, in dem Sinne, dass es die Wirklichkeit wiedergibt. In beiden Punkten hat sich Mo Yan keinen Gefallen getan.

Warum hat er sich in dieser Form zur Zensur geäußert?

Da kann ich eigentlich nur spekulieren. Er ist in China sicherlich stark unter Druck geraten, als er den Nobelpreis zugesprochen bekam. Es waren ja nicht nur die Dissidenten wie Yu Jie, Liao Yiwu und Ai Weiwei, die Zweifel an ihm angemeldet hatten. Der Zweifel ist in China breiter angelegt, es gibt Diskussionen im chinesischen Internet. Denn mit Mo Yan hat nicht nur ein Mitglied der allchinesischen Schriftstellervereinigung den Preis bekommen, sondern sogar ein stellvertretender Vorsitzender. Diese Schriftstellervereinigung wird vom internationalen PEN wegen ihrer Haltung zur Freiheit der Worte gar nicht anerkannt.

Bild: privat
Im Interview: SHI MING

Jahrgang 1957, entschließt sich 1987 dazu, ins Exil nach Deutschland zu gehen. Er studierte in Peking Germanistik und Jura. Er lebt als Autor und Journalist in Köln und ist Mitglied des deutschen PEN-Präsidiums.

Insofern würde ich weniger etwas über die Person Mo Yan anmerken als vielmehr zu dem Phänomen, wie auf eine Literaturmaschine von staatlicher Seite Einfluss genommen wird. Mo Yan ist allenfalls eine der wichtigsten Schrauben in dieser Maschine. Und wenn die Maschine sich in eine bestimmte Richtung drehen will, dann sollte die Schraube nicht sagen: Bitte in die andere Richtung.

Mo Yan hat sich kurz nach seiner Auszeichnung für die Freilassung Liu Xiaobos ausgesprochen. Wie passt das zu seiner Verteidigung der Zensur?

Möglicherweise wurde er von seinen Schriftstellerkollegen zurückgepfiffen. Außerdem muss man gut unterscheiden: Mo Yan wählt seine Worte sehr genau. Er hat sich nicht für die Freilassung Liu Xiaobos eingesetzt, er hat nur gesagt, er wünsche sich, dass Xiaobo frei sei. Mo Yan geht mit diesem frommen Wunsch gar nicht darauf ein, dass Xiaobo nicht frei ist, und schon gar nicht darauf, dass er freigelassen werden sollte.

Damit bewegt sich dieser sehr umsichtige Schriftsteller gerade so an der Grenze des Erlaubten. Das passt zur Wischiwaschi-Aussage zur Zensur: Die Zensur müsse prüfen, ob etwas wahr ist oder nicht. Mit dieser Nullachtfuffzehn-Wahrheit kann niemand etwas anfangen.

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5 Kommentare

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  • DM
    Doris Menzel

    Ein umfangreiches sehr interessantes Gespräch mit dem neuen Chinesischen Botschafter Shi Mingde in Berlin in

     

    http://www.jungewelt.de/2012/12-08/033.php

  • ML
    Michael Leh

    Herr Shi Ming ist mir schon oft sehr positiv und angenehm aufgefallen mit sachkundigen und geradlinigen Beiträgen, unter anderem im Deutschlandfunk.

     

    Lieber Herr Shi Ming, falls Sie dies hier lesen sollten: ich grüße Sie mit Dank und großem Respekt! Gut, dass wir Sie hier in Deutschland haben - wir brauchen sachkundige Stimmen wie die Ihre! Alles Gute!

  • SN
    Sindi Nullinger

    Und, unter welchem Druck steht der Moderator,wenn er missliebige Kommentare unterdrückt?

    Ach so, das ist gaaaaanz was anderes. Aber sicher.

  • AV
    Alexandra Voß

    Aber auch in Deutschland gibt es genug Bücher renommierter Autoren, die dem Zensor nicht gefallen (haben) und die deshalb verboten wurden.

     

    Einige Beispiele aus den letzten Jahren:

     

    - Klaus Mann. Mephisto. Roman einer Karriere. Reinbek: Rowohlt, 2000. Taschenbuch, 414 Seiten

     

    - Bertolt Brecht. Die Gedichte von Bertolt Brecht in einem Band. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1993. Gebunden, 1388 Seiten

     

    - Günter Amendt. Das Sexbuch. Aufklärung für Jugendliche und junge Erwachsene. Reinbek: Rowohlt, 1996. Taschenbuch - 283 Seiten

     

    - Friedrich Christian Delius. Unsere Siemens- Welt. Eine Festschrift zum 125jährigen Bestehen des Hauses S. Hamburg: Rotbuch, 1995. Gebunden, 265 Seiten

     

    - Günter Grass. Katz und Maus. Eine Novelle. München: DTV, 1993. Taschenbuch, 139 Seiten

     

    - Erich Schmidt-Eenboom. Undercover. Der BND und die deutschen Journalisten. Köln: Kiepenheuer, 1998. Gebunden, 446 Seiten

     

    Hat Deutschland nun chinesische Verhältnisse oder China deutsche Verhältnisse?!

     

    Und natürlich nicht zu vergessen: Die Schere im Kopf vieler deutscher Journalisten!

  • MB
    Maximilian Börner

    Wer sich mit der Geschichte und Kultur, den Sitten und Gebräuchen, in China eingehend beschäftigt und sich selbst AUS ERSTER HAND vor Ort ein Bild über dieses ferne und doch so nahe faszinierende ostasiatische Land macht, und es nicht als Hobby bei alter chinesischer Küche, Medizin, Kampfkunst, Malerei und Musik der letzten 5.000 Jahre beläßt, in den Tiefen der jahrtausende alten chinesischen Philosophie versinkt, der wird feststellen, daß es wie überall zwei Sichtweisen auf dieses riesige vielgestaltige Land und seine Menschen, Anspruch und Wirklichkeit, gibt.

     

    Einerseits größtes Entwicklungsland der Erde, andererseits in Wirtschaftszonen am Meer eine hochentwickelte expandierende Industrie, einem jährlichen Wachstumdes realen BIP von ca. 10%.

     

    So gibt es zum Einen das Bild Chinas, gezeichnet vom Exil-Chinesen Herrn Ming, der seit 25 Jahren in Deutschland lebt, und es gibt ein interessantes Bild Chinas, in dem ein 58-jähriger Chinese mit seinen vielfältigen Erfahrungen ausführlich und allseitig über sein Bild Chinas, und genauso interessierend, über die chinesisch - deutschen Beziehungen, über Gegenwart und Zukunft, spricht.

     

    Es geht allen besser, aber noch bleibt viel zu tun: China, ein Land voller Widersprüche. Die westlichen Medien sollten diese objektiver abbilden.