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Ex-Ministerin über Entwicklungshilfe„Wo bleibt der Aufschrei?“

Die ehemalige SPD-Bundesentwicklungsministerin Wieczorek-Zeul über weltweit sinkende Gelder für Entwicklungshilfe und die Verantwortung der reichen Länder.

Vom Klimawandel ist vor allem der globale Süden betroffen: überschwemmter Mangrovenwald in Indien. Bild: ap
Interview von Gordon Repinski

taz: Frau Wieczorek-Zeul, laut OECD gehen die Mittel für Entwicklungszusammenarbeit erstmals seit Langem zurück. Ist Entwicklungshilfe out?

Heidemarie Wieczorek-Zeul: Das wäre eine Katastrophe. Ich frage mich allerdings, wo der Aufschrei bleibt. Die Millenniumsziele, nach denen die weltweite Armut bis 2015 halbiert werden soll, können so niemals erreicht werden.

Aus den Industrieländern ist oft zu hören: Die Finanzkrise ist schuld.

Die Finanzkrise ist in den Industrieländern entstanden. Aber die Ärmsten in den Entwicklungsländern waren die Opfer. Die Exportchancen haben sich reduziert, die Überweisungen von Migrantinnen und Migranten in die Heimatländer haben sich verlangsamt. Die Zahl der weltweit Hungernden stieg zum ersten Mal seit Jahren über eine Milliarde Menschen.

In manchen Bereichen ist die Armut spürbar gesunken.

Das ist ein wichtiger Erfolg. Aber die OECD weist auch darauf hin, dass verringerte Entwicklungszusammenarbeit sich erst langsam auf die Reduzierung von Bildungs- und Gesundheitsausgaben der Entwicklungsländer auswirkt.

Bild: ap
Im Interview: HEIDEMARIE WIECZOREK-ZEUL

69, war von 1998 bis 2009 Bundesentwicklungsministerin. Die SPD-Politikerin ist am Samstag, 14. April 2012, Gast beim taz-Kongress „Das gute Leben“ in Berlin.

Der Entwicklungsetat von Minister Niebel hat einen Rekordstand erreicht.

Deutschland liegt bei seinen prozentualen Leistungen von 15 EU-Mitgliedstaaten an zehnter Stelle. Die Wahrheit ist doch: Statt zu den finanziellen Zusagen der Industrieländer zu stehen, werden diese einfach kassiert. Und mit der Austeritätspolitik, der sich gerade die Bundesregierung und in ihrem Gefolge die Europäische Union verschrieben haben, wird die Krise des Nordens erneut auf die Ärmsten abgewälzt. Ich finde das zynisch und unerträglich.

Sind die Sparziele grundsätzlich falsch?

Notwendig ist eine globale Wachstumsstrategie, denn aus der Krise spart sich niemand heraus. Und bei der Entwicklungszusammenarbeit zu kürzen ist das Dümmste und Kurzsichtigste.

Bald steht die Klimakonferenz Rio+20 an. Ist ein Umdenken zu erwarten?

Wenn nicht, frage ich mich, wie die Bundesregierung den ärmsten Entwicklungsländern gegenüber auftreten will. Denn um den Klimawandel zu bremsen, brauchen die armen Länder mehr Finanzmittel für den Umbau ihrer Energieversorgung hin zu erneuerbaren Energien und nicht weniger. Wer derart gravierende globale Entwicklungstrends einfach laufen lässt, der darf sich nicht wundern, wenn weder Klimagerechtigkeit noch nachhaltige Entwicklung eine Chance erhalten. Dafür werden aber in Jahren und Jahrzehnten die Wellen der weltweiten Entwicklung massive Krisen, Katastrophen, ja Kriege bewirken.

Was muss Ihrer Meinung nach passieren?

Von den Regierungen, wie sie jetzt scheinbar Krisen bewältigen, ist nicht Gutes zu erwarten. Es wird Zeit, dass die internationale Zivilgesellschaft aufschreit und Druck macht.

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10 Kommentare

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  • R
    Renegade

    @Karl: In der Tat ein Meilenstein der Bildunterschriften :D Vielleicht kommt ja bald "Dürre in der Sahara"

     

    Wie dem auch sei, wenn solche Leute ohne Ahnung wie Frau WZ Entwicklungsministerien leiten, ist es kein Wunder, dass nichts bei rauskommt. Ich frage mich, ob sie schonmal darüber nachgedacht hat, dass die Milliarden, die jahrzehntelang in die Entwicklungsländer gepumpt wurden, verhältnismäßig wenig bewirkt haben und, wie immer mehr auch afrikanische Wissenschaftler in ihrer Forschung feststellen, häufig auch negative Effekte hat (Abhängigkeit, Konzentration auf politische Aktivitäten um Geld zu bekommen, anstatt wirtschaftlich aktiv zu werden, etc.).

     

    Es gibt viele Möglichkeiten, wie auch der Westen den ärmeren Ländern in ihrer Entwicklung und sich selbst helfen könnte, bspw. Protektionismus beenden und Agrarsubventionen streichen, aufhören, aus geopolitischen Überlegungen heraus immer wieder Chaos anzurichten, ein vernünftiges monetäres System schaffen, etc. Da dies aber den Interessen diverser Lobbygruppen und Politiker zuwider ist, und da man natürlich ein so wichtiges Ministerium wie das für Entwicklung braucht, um seine Parteifreunde irgendwie mit Posten und Geld zu versorgen, werden wir uns wahrscheinlich nichtsdestotrotz auch noch auf Jahre solch unsägliches Gebabbel anhören müssen.

  • VS
    Volker Seitz

    Die Entwicklungshilfe-Lobby befeuert mit Verve immer wieder diese Diskussion, denn weltweit leben etwa 800000 Menschen von der Entwicklungshilfe. Die Geberstaaten sind vor 40 Jahren bei den Vereinten Nationen eine Selbstverpflichtung eingegangen. 0,7 Prozent am Bruttonationaleinkommen sollte der Anteil der öffentlichen Ausgaben für Entwicklungshilfe betragen. Seitdem gelten diese 0,7 % als magische Zahl für erfolgreiche Hilfe.

    Das schlimmste an der Diskussion: Sie konzentriert sich auf finanzielle Größen - und leistet dem verheerenden Denken Vorschub, mehr Geld bringe mehr, mehr Geld bedeute mehr Entwicklung. Die Erfahrungen der letzten Jahrzehnte, dass sich Entwicklung von außen nicht steuern lässt, werden nicht zur Kenntnis genommen. Es gibt keine überzeugenden Argumente für immer mehr Geld wenn die Impulse für Entwicklung nicht aus dem Land selbst kommen. Volker Seitz, Autor "Afrika wird armregiert"

  • H
    Haiti

    Der Aufschrei wird ausbleiben. Genauso wie unter Rot/Grün und Schwarz/Rot als die ehemalige SPD-Bundesentwicklungsministerin Wieczorek-Zeul sich weigerte, Haiti weiter zu untersützen. Zynisch und unerträglich: diese Entscheidung wurde nicht mal unter dem Vorwand eines Austeritätsprogramms getroffen.

  • M
    Mika

    Entwicklungshilfe sollte generell abgeschafft werden. Sollen doch die Gutmenschen spenden.

  • K
    Karl

    TIP:

     

    Vor dem Erstellen von Bildunterschriften NACHDENKEN!

     

    Mangroven siedeln immer in Überflutungsräumen, denn genau daran sind diese angepasst!

     

    Glück auf!

     

    Karl

  • A
    AAAAAAAAAH

    Rote Heidi, die Auskennerin. Die "Entwicklungshilfe" und Leute wie Heidi verursachen jede Menge Armut und Stillstand. Hauptsache sie fühlen sich bis zum Tod endlos gerecht. Und im Recht. Rechthaben ist überhaupt das Wichtigste. Ich habe jedenfalls keine Lust mehr irgendwelchen Diktatoren die Mercedese für die Sippe oder den chinesischen Diktatoren ihre Diktatur zu subventionieren. Da nützen auch schöne Namen wie "Entwicklungshilfe" nichts.

  • D
    D.J.

    Die Zahl der weltweit Hungernden steigen nach ihrer Aussage erstmals seit Jahren auf über eine Milliarde? Wie bekomme ich das damit zusammen:

     

    http://www.merkur-online.de/nachrichten/politik/zahl-hungernden-sinkt-917691.html

     

    Auf jeden Fall aber sinkt die relative Anzahl der Hungernden. Falscher Alarmismus stößt eher ab; ich würde mich eher aufgefordert fühlen, im Rahmen meiner Möglichkeiten etwas zu tun, wenn es hieße: Es ist viel geschehen, aber da und dort gibt es aus diesen und jenen Gründen Defizite - für mich ehrlicher als das ewige "Es-wird-alles-schlimmer".

  • M
    MattF

    Vielleicht sollte erstmal ein Aufschrei entstehen zur Frage wie sinnhaftig ist eigentlich Entwicklungshilfe. Geld in irgendwelche armen Länder zu pumpen ist noch lange nicht sinnvoll egal wieviel.

     

    Was man eigentlich bräuchte wäre eine völlig neue Strategie, wobei halt immer die Frage ist ob diese neuen Besen dann besser kehren. Skepsis ist das sicher angebracht.

     

    Solange die Weltordnung ist wie sie Heute ist, dass die Reihen egal ob national oder international immer Reicher werden und die Armen sowieso keine Chance haben aufzuholen solange, wird das eh nie was werden mit einer gerechten überall entwickelten Welt (mal abgesehen von der Frage ob man das überhaupt braucht).

     

    Wenn die Reichen Nationen mit 3 % im Jahr wachsen, müssten die Armen um irgendwann auch mal in die Nähe der Reichen zu kommen mit mehr % wachsen. Das Gegenteil ist aber der Fall. GEnauso wie die Einkommen der Arbeitnehmer weniger wachsen wie die Kapitaleinkommen, wachsen die BIBs der Armen Länder weniger als die der Reichen, das kann sich niemals ausgehen. Und da hilft auch eine Verdopplung der Entwicklungshilfe nichts, die zum großen Teil in die Tascen der örtlichen Eliten und in die westlicher Firmen fließen die die Analgen liefern die mit dem Geld gekauft werden. Für die Reichen eine win-win Situation für die Armen eine loose loose.

  • EA
    Enzo Aduro

    Entricklungshilfe hat leider auch folgende zwei Ziele

     

    * Beschäftigung des Entwicklungshilfepersonals

     

    * illegitimer politischer Einfluss in anderen Ländern.

  • S
    segler

    Wirklich höchst interessant, was die Dame und Ministerin a.D. so absondert, insbes. dieser Satz ist lustig: "Notwendig ist eine globale Wachstumsstrategie [...]"

     

    Dumm nur, dass SPD und Grüne gerade überall im Lande erzählen, dass Wachstum was ganz, ganz Böses ist, das man am besten verhindern sollte. Unpraktisch, wenn man/frau nicht in der Lage ist, die Pressemitteilungen der eigenen Leute zu lesen. Aber die Fähigkeiten kann sie ja noch entwickeln, damit hat sie ja Erfahrung.

     

    Und sonst? Außer lauwarmen Ankündigungen ist unter Frau WZ nix passiert. Aber pressetauglich irgendwas ankündigen ist ja viel schöner, als tatsächlich selbst mal was umzusetzen.