Ex-UN-Klimarat-Chef de Boer: "Das Kioto-Protokoll ist tot"
Der Geist des Kioto-Protokolls sei verschwunden, sagt der ehemalige UN-Klima-Generalsekretär Yvo de Boer. Für die Zukunft schlägt er eine neue Institution vor: eine Art Klima-WTO.
taz: Herr de Boer, die Klimakonferenz ringt wieder mal um einen Kompromiss. Sie haben diese Verhandlungen lange geleitet. Wie sehen Sie die Lage?
Yvo de Boer: Der Geist des Kioto-Protokolls ist verschwunden. Der Körper wird zwar noch künstlich am Leben erhalten und vielleicht werden einige der Organe verpflanzt. Aber wir müssen sehen, dass das Kioto-Protokoll tot ist.
Warum?
Weil es keinen politischen Willen gibt, es mit Leben zu füllen. Ein Klimaabkommen, das die USA, Russland, Japan und Kanada nicht bindet, ergibt keinen Sinn. Europa hält sich an die Regeln, aber es ist allein. Heute stehen die verbleibenden Kioto-Länder für keine 20 Prozent der globalen Emissionen. Als wir Kioto ratifziert haben, waren das 55 Prozent. Wir müssen den Leuten endlich sagen, dass das nicht so funktioniert, wie es geplant war.
Was heißt das für die nächste Klimakonferenz in Durban?
Ich habe hier mit einigen erfahrenen Verhandlern geredet. Sie sagen, dass wir in Durban einen Fahrplan brauchen, der uns ins nächste Jahr bringt. Das bezweifle ich. Wir hatten in Rio 1992 einen Fahrplan, in Kioto, in Kopenhagen, in Cancun. Wie viele Fahrpläne brauchen wir denn noch?
57, ist ein niederländischer Politiker und war von 2006 bis 2010 Generalsekretär des Sekretariats der Klimarahmenkonvention der UN. Inzwischen arbeitet er für die Unternehmensberatung KPMG.
Was ist Ihre Alternative?
Die Märkte sollten eine viel wichtigere Rolle spielen. Wir haben einen wachsenden internationalen Markt für Kohlenstoff und dazu Länder und Unternehmen, die sehr interessiert daran sind, in die grüne Wirtschaft einzusteigen und ihre Wirtschaft vom Kohlenstoff wegzubringen. Wir brauchen ein System, das viel mehr auf Anreize setzt.
Also wollen Sie Emissionsgrenzen abschaffen?
Nein, es muss natürlich Emissionsgrenzen geben. Aber man muss den politischen Willen organisieren, um sie zu erreichen. Man sollte die Ergebnisse des Cancun-Gipfels nehmen - Emissionsreduzierung, Prüfmethoden, Anpassungsmaßnahmen, der Grüne Fonds für Klimaschutz - und den politischen Willen suchen, um sie umzusetzen. Ich würde so etwas wie die Welthandelsorganisation WTO bevorzugen. Ein solches Gremium könnte den Ländern Vorteile beim Zugang zu grüner Technologie und beim Handel einräumen. Die Länder sollten ihm nicht aus Zwang, sondern eigenem Antrieb beitreten.
Aber Schwellenländer wie China hängen am Kioto-Protokoll, weil es das einzige Abkommen ist, das die Industrieländer bindet. Wäre das Ende von Kioto nicht auch das Ende der Klimaverhandlungen?
In gewisser Weise ja. Aber China etwa hat ein riesiges Interesse an internationalen Standards für seine Produkte. Sie mögen die Standards der UN-Organisation für Arbeit, weil sie damit beweisen können, dass ihre Produkte okay sind. Das Gleiche würde für Klimastandards gelten.
Und der andere große Blockierer, die USA?
Die USA könnten einer Klima-WTO beitreten, um ihren Kontrahenten China und Indien auf Augenhöhe gegenüberzutreten. Die Sicht der Wirtschaft ist für die meisten Amerikaner viel sinnvoller als ein juristisch bindendes Abkommen, das nicht alle Verschmutzer einschließt.
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