Ex-HSV-Managerin nach Machtverlust: Ohne die Ritterrüstung der Funktion
Katja Kraus war die erste Managerin in einem großen Fußballklub. Jetzt hat sie ein Buch verfasst über Mächtige, die abgestürzt sind. Eine Begegnung.
Zwei Tage nach ihrem Ausscheiden als Vorstandsmitglied beim Hamburger SV beginnt Katja Kraus die Arbeit an einem neuen Projekt. Wenn sie die Leute fragen, was sie denn jetzt genau mache, sagt sie: „Ich schreibe ein Buch“.
Dann sagen die Leute: „Interessant. Und sonst?“
Wenn sie sie Wochen später wiedersehen, fragen sie: „Ist Ihr Buch jetzt fertig? Wann steigen Sie wieder ein?“
Diese Geschichte und viele andere spannende Texte lesen Sie in der aktuellen sonntaz vom 16./17. März 2013. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz
Als wollten sie einfach nicht einsehen, dass dieses Buch für Kraus nicht irgendein Zwischendings ist.
Schluss beim HSV
Kraus, 42, gelangte 2003 als erste Frau in das Top-Management eines großen Fußballunternehmens, zuständig für Marketing und Kommunikation. Zuvor war sie Fußballnationaltorfrau und Olympiateilnehmerin, studierte Germanistik und Politik, war Pressesprecherin bei Eintracht Frankfurt und dann bei der Ufa.
Nach acht recht erfolgreichen Jahren war man im Aufsichtsrat des Bundesligagründungsmitglieds nicht mehr zufrieden mit dem Vorstandsvorsitzenden, der sie mitgebracht hatte.
Im Mai 2011 war auch für sie Schluss beim HSV.
Und nun?
Sie hatte Verlustgefühle, sie war verunsichert. Was konnte sie eigentlich außer Fußballmanagerin? Sie sagt, sie habe Angebote gehabt, woanders in gleicher Funktion, um damit quasi bruchlos weiterzumachen. Sie tat es nicht.
„Ich wollte den Bruch als Chance sehen, etwas ganz anderes zu machen.“ Sie ignorierte den Bruch nicht, sie arbeitete ihn auf.
Schlechtes Ende bleibt in Erinnerung
Gerade betritt sie ein Hamburger Lokal im Univiertel; begrüßt die Kellner mit Handschlag und steuert direkt auf den richtigen Tisch zu. Halblange braune Haare, grüne Augen, gut-leger angezogen und gut gelaunt. Kraus ist absoluter Beginner, was das Schreiben angeht, aber eben auch Kommunikationsprofi. „Das sollte ich vermutlich so nicht sagen, aber ich erzähl’s Ihnen gerne“, so was ist immer schön zu hören.
„Macht“ heißt ihr Buch, das in diesen Tagen erschienen ist. Es enthält Gespräche mit Prominenten, die über ihren persönlichen Machtverlust sprechen. Darunter die Politiker Andrea Ypsilanti, Roland Koch, Björn Engholm, die Wirtschaftsmanager Ron Sommer und Hartmut Mehdorn, der Fußballnationalspieler Thomas Hitzlsperger, die Bestsellerautorin Hera Lind.
Sie will nicht „überführen“, das sei ja hoch- und runtergeschrieben. Auf keinen Fall will sie den üblichen wohlig-beruhigenden Schauer erzeugen, wenn ein Mächtiger abgestürzt ist. Sie gibt ihren Gesprächspartnern den Raum, von den Momenten zu erzählen, die den Menschen in der Funktion sichtbar machen. Es geht ihr darum herauszufinden, warum Menschen für eine machtvolle Position „einen hohen Preis bezahlen“ und sich dem öffentlichen Urteil aussetzen, das im Falle des Machtverlustes selten emphatisch ist, sondern meistens ungnädig. Ihre Erkenntnis: Scheitern ist ein Stigma. Auch wenn es ein zwangsläufiger Begleiter des Erfolges ist. Und der die Fallhöhe bestimmt.
Aber der lange, womöglich gute Weg wird öffentlich vergessen, das schlechte Ende bleibt in Erinnerung, und manchmal wird ein Leben reduziert auf einen Moment, einen unglücklichen Satz oder eine Geste. Und alles, ohne einen Schritt in den Schuhen des anderen getan zu haben. Neben der demokratisch-moralisch wichtigen Aufklärung von Verfehlungen geht es immer auch um triviale Unterhaltung und das Befriedigen von bestimmten Gefühlsbedürfnissen. Tenor: geschieht dem Arschloch recht.
Wo und wie sich Kraus mit ihren Protagonisten identifiziert oder therapiert, so das nötig sein sollte – das ist nicht zu sagen. Das Buch ist auf jeden Fall auch ein sorgsam komponierter Versuch, die Definitionshoheit über die eigene Geschichte zu bekommen. Einerseits war das Vorstandsamt bei einem Fußballbundesligisten ein Job, der sie ausfüllte. Und sie hatte noch nicht abgeschlossen, sondern jemand anders schloss für sie ab. Das sei „kränkend“ gewesen.
Andererseits brachte diese Funktion sie auf eine Art komplett zum Funktionieren, die keinen Raum für anderes ließ. Immer alles im Halbstundentakt und getrieben von dem, was gestern, heute und morgen in der Zeitung steht; das ließ sie irgendwann auch sehr, sehr müde aussehen, wenn sie den Journalisten bei den üblichen Terminen die Hand schüttelte.
Das alte Leben
Manchmal fehlt ihr das alte Leben, und sehr oft fehlt es ihr nicht. Sie managt sich jetzt selbst, spricht weiter bei Konferenzen und nun auch über ihre „Verletztheit“, freut sich auf ihre anstehenden Lesungen und macht glaubhaft den Eindruck, den Bruch als Chance begriffen zu haben, mehr aus sich zu machen. Also die eine große Frage beantworten zu können: Wer bin ich ohne meine Funktion? „Das hab ich mich vorher auch schon gefragt“, sagt sie. „Brüche passieren ja nicht ohne Vorankündigung. Man sieht Zeichen, man spürt bröckelnden Rückhalt, notiert veränderte Kräfteverhältnisse.“
Mächtige mit einem selbst gewählten Abgang wie Ole von Beust haben sich diese Frage vorher beantwortet. Die können deshalb die Freiheit positiv empfinden. Die abrupt Rausgetretenen erst mal nicht und manchmal nie, wenn sie nicht wissen, wohin sie ein neuer Weg führen könnte.
Die Verluste? Ja, sie hatte einen Parkplatz in der ersten Reihe und ja, es ist schon irritierend, wenn man immer fünfmal angerufen wurde, ob man auch ja auf eine Party kommt und im nächsten Jahr von der Liste gestrichen ist. „Ich hatte immer die Hoffnung, dass ich reflektiert genug bin, um zu unterscheiden zwischen dem, was meiner Funktion, und dem, was mir als Mensch entgegengebracht wurde“, sagt sie. „Aber es sind auch Gefühle, mit denen man einen Umgang finden muss.“ Und wenn sie jetzt in einem Meeting ist, und es wird redundant, dann kann sie nicht mehr sagen: Danke, das war’s.
Aber sie sei früher nie abends nach Hause gekommen und habe gedacht: „Mensch, heute warst du aber wieder mächtig.“ Macht sei ein abstrakter Begriff, den vor allem der Empfänger der Macht gebrauche, nicht der Mächtige. Aus ihrer Sicht ist Macht die Möglichkeit, Entscheidungen von Tragweite zu treffen, umzusetzen, zu verteidigen und sich damit auch angreifbar zu machen. In einem gesellschaftlichen Umfeld, in dem es ihrer Beobachtung nach darum geht, „sich möglichst wenig messbar zu machen, möglichst wenig zu entscheiden und risikolos erfolgreich zu sein“.
Den Frauen näher gekommen
Im Gegensatz zu manchen Gesprächspartnern wurde ihre Arbeit und damit ihr Leben nicht diskreditiert, schon gar nicht ihre Integrität, wie es bei Andrea Ypsilanti und Maria Jepsen geschah. Es sind die beeindruckendsten Porträts. Den Frauen ist sie – Tanja Gönner mal außen vor – eindeutig näher gekommen. „Empfinden Sie das so?“, fragt sie. „Interessant. Vielleicht zeigen Frauen mehr.“
Sicher hat man auch in der letzten Zeit selten jemand brutaler abstürzen lassen als die designierte hessische Ministerpräsidentin Ypsilanti. „Ich wollte verstehen, wie sie sich selbst sieht, und es war mir wichtig, dass sie sich gesehen fühlt“, sagt Kraus.
Ypsilanti gehört zu denen, die die Namen ihrer Gegner nicht erwähnen, für Kraus ein Zeichen, dass sie noch keinen Frieden gefunden hat. Eine andere Erkenntnis gewinnt sie bei ihrer Beschäftigung mit der Hamburger Bischöfin Maria Jepsen, die zurücktreten musste, weil sie von sexuellen Übergriffen eines Pastors an Minderjährigen gewusst haben soll, ohne etwas zu unternehmen. Jepsen hielt und hält sich für unschuldig und musste aus ihrer eigenen Sicht gehen, weil diejenigen sie binnen Stunden pragmatisch oder opportunistisch fallen ließen, denen sie vertraut hatte. Diese Erfahrung ist nicht zu verarbeiten. Der verratene oder verlassene Mensch ist danach auf eine existenzielle Art weniger.
„Wenn die Unschuld erst mal verloren ist“, schreibt Kraus, „dann gibt es keine Rückkehr hinter den Punkt der negativen Erfahrung.“ Auch der langjährige Ministerpräsident Björn Engholm fühlt sich heute noch im Stich gelassen – von seiner SPD. Das ist seine offene Wunde; nicht Barschel.
„Macht“ ist mit einem ungewöhnlich großen Recherche-Aufwand entstanden und erstaunlich gut geschrieben für jemanden, der vorher nach eigener Aussage nur Weihnachtskarten beschriftet hat. „Ob ich schreiben, ob ich die Stille des Schreibens aushalten könnte, wusste ich nicht. Das war die überraschendste Entdeckung“, sagt Kraus. In der Danksagung erwähnt sie den Publizisten Roger Willemsen und dessen „Begleitung bei meinem Wachstum“.
Außer ihr ist bis heute keine andere Frau in eine Spitzenposition der Fußballbranche gelangt. „Die Veränderungsbereitschaft im Fußballgeschäft ist relativ gering“, sagt sie. Und dass sie eines Tages zurückkehrt? Das sei für sie gerade nicht vorstellbar.
Obwohl sie die Ritterrüstung der Funktion nicht mehr hat, obwohl es unsichere Tage gibt, obwohl sie sich immer noch manchmal fragt, was sie nun eigentlich sagen soll, wenn jemand wissen will, wer und was sie ist: „Ich mochte mein altes Leben sehr, aber ich will es nicht zurückhaben“, sagt Katja Kraus.
Das ist doch mal was.
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