Ex-Midnight-Oil-Umweltminister Garrett: "Wir sind verwundbar"
Früher sang er bei Midnight Oil - heute ist er Umweltminister Australiens. Peter Garrett über Europas Sorglosigkeit, den "Aussterbegürtel" seiner Heimat - und das Taschengeld seiner Töchter.
taz: Herr Garrett, Sie waren einer der erfolgreichsten Rockmusiker der Welt. Jetzt sind Sie Politiker. Warum?
Peter Garrett: Mit Midnight Oil habe ich nach 30 Jahren als Rockmusiker praktisch alles erreicht, was im Showbusiness erreichbar ist. Politisches Engagement war immer ein Teil unserer Musik - und dann ergab sich die Möglichkeit, sich an entscheidender Stelle selbst direkt in die Politik einzumischen. Die habe ich genutzt.
Die politischen Texte von Midnight Oil haben Millionen Menschen geprägt. Glauben Sie, als Politiker mehr Einfluss ausüben zu können?
Ich hatte nie die Illusion, dass Musik die Welt verändert. Musik ist ein Soundtrack für bestimmte Zeiten, für politische Themen. Als Band haben wir das immer bewiesen. Aber es sind eben Regierungen, die das Leben von Menschen oder die Richtung von Ländern direkt beeinflussen.
Ihre Songs enthielten drastische Bilder und radikale Forderungen. Als Umweltminister müssen Sie Diplomat sein. Verändert das Ihr Bewusstsein?
Die Leute sind geradezu vernarrt in die Idee, dass man seine Ideale aufgeben müsse, wenn man in die Politik wechselt. Das ist nicht der Fall. Man setzt sie dort nur anders um. Ich akzeptiere, dass es im Parlament Fälle gibt, in denen man die Mehrheit nicht von seinen eigenen Ansichten überzeugen kann. Aber das heißt doch nicht, dass man seine Überzeugungen aufgibt!
Einstige Weggefährten werfen Ihnen genau das vor. Etwa wegen Tasmanien. Dort will ein Unternehmen eine riesige Papierfabrik bauen und den Regenwald abholzen. Früher protestierten Sie dagegen, als Umweltminister erteilen Sie heute die Genehmigung zur Waldrodung.
Tasmanien ist zugegebenermaßen ein riesiges öffentliches Thema, die Zeitungen waren voll davon. Aber die prinzipielle Entscheidung für das Unternehmen hat die vorherige Regierung getroffen. Das müssen wir akzeptieren. Solange diese Entscheidungen keine deutliche Beeinträchtigung von nationalen Umweltzielen darstellen, haben wir als Zentralregierung nicht die Möglichkeiten, daran etwas zu ändern.
Wieso nicht?
Wir sind als Bundesregierung gegenüber dem Bundesstaat Tasmanien nur für "übergeordnete Angelegenheiten" zuständig, also etwa den Schutz bedrohter Arten. Mein Vorgänger wurde sehr für die Genehmigung der Papiermühle kritisiert. Eine Kommission empfahl 48 Bedingungen für sie - und ich werde dafür sorgen, dass deren Einhaltung sehr streng kontrolliert wird. Ich verstehe vollkommen das große Maß an Betroffenheit bei der Bevölkerung vor Ort. Aber ganz sicher ist die Papiermühle nicht das wichtigste umweltpolitische Thema Australiens.
Sondern?
Der Klimawandel mit allen seinen Folgen. Die Wasserknappheit und die steigenden Temperaturen haben in Australien ein Gebiet hervorgebracht, das wir "Aussterbegürtel" nennen - einen Landstreifen von Queensland bis nach Westen. Dort hatten wir vor Jahrzehnten noch intensive Landwirtschaft. Im vorletzten Sommer gab es Wasserrationierungen in den meisten unserer größeren Städte! Für Europäer ist möglicherweise schwer vorstellbar, dass ein entwickeltes Industrieland so verwundbar sein kann. Das Bewusstsein in Sachen Klimawandel bei uns ist größer als je zuvor, das quält die Australier wirklich.
Im Wahlkampf hat Labor-Chef Kevin Rudd Sie im Schattenkabinett als Minister für Umwelt und Klima aufgestellt. Jetzt sind Sie Minister für Umwelt, Kulturerbe und Kunst - und Penny Wong ist Klimaministerin. Sind Sie enttäuscht?
Der Premierminister war davon überzeugt, dass die Klimapolitik einen größeren Einfluss auf die Gesamtpolitik bekommen muss. Das Klimaministerium ist nun direkt beim Premierminister angesiedelt und zusätzlich für die Probleme des Wassermangels zuständig. Das ist absolut gerechtfertigt. Die vielen anstehenden Aufgaben wären zu viel gewesen für nur eine einzige Person.
Das Klimathema lag Ihnen aber sehr am Herzen?
Es liegt mir sehr am Herzen. Aber genau deshalb war der Schritt richtig: Wir haben so die Bedeutung der Klimapolitik stark erhöht. Seien Sie gewiss, Ministerin Wong und ich werden sehr, sehr eng zusammenarbeiten.
In Deutschland ist der Umweltminister für den Klimaschutz zuständig. Würden Sie die australische Zweiteilung der Bundesrepublik empfehlen?
Verschiedene Länder gehen verschiedene Wege, ich will keine Ratschläge erteilen. Sicher ist aber, dass das Klimaproblem so groß, so übergreifend ist, dass es künftig in der Politik eine übergeordnete Rolle spielen muss.
Immerhin empfehlen Sie Deutschland als Müllhalde: 15.600 Tonnen hochgiftigen Sondermülls wollen Sie nach Deutschland transportieren und hier entsorgen lassen. Warum?
Das Problem liegt in den Händen der Unternehmen: Weil es in vielen Ländern wie auch in Australien keine geeignete Entsorgungstechnologie gibt, verhandeln diese mit Deutschland und der EU, die über entsprechende Anlagen verfügen. Meine Verantwortung als Minister ist, sicherzustellen, dass alles unter dem Dach des Gesetzes geschieht. Und natürlich zu prüfen, ob es Alternativen zur Verschiffung gibt. Diese gibt es aber gegenwärtig nicht.
Ihrer Alternative in Sachen Energieversorgung lautet: Kohle. Sie wollen Kohlekraftwerke, die Kohlendioxid abscheiden, um das Klimagift unterirdisch zu lagern - man nennt das CCS. Wir dachten immer: Klimafreundlich wird Energieversorgung, wenn sie auf erneuerbare Energien umstellt.
Ich denke, wir haben keine andere Wahl, als CCS voranzubringen. Allein China wird in seiner gegenwärtigen ökonomischen Entwicklung zu einem großen Teil von Kohle angetrieben. In einer Reihe von anderen Ländern wird ebenfalls eine Vielzahl neuer kohlegefeuerter Kraftwerke gebaut.
Aber CCS wird bis zur großtechnischen Einsetzbarkeit noch mindestens zwanzig Jahre brauchen.
Unsere Experten schätzen, dass es fünfzehn bis zwanzig Jahre dauert.
Das sind die Versprechen der Industrie.
Wir haben ein öffentliches Kohleforschungszentrum, das 500 Millionen Dollar in die CCS-Forschung steckt. Die Kohlefrage ist eine der drängendsten überhaupt. Wenn die Langzeitsicherheit der Lagerstätten garantiert werden kann, muss CCS auf den Weg gebracht werden. Aber im selben Zeitraum investieren wir auch signifikante Summen in erneuerbare Energien.
Australien will konventionelle Glühlampen zugunsten von Energiesparlampen verbieten. Geht das denn?
Klar. Warum denn nicht?
Ein Gesetz zum Verbot von Glühlampen wäre in Deutschland undenkbar.
Wir schreiben vor, dass eine bestimmte Sorte von Glühlampen auslaufen muss. Die Energieeinsparungen werden enorm sein. Und wir tun dasselbe übrigens mit Warmwassersystemen.
Als erste Amtshandlung hat Ihre Regierung das Kioto-Protokoll unterschrieben. Warum?
Uns war es wichtig, ein sehr starkes Signal an die Welt zu senden: Wir sind an Bord! Die vorherige Regierung hat sich dem Problem der Erderwärmung grundsätzlich verweigert. Es gibt aber keinen anderen Rahmen als die UNO, um mit dem Problem fertigzuwerden. Alle Verhandlungen finden unter dem Dach der UNO statt. Und da gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie sind dabei. Oder sie sind nicht dabei.
Die EU hat sich ein Reduktionsziel gesetzt: 30 Prozent weniger Treibhausgase bis 2020 gegenüber 1990. Gibt es in Australien Vergleichbares?
Wir wollen 60 Prozent Reduktion bis 2050.
Da bleibt Ihnen ja noch reichlich Zeit! Nach dem Kioto-Protokoll darf Australien 2012 8 Prozent mehr Treibhausgase erzeugen als 1990. Aktuell liegt Ihr Land aber bei einem Plus von über 25 Prozent. Es sind nur noch dreieinhalb Jahre Zeit. Gibt es überhaupt eine Chance, das Ziel noch zu erreichen?
Wir haben hart gearbeitet mit den Bundesstaaten. Wir haben nach dem Regierungsantritt zusätzliche Maßnahmen beschlossen - aber natürlich gibt es eine Verzögerung zwischen einer politischen Entscheidung und einem messbaren Effekt auf den Treibhausgasausstoß. Die Reduktion besitzt eine hohe Priorität in unserer Politik. Aber keine Frage: Es ist ein hartes Stück Arbeit.
Wenn Sie das Ziel verfehlen, sieht das Kioto-Protokoll Sanktionen gegen Australien vor. Welche befürchten Sie am meisten?
Wir planen nicht, das Ziel zu verfehlen.
Jetzt spricht der Politiker Garrett. So eine Liedzeile hätte es bei Midnight Oil nie gegeben.
Ich glaube wirklich nicht, dass es irgendetwas bringt, über ein Versagen zu spekulieren.
Sie sind Vater dreier Kinder. Was sagen die: Ist es besser, wenn der Vater als Musiker nach Hause kommt oder als Politiker?
Ich glaube, die Frage, welchen Beruf der Vater hat, ist nicht so wichtig. Viel wichtiger ist die Frage, ob man bei ihm Geld leihen kann zum Ausgehen.
Anders gefragt: Empfehlen Sie Ihren Kindern, Rockstar zu werden oder doch besser Politiker?
Sie sollten einen Weg wählen, der sie selbst glücklich macht. Es ist völlig egal, was du machst - Hauptsache, es macht dir Spaß! Wir spielten bei Midnight Oil auch nicht mit dem Ziel, berühmt zu werden. Wir wollten einfach nur Schallplatten machen und Konzerte geben. Das mag simpel klingen, aber der Spaß war immer wichtig.
Das heißt: Politik macht Ihnen jetzt Spaß?
Ich habe mich gefragt: Wie kannst du dein Potenzial am besten nutzen? Potenzial zu nutzen macht immer Spaß.
In einem Ihrer bekanntesten Songs, "Sell myself", warnen Sie vor dem Teufel. Wie oft am Tag treffen Sie den Teufel heute?
Was man auch macht im Leben, man muss Entscheidungen treffen. Die Entscheidungen basieren auf Überzeugungen, auf Werten und Erfahrungen. Und ich kann nur hoffen, dass ich später, wenn ich auf die Entscheidungen zurückblicke, immer noch zu ihnen stehen kann.
INTERVIEW: NICK REIMER & TORALF STAUD
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