Exfondsmanagerin über Aktienkurse: "Das ist wie Achterbahn fahren"
Wir erleben derzeit keinen Aktiencrash, findet Exfondsmanagerin und Bestsellerautorin Susan Levermann. Für sie ist die Börsenkrise eine Krise der Werte.
taz: Frau Levermann, droht der Crash? In den vergangenen Wochen hat der Deutsche Aktienindex DAX etwa 25 Prozent seines Werts eingebüßt.
Susan Levermann: Das ist noch kein Crash. Ich würde mir wünschen, dass die Börsenkurse um weitere 15 Prozent nachgeben.
Alle sprechen von Börsenpanik - und Sie freuen sich über die Verluste?
Der DAX sendet gerade kein klares Signal aus, wohin der Trend geht. Das Verhältnis der Börsenkurse zu den erwarteten Gewinnen liegt im langjährigen Durchschnitt. Wenn die Aktien jetzt weiter runtergingen, wären hinterher die Chancen größer, dass man Kursgewinne erzielt.
SUSAN LEVERMANN, 37, war Fondsmanagerin bei der Deutschen Bank und verwaltete 1,7 Milliarden Euro. 2008 wurde sie als beste Fondsmanagerin ausgezeichnet – kündigte aber und arbeitet jetzt bei der Klimaschutzorganisation „//www.cdproject.net:Carbon Disclosure Project“. Ihr Börsenführer Der entspannte Weg zum Reichtum war ein Bestseller und erscheint demnächst als Taschenbuch.
Das klingt so, als könnte man nur Gewinne auf Kosten von anderen machen, die verkaufen und dann Verluste einfahren?
Das ist leider so. So funktioniert das grundsätzliche Spiel an der Börse. Wenn ein Anleger überdurchschnittliche Rendite erzielt, müssen andere unter dem Durchschnitt liegen. Deswegen habe ich mich ja von meinem Beruf als Fondsmanagerin verabschiedet, weil ich es nicht leiden konnte, andere zu übervorteilen.
Momentan würden Sie aber abraten, Aktien zu kaufen?
Das kommt darauf an, welchen Horizont man hat. Wer langfristig investiert, sollte jetzt die Hälfte seines Vermögens in Aktien anlegen, denn irgendwann werden die Kurse wieder steigen. Allerdings denken die meisten Investoren nicht langfristig, sondern kurzfristig, und verlassen bei Kursschwankungen panikartig das Parkett. Denen würde ich raten abzuwarten. Momentan verpasst man nicht viel an der Börse.
Wenn man also erst einsteigt, wenn die Kurse 15 Prozent niedriger liegen: Wann ist es so weit?
Das kann noch in diesem Jahr passieren.
Andere Analysten rechnen damit, dass der DAX zu Jahresende bei 7.900 Punkten steht - also mehr als 40 Prozent gewinnt.
Dieser Optimismus macht mir Sorgen. Nur bei einer einzigen DAX-Aktie sind sich alle Analysten einig, dass sie weiter verliert: beim Energiekonzern RWE. Sonst lasten auf allen Aktien starke bis sehr starke Kaufempfehlungen. Das kann logisch gar nicht sein.
Warum nicht? Die Börse könnte sich doch erholen.
Die meisten Analysten geben aber keine absoluten Kaufempfehlung ab - sondern relative. Sie empfehlen also jene Papiere zum Kauf, die sich besser als der Durchschnitt des Gesamtmarkts entwickeln. Dies kann jedoch mathematisch nur auf maximal die Hälfte aller Aktien zutreffen. Die Situation ist nicht gesund, wenn 29 von 30 DAX-Aktien positiv bewertet werden. Das heißt: Die meisten Analysten müssen sich täuschen, und es wird bei den Kursen weiter runtergehen.
Bei fallenden Kursen setzen viele Investoren auf Leerverkäufe: Sie verkaufen also Aktien, die sie gar nicht besitzen - in der Hoffnung, dass sie sie später bei niedrigeren Kursen zurückkaufen können. Was halten Sie von diesem Trick?
Ich bin gegen Leerverkäufe. Sie sind unethisch. Denn dahinter steckt die Logik: Es gibt nur Gewinn, wenn andere Verluste machen.
Gerade haben Spanien, Italien, Frankreich und Belgien Leerverkäufe von Bankaktien verboten. Das war also eine gute Idee?
Die Idee ist gut, aber sie funktioniert natürlich nur, wenn das Verbot global gilt. Sonst weichen die Spekulanten einfach auf andere Länder aus.
Ist es nicht verengt, wenn man nur Leerverkäufe von Aktien verbietet? Die Spekulanten könnten doch mit Derivaten auf fallende Kurse setzen.
Man kann natürlich Put-Optionen kaufen. Mit einem solchen Kontrakt erwirbt man das Recht, eine Aktie an einem bestimmten Tag zu einem bestimmten Preis an den Handelspartner zu veräußern. Das lohnt sich, wenn der Aktienkurs bis dahin fällt. Aber Put-Optionen sind Teufelszeug. Davon würde ich abraten. Sie sind mathematisch hochkomplex. Das können nur Investmentbanken mit den entsprechenden Computerprogrammen beurteilen. Das ist ein bisschen wie Achterbahn fahren.
Obwohl Sie sich als Fondsmanagerin von der Börse abgewandt haben, schreiben Sie Börsenratgeber. Wie passt das?
Ich schreibe gern - und man kann doch nicht ignorieren, dass es die Finanzmärkte gibt. Aber man muss sehen, dass die Börsenkrise eigentlich eine generelle Krise der Werte ist, wie auch der Krawall in England zeigt. Die Elite muss sich fragen, ob die Börse nicht die falschen Vorbilder vermittelt. Dort geht es um Bereicherung, Wettkampf und Egoismus. Richtiger wäre Miteinander und Fürsorge.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Rücktrittsforderungen gegen Lindner
Der FDP-Chef wünscht sich Disruption
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht