Ex-Twitter-Mitarbeiter über Entlassungen: „Wir geben unsere Rechte nicht auf“
Als neuer Chef feuerte Elon Musk über 3.000 Mitarbeiter*innen. Einer aus der Gruppe von den deutschen Entlassenen gründet gerade einen Betriebsrat.
taz: Tom*, du bist einer der über 3.000 Menschen, die bei Twitter Anfang November, nach der Übernahme durch Elon Musk, entlassen wurden. Hast du Angst vor Arbeitslosigkeit?
Tom: Nein. Ich finde bestimmt auch etwas anderes. Und ein bisschen Pause fände ich auch okay, um zu gucken, wo ich hin will. Ich habe Informatik immer gerne gemocht, weil ich Dinge automatisieren kann und anderen Menschen damit helfe Zeit zu sparen. Bei Twitter, also generell bei Social Media, geht es aber darum, Leuten Zeit wegzunehmen und sie zu monetarisieren.
Warum möchtest du nur anonym mit mir sprechen?
Eine Kollegin machte schon schlechte Erfahrungen mit der Öffentlichkeit auf Twitter, als sie persönlich als kritische Ex-Mitarbeiterin identifizierbar war.
Was war dein Job bei Twitter?
Ich habe dort vor einem Jahr als Web-entwickler angefangen und dann die Leitung vom Communities Webteam übernommen. Der Communities-Bereich ist etwas Ähnliches wie Facebook-Gruppen, effektiv ein Twitter innerhalb von Twitter. Dafür haben wir direkt mit Early Adopters über ihre Wünsche gesprochen. Außerdem habe ich ziemlich viel Code Reviews gemacht.
Das bedeutet, du hast Codes untersucht, die andere Kolleg*innen entwickelt haben?
Ja, weil jeder entwickelte Code von jemandem geprüft werden muss, bevor er online geht. Es geht da beispielsweise um einen Code, der den Adminstratoren von Communities ermöglicht, eine ihrer Communities auf ihrem Profil hervorzuheben, zu highlighten, wie das bei uns heißt. Dann schauen ihn sich andere Leute an und segnen ihn ab – oder korrigieren. Außerdem benutzen wir im Code immer bestimmte Patterns, das sind wiederkehrende Motive wie in der Musik. Manche Codes halten sich nicht an diese Motive und es entstehen Disharmonien. Beim Code Review geht es darum, all diese Fehler zu erkennen. Denn wenn der Code online geht, dann läuft er in vielen Millionen Browser-Tabs. Dafür braucht es diese große Sicherheit, dass er fehlerfrei ist.
Tom*
29, lebt in der Nähe von Frankfurt. Als Entwickler hat er in Deutschland, den USA und Großbritannien gearbeitet. Er ist Vorsitzender des Wahlvorstandes für die Betriebsratswahl
Trotz dieses Sicherheitsjobs wurdest du entlassen. Wie lief das ab?
Direkt nach der Übernahme von Twitter durch Musk gab es schon Gerüchte, dass er noch am Wochenende vor dem 1. November Leute entlassen will. Als am 1. November noch niemand entlassen war, dachte ich: Okay, vielleicht ist doch alles nicht so schlimm. Dann kamen neue Gerüchte, ein neuer Entlassungstag: Freitag. Aber wir arbeiten weltweit und mit Zeitverschiebungen, also Freitag wann? In der Nacht auf Freitag wurde ich plötzlich aus unserem Chat-Programm rausgeworfen und konnte nicht mehr mit meinem Team kommunizieren. Bis zum Wochenende wollte ich noch ein neues Feature fertigstellen, für das noch etwas Absprache zwischen Frontend und Backend nötig war. Klar, das war ein schlechtes Zeichen, aber offiziell hatte ich keine E-Mail, keine Info erhalten.
Was hast du dann gemacht?
Ich habe mich ins Bett gelegt und versucht zu schlafen. In der Früh habe ich dann eine Nachricht von Twitter bekommen, dass meine Position vielleicht von den Kündigungen betroffen sein könnte und ich deswegen schon mal aus Sicherheitsgründen aus dem System ausgesperrt worden bin. Aber so ein „vielleicht“ und „könnte“ ist auch noch keine Kündigung. Gleichzeitig berichteten die Medien schon über die angekündigten Entlassungen, und meine Mutter machte sich die ganze Zeit Sorgen. In den Medien hieß es, dass die Kündigungs-Mails um 17 Uhr rausgehen sollten. Stattdessen habe ich mit anderen, die in Deutschland wohnen, Kommunikationskanäle über Whatsapp und SMS aufgebaut, um herauszufinden, wer noch gefährdet ist, wer gerade auch keinen Zugang mehr hat. Die schriftliche Kündigung zum 31. Dezember lag erst Mitte November bei mir im Briefkasten. Es stand aber keine Begründung drin. Es wurde mir zu dem Zeitpunkt auch keine Abfindung angeboten.
Elon Musk hatte gesagt, dass die Leute eine Abfindung bekommen sollen.
So steht es auch im Kaufvertrag.
Hattest du schon bei der Übernahme durch Musk mit der Kündigung gerechnet?
Ich war schon sehr überrascht. Und ich war genervt. Man hätte auch einfach mal mit mir reden können. Mein persönlicher Vorgesetzter war auch sehr überrascht, dass ich gekündigt wurde, weil ich sehr gute Arbeit gemacht habe. Ich fühle mich persönlich durch den Prozess angegriffen. Natürlich ist das auch ein Grund, warum ich mich jetzt so engagiere. Ich finde es einfach unmöglich, sich so zu benehmen. So mit Mitarbeitern umzugehen, das mag vielleicht in Amerika kulturell akzeptiert werden. Aber in Deutschland nicht. Wir geben nicht einfach unsere Rechte auf. Deswegen ist es mir wichtig, zu kämpfen.
Ihr kämpft jetzt mit der Gewerkschaft verdi, wollt gegen die Kündigungen vorgehen und einen Betriebsrat wählen. Bekommst du dabei auch Unterstützung von deinem Umfeld?
Absolut. Ich bin das älteste von sieben Kindern und wohne und arbeite in meiner eigenen Einliegerwohnung im Haus der Oma. Ich habe lokalen sozialen Rückhalt. Ich sitze jetzt also nicht allein zu Hause ohne soziales Umfeld und habe allen Kontakt zur Außenwelt verloren. Mein Opa hat Bücher über die Gewerkschaftsgeschichte geschrieben. Leider bekommt er diese Episode jetzt nicht mehr mit, sonst würde er darüber sicher auch schreiben. Aber auch mein Vater war in der Arbeiterbewegung engagiert und unterstützt mich sehr. Ich habe durch meine Familie eine Perspektive auf Gewerkschaften, die viele meiner Kollegen nicht haben.
Wie viele Kolleg*innen hattest du in deinem Team?
Etwa 50 Leute, an unterschiedlichen Orten weltweit. Deswegen hätte es zum Beispiel auch nichts gebracht, wenn ich hier in Deutschland in ein Büro gegangen wäre, wie es Elon Musk fordert. Dort wäre ohnehin keiner gewesen, mit dem ich zusammengearbeitet habe.
Weißt du, wie vielen Mitarbeiter*innen in Deutschland gekündigt wurde?
Ich gehe momentan von etwa 30 Leuten aus, aber ich weiß es nicht genau, weil wir kein gemeinsames Büro haben und keine Liste mit Namen. Auch hier könnte ein Betriebsrat helfen. Allein schon dadurch, dass Twitter eine Liste bereitstellen muss, wer alles wahlberechtigt ist.
Inzwischen habt ihr einen Wahlvorstand für die Betriebsratswahl. Aber noch immer keine Liste von Wahlberechtigten. Wie geht es nun weiter?
Der Wahlvorstand hat Twitter eine erneute Frist gesetzt, diese Liste zur Verfügung zu stellen. Falls die nicht eingehalten wird, müssten wir gerichtliche Schritte einleiten.
Warum hattet ihr bisher keinen Betriebsrat?
Wie geht der alte Spruch? Es gibt zwei gute Tage einer Gewerkschaft beizutreten: vor 20 Jahren und heute. Dass wir nicht wissen, wer in Deutschland für Twitter arbeitet, ist ein Grund für die späte Gründung des Betriebsrats. Ein anderer ist die Sprache. Als ich anfing, Kollegen zu kontaktieren, um etwas zu unternehmen, habe ich gemerkt, dass ich in diesem Kreis einer der Wenigen war, die Deutsch konnten. Auf Englisch das deutsche Kündigungsschutzrecht erklären, das ich selbst nur laienhaft kenne, war schwierig. Die Mitarbeiter, die hier her gezogen waren, hatten meistens auch keine Ahnung, was ein deutscher Betriebsrat überhaupt ist, und deswegen auch keinen gegründet. Das ist auch eine Frage von Aufklärung. Deswegen ist es so spannend, diesen Prozess jetzt bei Twitter zu machen, damit wir noch mehr Mitarbeitern in Tech-Unternehmen zeigen, dass das auch in unserer Branche geht. So wie schon die Mitarbeiter von TikTok, die im Oktober einen Betriebsrat gegründet haben.
Willst du zurück zu Twitter?
Ja. Ich wüsste sehr gerne, wie es ist, unter der neuen Führung von Musk zu arbeiten. Bisher war es wirklich ein geiles Arbeitsumfeld. Ich mochte die Kollaboration, dass wir nicht einfach Aufgaben bekommen haben, die wir dumpf abarbeiten mussten, sondern dass wir uns gemeinsam überlegt haben, was wir wie umsetzen wollen. Aber ich weiß, dass ich da an einer inzwischen alten, aber in meinen Augen sehr guten Arbeitskultur hänge.
Solltest du zu Twitter zurückgehen können, wird es überhaupt noch existieren? Es häufen sich ja Prophezeiungen, dass die Plattform ohne ihre Mitarbeiter*innen zusammenbricht
Das möchte ich nicht einschätzen. Twitter besteht aus unterschiedlichen Ebenen. Die technische ist nicht so konstruiert, dass sie beim ersten Windstoß zusammenbrechen könnte. Aber es gibt natürlich auch eine menschliche Ebene.
*Name von der Redaktion geändert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Energiewende in Deutschland
Erneuerbare erreichen Rekord-Anteil
Lateinamerika und Syrien
Assads Freunde
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse