Ex-Coach über Chinas Trainingsmethoden: "Die werden ständig überstresst"
Kanuten-Coach André Ehrenberg ist über die brutale Trainingsmethodik in China entsetzt. Er betreute ein Jahr lang das chinesische Team. Mit dem nötigen Sachverstand wären die Asiaten nahezu unschlagbar.
taz: Herr Ehrenberg, Ende vergangenen Jahres haben Sie Ihren Job als Trainer der chinesischen Slalomkanuten gekündigt. Warum?
ANDRÉ EHRENBERG: Ich habe ein Jahr lang dort gearbeitet und bestätigt gefunden, was ich vorher schon wusste: Es gibt nicht die Möglichkeit, wirklich ein Trainingskonzept durch zu ziehen. Es wird immer alles von den chinesischen Offiziellen wieder verändert.
Wenn Sie es wussten, warum sind Sie dann trotzdem nach China gegangen?
Für mich war das ein Abenteuer. Ich wollte Erfahrungen sammeln. Ich habe versucht, mein Training mit ein bisschen Beschiss gegenüber den Chinesen durchzuziehen. Die haben aber im Kanuslalom Null Ahnung von trainingswissenschaftlichen Dingen. Sprich, was kann ein Mensch ertragen und was nicht mehr.
Es wird von den Athleten mehr verlangt, als gut ist?
Ja, die werden ständig überstresst. Die versuchen dann natürlich, das selbst zu regulieren, indem sie beim Training mogeln. Ich hatte das Training reduziert, aber die haben das immer noch gemacht.
Wer mischt sich denn vonseiten der Offiziellen ein?
Ach, das geht vom Teamleader über den Präsidenten bis hoch zum Wassersportpräsidenten. Plötzlich wird zwei Wochen nur an Land trainiert, weil die Slowaken im Winter Skilanglaufen gehen. Die Slowaken holen die Goldmedaillen, also denken die Chinesen, dass muss das gut sein. Weil sie grad kein Skilanglauf machen können, gehen sie Laufen. Das ist natürlicher Schwachsinn.
Wie weit sind die Chinesen heute im Kanusport?
Sie verstehen sich noch immer nicht auf ein vernünftig strukturiertes Training. Es werden immer noch viele Menschen einfach ins Training geschmissen. Ein paar bleiben halt übrig, die dann ganz gut Boot fahren können.
Werden sich die Chinesen weiter im Kanusport engagieren, oder war das ein Projekt, das nur auf 2008 ausgerichtet war?
Ich denke, das hängt von den Erfolgen bei diesen Olympischen Spielen ab. Wenn die hier eine Medaille gewinnen, werden sie das bis London weiter durchziehen. Aber es kommt drauf an, wie trainiert wurde. Und wie die Offiziellen mit den Athleten umgegangen sind. Wenn sie es so gemacht haben wie zu meiner Zeit, wird das nichts.
Was war passiert?
Ein Beispiel: Bei einem Wettkampf in China sind die Topboote im zweiten Lauf langsamer gefahren als im ersten. Das hat dem Präsidenten nicht gefallen. Also hat er die Boote so lange weiterfahren lassen, bis sie ihre Zeiten aus dem ersten Lauf wieder erreicht hatten.
Und, haben sie es geschafft?
Der Zweier hat es im zweiten Lauf geschafft. Die Damenfahrerin ist vier Läufe gefahren und hat es nicht geschafft, dann hat er es endlich abgebrochen. Ein anderes Beispiel: Im WM-Finale ist mein Canadier-Zweier einen Lauf gefahren, da habe ich gedacht: Was ist denn mit denen los? Das ist doch nicht mein Boot? Die waren so schlecht.
Und?
Ein tschechischer Kollege hatte beobachtet, wie die Athleten am Tag vor dem Finale vom Präsidenten und dem Teamleader vom chinesischen Volk und der Partei erzählt bekamen, die haben die Sportler richtig unter Druck gesetzt. Da wusste ich natürlich, warum die nicht mehr gut fahren konnten.
Trotzdem sammeln die Chinesen mit diesen Methoden immer wieder Medaillen.
Viele Sportarten sind nicht so von der mentalen Stärke abhängig wie der Kanuslalom. Abgesehen davon: Wenn die Chinesen im Slalombereich noch mehr Breite hätten, würde sich auch ein Boot finden, dass den Druck aushält.
Das würde für den Rest der Welt bedeuten, dass niemand mehr eine Chance hätte, wenn die Chinesen auf moderne Art trainieren würden.
Richtig. Die pumpen da so viel Geld rein und haben so eine Breite an Athleten, weil einfach die Menschenmasse da ist, dass wir kaum eine Chance mehr hätten, wenn sie es vernünftig machen würden. Ich würde es so sagen: Je technischer die Sportart, desto mehr Chancen haben wir noch.
INTERVIEW: SUSANNE ROHLFING
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