Ex-Militanter Baumann über Kurras: "Dann hätte ein anderer geschossen"
Die Geschichte wäre nicht anders verlaufen, wenn die Stasi-Tätigkeit die Ohnesorg-Todesschützen Kurras gleich bekannt geworden wäre, sagt der Ex-Militante "Bommi" Baumann.
taz: Herr Baumann, der Polizist Karl-Heinz Kurras, der Todesschütze vom 2. Juni 1967, hat für die Stasi gearbeitet. Hätte es die Bewegung 2. Juni gegeben, wenn das gleich bekannt geworden wäre?
Bommi Baumann: Das ist natürlich eine gespenstische Geschichte. Aber dass ausgerechnet Karl-Heinz Kurras bei der Stasi war, ist nur ein Zufall. Denn Kurras war ja nicht allein. Er ist der klassische autoritätsfixierte, aggressive Spießer. Uns ging es darum, dass solche Leute nicht mehr das Sagen haben.
Immerhin war bis dahin nicht geschossen worden.
Wenn nicht Kurras geschossen hätte, wäre es jemand anderes gewesen. Denn es gab die Hetze der Springer-Presse, es herrschte allgemein ein aggressives Klima, insbesondere im vom Kalten Krieg bestimmten Westberlin. Die Polizeiaggression hatten wir damals permanent - nur bei der Beerdigung von Benno Ohnesorg war keine Polizei zu sehen. Und es war nicht nur die Polizei. Ich habe damals über dem Berliner SDS-Zentrum gewohnt, und wir mussten das nachts immer wieder verteidigen, weil es von irgendwelchen Spießern angegriffen wurde.
In konservativen Zeitungen heißt es jetzt, die Radikalisierung der Studenten wäre ausgeblieben.
Natürlich hätte es die radikale Politisierung gegeben. Die war doch zu diesem Zeitpunkt längst da, sonst wäre es doch gar nicht zu den Protesten gegen den Schah-Besuch gekommen, sonst wäre ein Betonbauer wie ich nicht zu solchen Protesten gegangen. Wenn die Stasi-Verwicklung von Kurras gleich bekannt geworden wäre, hätte sich höchstens der Anarchoflügel innerhalb der radikalen Linken durchgesetzt. Wir waren ja die Neue Linke, wir haben beide Systeme, den Westen wie den Osten, abgelehnt.
Ralf Reinders, ebenfalls früher bei der Bewegung 2. Juni, hat einmal gesagt: "Mit diesem Datum im Namen wird immer darauf hingewiesen, daß sie zuerst geschossen haben." Müssen Sie diesen Satz heute korrigieren?
Warum sollte ich? Was uns damals noch mehr verbittert hat als die Schüsse, war der Freispruch, den der Mann gekriegt hat. Der deutsche Staat diese Gerichtsfarce inszeniert, die Polizeigewerkschaft hat 60.000 D-Mark für seine Verteidigung gesammelt, der Polizeiapparat stand voll hinter Kurras. Darum schreien jetzt alle, dass er wieder vor Gericht soll, weil sie sich hintergegangen fühlen. Denn den Freispruch hätte er wahrscheinlich nicht gekriegt, wenn man gewusst hätte, dass er ein Stasi-Mann war.
Dann von der anderen Seite: Kurras wäre also nicht unterstützt und freigesprochen worden. Hätte es sich nicht auch sonst auf die Stimmung ausgewirkt, wenn Kurras' Stasi-Tätigkeit bekannt gewesen wäre?
Wann hätte es denn herauskommen sollen?
Zum Beispiel zwischen dem 2. Juni 1967 und dem 11. April 1968, als auf Rudi Dutschke geschossen wurde.
Vielleicht wäre einiges leicht anders gewesen. Die Springer-Presse hätte unmöglich einen Stasi-Mann decken können. Vielleicht wäre die Aggression leicht zurückgefahren worden. Eine andere Frage ist: Warum ist das damals nicht rausgekommen, dass Kurras für die Stasi gearbeitet hat? Der Mann hat 300, 400 D-Mark für Munition verbraucht, das war damals eine Menge Geld. Das hätte auffallen müssen.
Sie kamen selbst mit Stasi in Kontakt, als Sie nach Ihrem Ausstieg aus der Bewegung 2. Juni an der innerdeutschen Grenze verhaftet wurden, und haben umfangreich über die Mitglieder des bewaffneten Untergrunds berichtet. Warum?
Sonst hätten die mich an den Westen ausgeliefert. Übrigens: Bei meiner Verhaftung habe ich gesehen, dass es in der Führung der westdeutschen politischen Polizei sicher Stasi-Leute gab. Keine 24 Stunden nach meiner Verhaftung hatten die meine Polizeiakte aus Westberlin.
Andere Mitglieder des 2. Juni haben später direkt für die Stasi gearbeitet. Wie finden Sie es, dass Ihre früheren Genossen für denselben Verein tätig waren wie Kurras?
Ich würde auch heute noch sagen: Nach dem Faschismus war die Gründung der DDR richtig, die Entwicklung war falsch. Ansonsten: Die Leute wussten ja auch nicht von der Sache mit Kurras, und dass jemand im Kalten Krieg für das sozialistische Lager war, halte ich für legitim. Und dass man im Kalten Krieg wechselnde Bündnisse hatte - okay.
Wie finden Sie die heutige Diskussion?
Ich halte das für hinrissig, dass die Stasi die Schüsse in Auftrag gegeben haben soll. Und ich glaube, dass manche Leute nachträglich versuchen, alle Fehler der BRD an dieser einen Figur festzumachen und alle Schuld auf die Stasi und die DDR abzuwälzen. Das ist doch Blödsinn. Bei den Osterunruhen 1968, nach den Schüssen auf Rudi Dutschke, wurden in München zwei Menschen getötet, von denen spricht heute niemand mehr.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Interner Zwist bei Springer
Musk spaltet die „Welt“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Nach dem Anschlag von Magdeburg
Wenn Warnungen verhallen
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr