Ex-Handballer Heiner Brand zu Olympia: „Nationalmannschaften ohne Nutzen“
Bei den Olympischen Spielen sind kaum deutsche Teams vertreten. Handball-Nachwuchschef Heiner Brand spricht über die Ursachen und erklärt, was getan werden muss.
taz: Herr Brand, hat der deutsche Sport ein Problem in den Mannschaftssportarten?
Heiner Brand: In einigen Sportarten schon, man muss das aber differenziert betrachten. Bei den Fußballfrauen etwa sehe ich es als einen Unfall an, dass sie nicht zu Olympia fahren. Beim Handball oder beim Basketball aber sind es strukturelle Probleme, die dazu geführt haben. Da ist die Situation ähnlich.
Inwiefern?
Wir haben bei den Männern jeweils Profiligen auf einem guten Niveau – beim Handball sogar Weltklasseniveau – aber die Nationalteams haben sich nicht für Olympia qualifiziert. Beim Hockey hat man etwa auch deshalb weniger Probleme, weil es ein Amateursport ist. Dort kann man häufiger Lehrgänge durchführen. In den Basketball-, Handball- oder Eishockeyligen ist das schwieriger, weil die Spieler quasi Eigentum der Vereine sind. Außerdem setzen die Vereine auf starke ausländische Spieler und Stars in den Ligen. Die deutschen Nachwuchsspieler haben es schwer, auf ihre Einsatzzeiten zu kommen.
Sie haben deshalb immer wieder gefordert, es müsse eine Quote für deutscher Spieler in der DHL geben.
Eine Quote kann immer nur aus einer Notsituation entstehen. Das Beste wäre eine Philosophie innerhalb der Vereine, die die Verantwortlichkeit, Talente zu entwickeln und in die erste Liga zu bringen, einschließt.
Ist diese Philosophie beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) derzeit stärker ausgeprägt als in den anderen Verbänden?
Auch im Fußball ist die U 21 ja nicht bei Olympia dabei. Beim DFB liegt die Priorität nicht auf Olympia. Generell aber ist das schon beispielhaft, was sich da entwickelt hat. Klar kann man sich daran orientieren – dort ist die Umstrukturierung aber sogar aus einer größeren Not geboren als wir sie im Handball oder Basketball derzeit haben. Im Fußball hat man erkannt, dass der Übergang vom jugendlichen Talent in die Erwachsenenkader das Problem ist – diesbezüglich kann man vom DFB lernen.
Wo sehen Sie im deutschen Handball die größten Probleme?
In der Zusammenarbeit des Verbands mit der Liga und den Vereinen. Da ist in den letzten 15 bis 20 Jahren wenig passiert, man sieht bei den Vereinen nicht den Nutzen einer starken Nationalmannschaft für das Image der Sportart im Land. Dort wird sehr egoistisch gedacht, der Erfolg des Klubs steht über allem.
ist Handball-Weltmeister als Spieler (1978) und als Trainer (2007), jeweils mit der deutschen Nationalmannschaft, die er auch bei den Olympischen Spielen 2004, beim Gewinn der Silbermedaille, betreute. Seit 2011 arbeitet der 59-Jährige als Manager für Nachwuchsförderung beim Deutschen Handball-Bund.
Wie gehen Sie mit der Enttäuschung um, dass die Handballmänner nicht dabei sind?
Den Ärger, den ich 15 Jahre in mich hineingefressen habe, lasse ich nun eher nach außen oder versuche ihn für mich selbst in produktive Arbeit umzumünzen.
Ist die Situation bei den Handballfrauen mit der der Männer vergleichbar?
Nein. Die Frauen haben in der Vorbereitung sehr gut gespielt. Dann gab es eine nicht nachzuvollziehende Flaute bei der WM, wo sie in der Vorrunde gescheitert sind. Wir wollen das Frauen-Handballteam aber natürlich für die WM 2017 im eigenen Lande auf Weltklasseniveau bringen.
Wie sähe – am Beispiel der Handballmänner – ein Fahrplan bis Rio de Janeiro 2016 aus?
Wir haben etwa jetzt ein Eliteförderungsprogramm ins Leben gerufen und versuchen, die Ausbildungssituation zu verändern – so etwas können wir vom DHB aus initiieren. Und wir wollen junge Spieler perspektivisch aufbauen, um 2016 ein gutes Team zu haben.
Wie kann die Kooperation des Verbands mit den Vereinen verbessert werden?
Da haben wir jetzt die AG Nationalmannschaft und die AG Nachwuchs gegründet, damit Vereins- und Verbandsvertreter besser zusammenarbeiten. Klar, wenn die Interessen so unterschiedlich sind, muss man runde Tische bilden. Die Profiligen sind schließlich eigenständige Organisationen und zunächst nur für sich selbst verantwortlich. Hier ist das Jugendzertifikat ein guter erster Schritt. Es wird seit 2011 von der Handball-Bundesliga für gute Jugendarbeit an die Vereine vergeben. Falls die Klubs es nicht bekommen, müssen sie einen finanziellen Beitrag für die Jugendarbeit entrichten. Das ist ein guter Weg.
Glauben Sie, dass es in den Mannschaftssportarten auch deshalb kriselt, weil die Individualsportarten beliebter werden?
Nein. Es gibt zwar durch Trend- und Individualsportarten mehr Konkurrenz als früher, aber von Sportler- wie von Publikumsseite ist die Beliebtheit von Teamsportarten ungebrochen. Die Öffentlichkeit fährt nach wie vor auf Teamsport ab. Und die Auffassung, dass Mannschaftssport wichtig ist, setzt sich, glaube ich, gerade in einer Gesellschaft durch, in der man sonst nur nach individueller Leistungsfähigkeit gemessen wird.
Sie selbst haben Olympia einmal als Spieler und viermal als Trainer erlebt. Was war Ihr schönstes Erlebnis?
Das ist eher Olympia als Gesamteindruck, was da haften bleibt. Mit so vielen anderen Sportlern zusammen zu sein ist einfach großartig. Die Silbermedaille von 2004 war sicher der größte Erfolg bei Olympia, aber da stand erst mal die Enttäuschung im Vordergrund, dass es nicht Gold geworden ist.
Hat der Stellenwert von Olympia unter den Sportlern abgenommen?
Nein, das glaube ich nicht. Es ist ein Fenster, sich zu zeigen, es ist immer etwas Besonderes. Selbst Dirk Nowitzki hat gesagt, Olympia sei das Größte für ihn gewesen.
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