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Ex-Verfassungsrichter über Volksentscheide"Demokratie ist nie garantiert"

Mehr Volksentscheide, mehr Europa, mehr Internet: So will der ehemalige Bundesverfassungsrichter Brun-Otto Bryde die Demokratie verteidigen und stärken. Das Abschiedsinterview.

Den Bürger im Blick: Deren Einmischung in politische Prozesse hält Brun-Otto Bryde für wichtig. Bild: imago/Zentrixx
Christian Rath
Interview von Christian Rath

taz: Herr Bryde, sind Sie ein leidenschaftlicher Demokrat?

Brun-Otto Bryde: Ja, auch wenn ich den Begriff nicht verwenden würde.

Sehen Sie auch die Deutschen als ein Volk leidenschaftlicher Demokraten?

Rund 70 Prozent der Deutschen halten die Demokratie laut einer aktuellen Umfrage für die beste Staatsform. Ich denke, das ist ein ganz guter Wert. Am größten ist die Leidenschaft für die Demokratie aber meistens dann, wenn man sie vermisst.

Wie jetzt in Tunesien und Ägypten?

Ja, aber auch der friedliche Umsturz in der DDR war eine leidenschaftliche demokratische Bewegung.

Brun-Otto Bryde

68, war von 2001 bis 2011 Richter am Bundesverfassungsgericht (Erster Senat). Der parteilose Rechtsprofessor aus Gießen wurde einst auf Vorschlag der Grünen gewählt. Als federführender Richter prägte er Urteile zur Gleichstellung von Homo-Partnerschaften und zur Kontrolle der Gentechnik. In diesem Februar schied Bryde nach Erreichen der Altersgrenze von 68 Jahren in Karlsruhe aus. Ihm folgte Susanne Baer, zuvor Professorin für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien an der Humboldt-Universität in Berlin, die von SPD und Grünen nominiert wurde.

Ist die demokratische Idee also ungebrochen attraktiv?

Antwort: Ganz bestimmt. Wir sehen das vor allem, wenn sie sich sogar unter schwierigsten Bedingungen durchsetzt. Die Menschen wollen über ihr Schicksal eben lieber selbst bestimmen als herumkommandiert zu werden.

Was ist denn die entscheidende Leistung der Demokratie?

Dass die Macht in freien Wahlen immer wieder neu vergeben wird. Dies ermuntert die Regierenden, möglichst viele Interessen zu berücksichtigen, um wiedergewählt zu werden. Vor allem aber sind Wahlen das ideale Modell, einen Machtwechsel unblutig zu gestalten.

Viele Menschen sind aber nicht damit zufrieden, nur alle vier Jahre zu wählen.

Zu Recht. Demokratie ist ein anspruchsvolleres Konzept, bei dem die Betroffenen möglichst gut an den Gemeinschaftsentscheidungen beteiligt werden.

Früher galt es in der Politikwissenschaft als Zeichen von Zufriedenheit, wenn sich die Bürger raushielten. Bürgerproteste wurden als Krisenphänomen betrachtet.

Diese Sicht ist offensichtlich überholt. Es ist gut, wenn Bürger sich einmischen. Partizipation stärkt die Demokratie.

Können Bürgerproteste wie bei Stuttgart 21 also die sinkende Wahlbeteiligung kompensieren?

Zumindest sind sie ein Zeichen, dass die Menschen nicht politikmüde sind und gehört werden wollen. Ich finde das ermutigend.

Befürworten Sie Volksabstimmungen?

Ja. Wir haben heute in unserem politischen System so viele Vetopositionen, dass die Verantwortung für einzelne Entscheidungen oft kaum noch erkennbar ist. Das Nein eines kleinen Koalitionspartners kann Entscheidungen verhindern, für die es nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch im Parlament eine Mehrheit gäbe, der Bundesrat redet mit und manchmal auch das Bundesverfassungsgericht. Die Stimmabgabe bei einer Parlamentswahl ermöglicht immer weniger konkrete Richtungsentscheidungen und sollte daher durch konkrete Volksentscheide ergänzt werden.

Hilft auch das Internet bei der Demokratisierung der Gesellschaft?

Sein anarchischer Charakter erlaubt Information und Kommunikation, die sich weitgehend staatlicher Kontrolle entzieht. Nicht nur in Diktaturen ist das ein großer Gewinn. Ungeklärt ist, wie sich dieses Potenzial erhalten lässt und der demokratische Gesetzgeber seine Gesetze auch im Netz durchsetzen kann. Es scheint in der Natur des Netzes zu liegen, dass Kontrollmechanismen sehr leicht unverhältnismäßig wirken.

Ist das Netz mit seinen Blogs, Foren und Netzwerken nicht auch ein effizientes Gegenmittel gegen Medienkonzentration?

Es ist sicher gut für die Demokratie, wenn hier neue niedrigschwellige Öffentlichkeiten entstehen. Und Medienpluralismus ist wichtig für die Demokratie. Wenn der Medienmarkt zu einseitig interessengebunden ist, wird auch der demokratische Willensbildungsprozess verzerrt. Für entscheidend halte ich, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk, den das Bundesverfassungsgericht immer verteidigt hat, als pluralistisches und seriöses Medium erhalten bleibt.

Manche Bürger wählen nicht mehr, weil sie glauben, dass die Gewählten eh nichts ändern können.

Es wäre verhängnisvoll, wenn sich die Vorstellung durchsetzt, der Staat könne nur noch auf Vorgaben der internationalen Finanzmärkte reagieren. Zum einen stimmt das nicht, zum anderen beruhte die Deregulierung der Finanzmärkte auf bewussten politischen Entscheidungen. Sie ist also kein Naturereignis, sondern die Folge von demokratisch legitimierter Politik.

Wie konnte es dazu kommen?

Antwort: Das ist eine Folge der Reagan-Thatcher-Ära. Damals galt der Staat nicht als Lösung, sondern als Problem.

Hat nicht die Mehrheit der Bevölkerung ein Interesse an staatlicher Steuerung und großzügigen Sozialleistungen?

Konservative Theoretiker befürchteten noch in den 70er-Jahren eine Unregierbarkeit des Staates als Folge nicht finanzierbarer Sozialgesetze. Dann aber gelang konservativen Politikern ein genialer Schachzug, indem sie die Steuerfeindschaft auf die politische Agenda setzten: Alle wollen weniger Steuern zahlen, auch die geringste Steuer drückt. Wenn aber der Staat zu wenig Mittel hat, müssen Sozialleistungen abgebaut werden, quasi als Sachzwang, ohne dass dies offen propagiert werden muss. Unregierbarkeit droht daher heute eher von einer unzureichenden Mittelausstattung des Staates als von unangemessenen Forderungen der Bürger.

Die Forderung der FDP nach Steuersenkungen verfängt heute nicht mehr. Ein Fortschritt?

Das ist eine bemerkenswert reife Leistung der Bundesbürger, auf die wir durchaus ein bisschen stolz sein können, wenn wir es etwa mit den USA vergleichen. Allerdings sind Steuererhöhungen nach wie vor tabuisiert. Und als einziges westliches Industrieland haben wir in Deutschland keine Vermögenssteuer, obwohl diese eine wichtige Konsequenz aus der grundgesetzlichen Forderung nach der Sozialpflichtigkeit des Eigentums ist.

Warum ist die Sicherung des Steueraufkommens eine Verfassungsfrage?

Wir sprechen doch über die Akzeptanz der Demokratie. Das Grundgesetz war als Verfassung nach dem Krieg zunächst nicht sonderlich gut angesehen. Seine wachsende Beliebtheit hat es in den folgenden Jahrzehnten auch dem Wirtschaftswunder und vor allem dem Ausbau des Sozialstaats zu verdanken. Gesellschaftliche Solidarität und staatliche Steuerungsfähigkeit tragen daher wesentlich zum Gelingen von Demokratie bei. Die Leute wollen einen leistungsfähigen Staat.

Wie soll Deutschland internationale Wirtschaftsentwicklungen steuern?

Realistischerweise geht das nur im Rahmen der EU. Die Stärkung der EU ist daher auch eine Stärkung der Demokratie. Die Milliardäre, die Kampagnen gegen die EU finanziert haben - zuletzt bei der irischen Abstimmung über den Lissabon-Vertrag - wollten ein starkes Europa verhindern und wussten sehr genau, was sie taten.

In Deutschland war auch die Partei Die Linke gegen den Lissabon-Vertrag.

Manche wissen offensichtlich nicht, was sie tun.

Wie aber steht es um die europäische Demokratie, wenn in Brüssel vor allem Regierungen miteinander Politik aushandeln?

Das Europäische Parlament ist heute ein gleichberechtigter Partner. Es arbeitet gut und diskutiert offener als nationale Parlamente, weil es keine EU-Regierung stützen muss. Das ist aber leider immer noch nicht im Bewusstsein der Bevölkerung und der Journalisten angekommen. Es ist einfach bequem zu glauben, dass das Parlament machtlos und die EU-Politik undurchschaubar ist.

Ist unsere Demokratie integrativ genug?

Nein, es ist ein großes Defizit, dass Einwanderer, die nicht deutsche Staatsbürger geworden sind, bei Wahlen ausgeschlossen bleiben. In manchen Stadtteilen betrifft das 25 Prozent der Bewohner. Damit werden auch die Interessen verzerrt. Der Ausschluss von Ausländern bei Kommunal- oder Landtagswahlen schwächt zum Beispiel die Position von Arbeitern, Hauptschülern und jungen Familien.

Nun war es ja gerade das Bundesverfassungsgericht, das ein Ausländerwahlrecht für unzulässig erklärt hat.

Ja, der Zweite Senat hat in seinem Urteil 1990 gefordert, dass alle Staatsgewalt vom deutschen Volk legitimiert werden muss und nicht von den jeweils Betroffenen, also der örtlichen Wohnbevölkerung. Ich habe damals als Prozessvertreter Schleswig-Holsteins für eine andere Entscheidung gekämpft und habe meine Meinung seither nicht geändert.

Ist es Zeit, einen neuen Anlauf zu unternehmen?

Wir haben ja inzwischen immerhin ein Kommunalwahlrecht für EU-Bürger, das man auf die Landesebene ausdehnen könnte. Aber die hier lebenden Türken, als größte Migrantengruppe, sind immer noch nicht wahlberechtigt. Es wäre interessant zu wissen, ob der Zweite Senat an der damaligen Entscheidung festhält. Für wichtiger und realistischer halte ich es aber, die Einbürgerung zu erleichtern.

Ist es nicht legitim, Anforderungen an Neubürger zu stellen?

Von neu ankommenden Einwanderern kann man einiges verlangen. Dagegen sollten wir bei der Einbürgerung derjenigen, die seit Generationen in Deutschland ansässig sind, großzügig sein, und zum Beispiel auf abschreckende Tests verzichten und doppelte Staatsbürgerschaften zulassen.

Der italienische Rechtsphilosoph Norberto Bobbio sagte: "Als Demokraten müssen wir ständig in Angst und Alarmbereitschaft sein." Stimmen Sie zu?

Ja, man darf Demokratie nie als etwas sehen, das garantiert ist. Sie muss immer gelebt und verteidigt werden.

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8 Kommentare

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  • FS
    Frank Schol

    Andre,dies ist genau meine Meinung und diese werde ich auch vertreten. Es ist immer ein sehr Leichtes die Verbrecher Adolf Hitler und Joseph Stalin hervorzukrammen und deren Handlungsweise Leuten vorzuhalten, die eine andere Meinung als Sie Andre, haben. Für dieses Argument möchte ich Ihnen "danken".

    Ein gutes Beispiel für unsere Demokratie ist die Debatte um Hartz 4. Man diskutiert und diskutiert und kommt nicht vorwärts, weil jeder meint etwas sagen zu müssen. Die Welt lacht über uns.

    Sicherlich, da möchte Ihnen recht geben, können wir reisen in unserem System so ziemlich wo hin wir wollen. Dies ist toll und vielleicht für Leute wie Sie Andre, die Erfüllung des Lebens. Was benötigt man nun aber zum Verreisen? Natürlicherweise das nötige Geld. Wo bekomme ich dieses her? Eigentlich durch ehrliche Arbeit. Was ist aber nun, wenn Sie unsere große deutsche Wirtschaft nicht mehr einstellen oder haben will, ja was tun Sie dann? Nichts, dann sind Sie am Ende. Man kann sich anstrengen wie man will, man kommt einfach nicht mehr in das System. Das ist deutsche Demokratie und da soll ich eine positive Meinung zuhaben, geschweige dahinter stehen?

    Ihnen scheint es recht gut zu gehen? Es könnte in diesem System auch einmal schnell passieren, dass Sie der deutschen Wirtschaft zu alt, zu langsam oder einfach nicht leistungsfähig genug sind. Dann würft man Sie einfach fort. Man braucht Sie nicht mehr, da sind dann Leute an Ihrem Arbeitsplatz im Alter von, sagen wir 25 Jahren. Ist doch toll oder? Gut wir werden sehen was die Zeit bringen wird.

    Rein informativ für Sie Andre, ich bin eher links als rechts eingestellt.

  • B
    Birkenrinde

    @Wolf

     

    Naja, in einer Räterepublik wäre das schon möglich. Sie scheinen sehr individualistisch zu denken, aber es gibt nicht zu jeder Politisierung 6 Milliarden Meinungen. Es gibt kollektive Interessen und wenn man genau hinschaut, kann man bei vielen Politisierungen die Positionen auf ein Duzend bündeln oder weniger. Zum Beispiel gibt es in der BRD sicher nicht 80 Millionen "Meinungen" zur Energiefrage im Allgemeinen und zur Atomkraftfrage im Besonderen. Hinzu kommt der dezentrale Faktor: Es müssen nicht alle über S21 oder was-weiß-ich abstimmen, es reicht wenn da die lokalen Interessen ausgehandelt werden. All das ließe sich in einem föderalen Rätesystem bündeln - aber über alternative politische Systeme zu diskutieren, ist eh out und die Einzigen die sich dafür in der BRD heute noch für diese Diskussionen interessieren, sind die Herren vom Verfassungsschutz... X-)

     

    Für ein selbstbestimmtes und solidarisches Zusammenleben!

  • RF
    rudy fehren

    @ Frank Schol

     

    da bin ich dezidiert anderer Ansicht, mit Sätzen wie viele Köche verderben den Brei entmündigen Sie den Souverän! Ja und machen es diesen sogar möglich sich seiner Verantwortung zu entziehen.

     

    Warum weil er ja dann seine Stimme abgibt haben wir ja hier schon für den Zeitraum von 4 Jahren in denen eine Regierung aufgrund Ihrer zustande kommenden Mehrheit, faktisch tun und lassen kann was sie will!

     

    Hätte diese sogar eine 3/4 Mehrheit könnte Sie die Verfassung nach Belieben ändern ohne das der Souverän etwas dagegen unternehmen könnte!

     

    Machtkonzentration in einer Hand und selbst in einer parlamentarischen Demokratie wäre die möglich s.o. ist sehr gefährlich und meist gegen das Interesse eines Souverän!

     

    Im Gegenteil wäre ich sogar dafür jederzeit Entscheidungen abändern zu können herunter gebrochen bis auf die kleinste Einheit unseres Staatsgebildes. Das setzt allerdings engagierte Demokraten voraus und hier sind wir auf einen sehr guten Weg Stichworte S21 auch Gorleben auch G7 und die damit verbundenen Bürgerproteste.

     

    mfg

  • N
    noevil

    Möglicherweise habe ich als Durchschnittsbürger keine so radikalen Vorstellungen von Demokratie. Denn ich bin schon zufrieden, wenn eine meinen Vorstellungen von "zum Wohl der Allgemeinheit" nahestehende Partei den oder die Kandidaten ins Rennen bringt, der/die meinen genannten Wünschen möglichst nahe kommt. Und per Wahlzettel unterstütze ich dann die gewünschte Mehrheit. Manchmal reicht es zur Bevollmächtigung im meinem Sinne zu handeln aus und manchmal nicht. Und gelegentlich laufen manche Dinge aus dem Ruder - ganz gegen meine ursprünglichen Vorstellungen.

     

    Mir gefallen die Ansichten und Kritiken dieses ehemaligen Bundesverfassungsrichters sehr gut. Sie sind klar und mit dem manchmal angebrachten seufzer über die kleinen, sich überaus breit machenden Großtuer in mancher Regierung, als auch mit der gelegentlich nötigen Portion Humor (z.B. Linke) garniert. Ich würde mir mehr von der Sorte wünschen.

  • A
    Andre

    @Frank Schol:

     

    Aha...eine starke Person soll entscheiden. Manchmal frage ich mich, ob Menschen doch in ihrer Gesamtheit zu dumm sind aus der Vergangenheit und Gegenwart zu lernen. Ich brauche gar nicht Adolf zu erwähnen, oder Stalin. Schauen wir uns doch einfach Mubarak, Gaddafi oder Chavez an. Da entscheidet(e) in der Tat immer eine starke Person und wurde nicht "von 20 anderen schwachen Personen" behindert. Das Resultat ist immer das Gleiche: Unfreiheit, Unterdrückung, Folter, Mord usw.

     

    Vielleicht scheinen Sie nicht ganz den ungeheuren Glücksfall zu sehen in einer reichen (noch unperfekten) Demokratie zu leben. Wenn Sie so durch die Welt reisen wie ich, erkennen sie erst den wahren Wert unserer Freiheit und unseres Wohlstandes, der für Milliarden (!) anderer Menschen bislang nur ein Traum ist !! Man kann und muss alles verbessern, aber Demokratie ist nunmal etwas mühsamer als ein starker Mann, aber langfristig die einzige Lösung.

  • FS
    Frank Schol

    Eine Demokratie muss nicht immer die perfekte Lösung sein. Sagen wir kurz und gut, viele Köche verderben den Brei. Manchmal sollte eine starke, sagen wir Person, eine Entscheidung fällen und festlegen und nicht zwanzig andere schwache Menschen der Meinung sein,sie hätten da etwas zu melden, Resultat wäre, das ganze kommt nicht zum Zuge. Man diskutiert und diskutiert und es geht nicht vorwärts. Aber dafür sind wir Deutschen Spezialisten. Lange Rede kurzer Sinn.Eh man hier bei uns zum Ziel kommt,geht schon sehr viel Zeit ins Land.

  • T
    tystie

    Aufschlssreicher Artikel. Da hat also jemand den erlauchten Kreis der RichetrInnen verlassen, der zwar ein 'leidenschaftlicher Demokrat' ist, diesen Begriff aber nicht verwenden würde! Warum das so ist, erfahren wir leider nicht.

    Demokratie ist nach seiner Auffassung also, wenn "die Menschen über ihr Schicksal eben lieber selbst bestimmen wollen, als herumkommandiert zu werden." Das probate Mittel dazu sind 'freien Wahlen'. "Dies ermuntert die Regierenden, möglichst viele Interessen zu berücksichtigen, um wiedergewählt zu werden."

     

    Rührend, aber völlig weltfremd! Den gegenwärtigen Machthabern reicht es beispielsweise vollkommen aus, die Interessen von Konzernbossen zu befriedigen. Und wie wichtig ihnen ist, wiedergewählt zu werden, sieht man an der Abseiltaktik diverser CDU-Ministerpräsidenten im vergangenen Jahr, die nur in trocken, warme Tücher fallen können. Leute, die wiedergewählt werden wollen, um der Macht willen Macht auszuüben, neigen am allerwenigsten dazu, "möglichst viele Interessen zu befriedigen", es sei denn, das Interesse nach verdummender Ablenkung, wofür die Staatsmedien ja gottlob zur Verfügung stehen. Gerade diese Praxis wurde vom Bundesverfassungsgericht ja kürzlich ausdrücklich gefördert, indem künftig die Propagandaorgane durch persönliche Steuern ('GEZ-Gebühren') finanziert werden.

     

    Kurz, dieser Exhüter über die Verfassungstreue von Gesetzen und Gerichtsentscheiden hat eine Auffassung von 'Demokratie', die aus der Sonntagsschule der Staatslenker stammt. Was nicht wirklich verwundern kann, denn schließlich werden VerfassungsrichterInnen ausschließlich vom Bundesrat und dem Rechtsausschuss des Bundestages bestimmt. Sie sind also fester Bestandteil des politischen Herrschaftsapparates.

     

    Die Menschen, die sich engagieren, sind mit Sicherheit 'politikmüde', in dem Sinne nämlich, dass sie es satt haben, sich mit der Wahlshow und den bürokratischen Winkelzügen sogenannter 'Bürgerbeteiligung' systematisch betrügen zu lassen. Wenn sie sich einsetzen, dann oft genug, weil sie mit Entsetzen feststellen müssen, dass es buchstäblich um ihre Existenz und die ihrer Kinder (soweit vorhanden) geht, die von den Herrschenden kaltblütig verspielt werden.

     

    In den Händen solcher Interpreten des Grundgesetzes liegt es also vorerst, die seinsvernichtende Atompolitik der Regierung zumindest einzuschränken. Versprechen wir uns nicht zuviel davon!

  • W
    Wolf

    EIGENTLICH IST SCHON DAS WORT DEMOKRATIE eine Zumutung. ›Demokratie‹heißt ›Volksherrschaft‹. Herrscht irgendwo ›das Volk‹? Natürlich nicht, bestenfalls darf das Volk Menschen wählen, von denen es sich beherrschen läßt. Und selbst die bekommt es vorsortiert angeboten.

     

    Eine wirkliche Demokratie wäre, wenn das ganze Volk über das ganze Volk herrschte, also jeder Mensch jedem anderen genausoviel zu sagen hätte, wie er sich von anderen zu sagen lassen hat. Das ist entweder Unsinn oder das Ende der Herrschaft von Menschen über Menschen. Denn wenn jeder jeden ›beherrscht‹, ist das genau dasselbe, wie wenn niemand herrscht.

    Da Menschen aber unterschiedliche Meinungen haben, kann solch eine Demokratie in einem Staat nicht funktionieren, es sei denn, eine Meinung setzte sich durch und unterdrückte viele andere. Genau das aber ist in unseren ›Demokratien‹ der Fall. Der Unterschied zwischen Diktaturen und Demokratien besteht genau besehen darin, daß in ersteren eine Minderheit die Mehrheit und in letzteren eine Mehrheit zahlreiche Minderheiten unterdrückt. Beides aber ist eine Herrschaft einiger über viele, also eine Oligarchie und keine Demokratie – auch, wenn sich die Herrschenden ihre Herrschaft von einer Mehrheit legitimieren lassen.

     

    Weil aber Menschen verschiedene Meinungen haben, die sich eben nicht in einer Gesellschaft unter einen Hut bringen lassen, ist Demokratie – die Herrschaft aller über alle– entweder nur in kleineren Gruppen möglich oder gar nicht.

    Ein Netz kleiner Gruppen, eine Föderation verschiedener Gesellschaften aber ist nichts anderes als Anarchie. Wirkliche Demokratie ist also entweder an-archisch oder unsinnig. (Horst Stowasser)