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Ex-Schulleiterin zu Missbrauch"Ich habe nichts vertuscht"

Enja Riegel, Ex-Schulleiterin der reformpädagogischen Helene-Lange-Schule, streitet vehement ab, einen pädophilen Lehrer an ihrer Schule gedeckt zu haben.

Schülerinnen und Schüler der reformpädagogischen Helene-Lange-Schule in Wiesbaden. Bild: ap
Interview von Christian Füller

taz: Frau Riegel, jahrelang waren Sie "every teachers darling". Jetzt stehen Sie unter Verdacht, einen pädophilen Lehrer gedeckt zu haben. Haben Sie das getan?

Enja Riegel: Nein, ich habe ihn nicht gedeckt. Als 1989 herauskam, dass der Kunstlehrer Hajo Weber Jungen sexuell missbraucht hat, habe ich ihn sofort aus der Schule genommen. Ich habe versucht, ihm keinerlei Zugang zu Schülern mehr zu gewähren. Heute weiß ich: Es hat nicht gereicht.

Was heißt, Sie haben alles getan? Weber durfte weiter unterrichten, er fuhr sogar mit auf Klassenfahrten.

ENJA RIEGEL

70, war von 1986 bis 2003 Leiterin der reformpädagogischen Helene-Lange-Schule in Wiesbaden. Jetzt steht die Pädagogin im Verdacht, einen pädophilen Lehrer an ihrer Schule gedeckt zu haben.

Das ist falsch. Ich habe Hajo Weber sofort beurlaubt und alle Gremien, die Eltern und den Schulrat informiert. Innerhalb von 10 Tagen waren 1.000 Menschen damit befasst.

Die Frage war: Hat Weber weiter unterrichtet?

Nein, hat er nicht. Er wurde abgeordnet ans Hessische Institut für Lehrerfortbildung und kam in dieser Funktion zu ausgewählten Terminen an die Schule - zur Fortbildung, nicht in den Unterricht. Weber fuhr auch nicht mit auf Klassenfahrt. Er wurde ein einziges Mal nach seinen Missbräuchen für einen Tag an die Nordsee geschickt, um eine Wattwanderung fotografisch zu dokumentieren. Er schlief im Hotel, nicht bei der Klasse.

Entschiedene Aufklärung sieht anders aus.

Heute weiß ich das auch. Damals habe ich einen Fehler begangen.

Welchen?

Ich habe hingenommen, dass Weber mit der Schule in Berührung blieb. Heute würde ich sagen: Hajo, tut mir leid, Sie mögen ein guter Lehrer sein, aber das ist mit Ihrer Neigung nicht zu vereinbaren. Sie kommen nicht mehr über die Schwelle dieser Schule.

Warum sind Sie nicht schon damals auf die Idee gekommen?

Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens war das nicht meine Entscheidung, sondern die der Schulbehörde. Ich hatte nicht die Möglichkeit, jemanden zu entlassen, das konnte nur die Schulaufsicht. Die hatte entschieden, dass Weber in die Lehrerbildung geht. Ich hätte mich trotzdem dagegen zur Wehr setzen sollen.

Und der zweite Grund, mit dem pädophilen Lehrer nicht gebrochen zu haben?

Es war eine andere Zeit damals. Wir waren alle, auch ich, zu naiv und zu schlecht informiert darüber, was Pädophilie bedeutet und wie ein Pädophiler vorgeht. Ich dachte, das ist eine Spielart der Homosexualität und sie ist heilbar. Heute sind wir alle klüger. Hajo Weber musste damals sogar eine Therapie machen, das hat mich in Sicherheit gewiegt. Nur: Therapie mag wichtig sein, aber es ändert nichts daran, dass ein Pädophiler auf keinen Fall Lehrer sein darf.

Warum haben Sie dann mit Hajo Weber noch ein Buch gemacht? Und zugleich mit Gerold Becker, dem pädophilen Schulleiter aus dem Odenwald?

Hajo Weber war ein anerkannter, guter Fotograf. Ich wollte ihn nicht vernichten. Hajo Weber war nach den Vorfällen ein gebrochener Mann. Aus einem wirklich guten Lehrer, der die Schule mit aufgebaut hatte, war plötzlich ein Geächteter geworden. Jetzt erscheint er allen als ein Monster, dem man an der Nasenspitze ansieht, dass es Kinder missbraucht. Aber das ist ein falsches Bild. Er war ein wahnsinnig netter Mensch, er konnte unglaublich gut mit Kindern umgehen. Das ist ja die Gefahr. Wir müssen verstehen, dass Pädophile charismatische und gefühlvolle Menschen und Lehrer sein können und dennoch Verbrechen begehen. Die Öffentlichkeit macht es sich damit viel zu leicht.

Und Gerold Becker? Warum mit ihm das Buch?

Im Jahr 1997 wusste ich nicht, dass er pädophil war, das kam erst 1998, 1999 heraus.

Aber auch mit ihm haben Sie weiter zusammengearbeitet.

Ich habe ihn gefragt: Gerold, was ist da dran? Er hat mir versichert, dass er kein Kind beschämen oder ihm etwas zu Leide tun könne.

Was kann man aus diesen Geschichten lernen?

Wir müssen Kinder noch besser aufklären darüber, dass auch ein netter Mensch etwas Böses im Schilde führen kann. Schüler brauchen einen Ansprechpartner in der Schule, dem sie sich vorbehaltlos anvertrauen können. Und die Institutionen, besonders die Schulen, müssen alle Naivität im Umgang mit Pädophilie ablegen.

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3 Kommentare

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  • FC
    Fistian Chrüller

    "Entschiedene Aufklärung sieht anders aus."

     

    Na wie denn? Fragen stellen ist einfach, Angebote zu machen, das lässt man lieber. Welche Aufklärung ist betrieben worden: Die Schulleiterin hat es ihrer vorgesetzten Stelle gemeldet; Hätte sie eine Anzeige stellen MÜSSEN? Man weiß, dass viele Eltern dies nicht wünschen. Es ist ihr Recht. Oder wäre eine richtige Aufklärung gewesen, als Schüler des Lehrers, der Schule seit seinem Schulbesuch anzuschreiben, zu befragen?

     

    Dann das Handeln jenseits der Aufklärung.

    Die Schulleiterin hat dafür gesorgt, dass der Lehrer nicht mehr in der Schule unterrichtet. Sie hat menschelich einen nirgendwo gewürdigten Schritt vollzogen, zu sagen: "Das, was du gemacht hast ist falsch, deshalb darfst du auch dies und jenes nicht mehr machen". ABER sie hat einen fehlbaren Menschen nicht fallen lassen.

     

    Dass sie dabei einen Fehler gemacht hat, sagt sie doch: Kein Schritt über die Schwelle der Schule, wäre die richtige Lösung gewesen. Jedoch: Sucht man nicht ein Opfer, wenn man nun die Schulleiterin angreift, keinen der Lehrer, keinen der Eltern, keine Schulaufsicht, keine Presse?

    Wenn man so vorgeht, worum geht es dann? Um einen Angriff auf eine ungeliebte Person, gar eine Schule oder eine Bewegung der Schulveränderung? Oder geht es tatsächlich um Aufklärung?

     

     

    Welche Maßstäne werden angelegt?

    Nun ist sie - obwohl ausgewiesene Expertin ihres Fachs - ihr Amt beim deutschen Schulpreis los (geworden?). Man überlege einmal: Ein hessischer Ministerpräsident belügt die Menschheit, bleibt im Amt. Hier wird ein Fehler eingeräumt, der im Ausmaß sicher nicht vergleichbar ist (und das ist NICHT zynisch gegenüber den Opfern), und was passiert? Aufgrund irgendwelcher Interessen oder aktueller Stimmungslagen muss die Frau gehen. Nennt man dies Bauernopfer?

  • M
    Martin

    Ein klares Bild einer Frau, die nicht zugeben kann, dass sie gefehlt hat. Man nichts gewusst, damals war es anders, usw. Es ist beschaemend, dass nicht klar nachgefragt wurde. Wenn es nicht Frau Riegel waer sondern Herr Mixa waere der Ton sicher anders gewesen.

    http://www.faz.net/s/Rub594835B672714A1DB1A121534F010EE1/Doc~E69845756CC2E477BAF2B64C0FC038AB7~ATpl~Ecommon~Scontent.html

  • SB
    S. Bors

    Hier wird unterstellt, die Schulleiterin habe sich unprofessionell verhalten - wobei sie scheinbar mit dem Einschalten des Schulamtes die wichtigen Schritte getan hat. Es scheint mir, als käme dieser Vorfall - welcher ohne Frage äußerst verurteilenswert ist - speziell bei der "Reformschule" recht, um selbige anzuprangern. Störend sind die unterschwelligen Andeutungen, man habe mehr gewusst und sich nicht richtig verhalten. Statt freier Berichterstattung werden Unterstellungen gemacht und von vorneherein ein Täterkomplott unterstellt.

    Statt das Problem im Kern anzugehen wird ein Klischee bedient. Sind wir hier bei der Taz oder Bild?